Scholz will Vertrauensfrage stellen Der Weg zur Neuwahl
Das Ende einer Koalition kann in Deutschland vieles heißen. Kanzler Scholz hat nun angekündigt, die Vertrauensfrage zu stellen. Was bedeutet das genau und wie läuft der Prozess ab? Ein Überblick.
- Hat der Bruch der Regierung automatische Folgen?
- Gäbe es aktuell noch andere mögliche Szenarien?
- Warum gibt es nicht automatisch eine Neuwahl?
- Muss der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen?
- Wie wird das Verfahren der Vertrauensfrage bis zur möglichen Neuwahl ablaufen?
- Was bedeutet "Minderheitsregierung"?
- Warum ging es in der Ansprache von Scholz auch um die Schuldenbremse?
Hat der Bruch der Regierung automatische Folgen?
Nein. Das Ende der Ampel-Regierung allein ändert nichts daran, dass Olaf Scholz Bundeskanzler ist. Es kann auch nicht automatisch zu einer Neuwahl kommen. Das geht nur über den Weg der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers nach Artikel 68 des Grundgesetzes.
Scholz hat angekündigt, dass der Bundestag am 15. Januar 2025 über seine Vertrauensfrage abstimmen soll. Im Anschluss muss dann der Bundespräsident entscheiden, ob er den Bundestag auflöst und es zu einer Neuwahl kommt.
Bis dahin hat Kanzler Scholz nicht mehr die dauerhafte Unterstützung einer Mehrheit im Bundestag. Er ist also aktuell Kanzler einer Minderheitsregierung. Das bedeutet: Um eine Mehrheit für noch anstehende einzelne Gesetzesprojekte im Bundestag bis Ende Dezember 2024 zu bekommen, bräuchte Rot-Grün die Unterstützung der aktuellen Opposition, zum Beispiel der Union. Scholz hat angekündigt, darüber mit CDU-Chef Friedrich Merz sprechen zu wollen.
Gäbe es aktuell noch andere mögliche Szenarien?
Ja, aber die erscheinen nicht realistisch. Scholz könnte auch eine neue Mehrheit im aktuellen Bundestag suchen, die ihn dauerhaft unterstützt. Dann könnte er ohne Neuwahl eine neue Regierungskoalition bilden. Merz hat aber bereits öffentlich ausgeschlossen, in eine Regierung zusammen mit Rot-Grün einzusteigen.
Oder der Bundestag könnte über ein "konstruktives Misstrauensvotum" nach Artikel 67 Grundgesetz Bundeskanzler Scholz das Misstrauen aussprechen und gleichzeitig mit einer Mehrheit einen neuen Bundeskanzler wählen. Dass zum Beispiel CDU-Chef Merz dafür im aktuellen Bundestag eine Mehrheit im Bundestag erreicht, erscheint jedoch unrealistisch.
Warum gibt es nicht automatisch eine Neuwahl?
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten das Ziel, für stabile Regierungsverhältnisse zu sorgen. Anders als der Reichspräsident der Weimarer Republik hat der Bundespräsident zum Beispiel nicht das Recht, von sich aus den Bundestag aufzulösen und eine Neuwahl anzuordnen. Der Bundestag kann sich auch nicht selbst auflösen.
Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers kann einerseits ein Mittel sein, um sich des Vertrauens der Regierungsfraktionen im Bundestag zu versichern. Sie kann aber auch wie jetzt im konkreten Fall dazu führen, den Weg zu einer Neuwahl einzuleiten.
Zuletzt hat dies Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2005 gemacht. Es war eine von fünf Vertrauensfragen in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Opposition fordert, dass Scholz die Vertrauensfrage nicht erst im Januar, sondern sofort stellt. Kann man ihn irgendwie dazu zwingen, das früher zu machen?
Nein, rechtlich nicht. Ob ein Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt, und wenn ja, wann er das macht, das ist rechtlich gesehen allein seine Entscheidung. Auch der Bundespräsident kann das nicht anordnen.
Der politische Druck, die Vertrauensfrage früher zu stellen, steigt mit der Forderung der Union nach der sofortigen Vertrauensfrage natürlich enorm. Es wird jetzt spannend, wie Scholz damit umgeht. Und auch wenn der Bundespräsident in diesem Stadium nichts rechtlich anordnen darf - Gespräche führen und appellieren könnte er natürlich immer.
Wie wird das Verfahren der Vertrauensfrage bis zur möglichen Neuwahl ablaufen?
Schritt 1: Der Bundeskanzler stellt im Bundestag - laut Scholz in der ersten Sitzungswoche des neuen Jahres 2025 - den Antrag nach Artikel 68 Grundgesetz, ihm das Vertrauen auszusprechen. Er kann dies mit einer inhaltlichen Sachfrage verbinden, oder die Vertrauensfrage isoliert stellen.
Schritt 2: Frühestens 48 Stunden nach dem Antrag stimmt der Bundestag über die Vertrauensfrage ab. Das soll laut Scholz am 15. Januar 2025 passieren.
Schritt 3: Der Bundeskanzler kann nach einer verlorenen Vertrauensfrage dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen.
Schritt 4: Der Bundespräsident kann daraufhin den Bundestag auflösen. Er muss es nicht. Über diese Frage muss er innerhalb von 21 Tagen nach der Abstimmung im Bundestag entscheiden. Lehnt er eine Auflösung ab, würde es bei einer Minderheitsregierung bleiben. Löst der Bundespräsident den Bundestag auf, kommt es zu einer Neuwahl.
Schritt 5: Die Wahl zu einem neuen Bundestag muss innerhalb von 60 Tagen nach der Auflösung des Bundestages stattfinden (Art. 39 Absatz 1 Satz 4 Grundgesetz). Wahrscheinlich wäre also ein Wahltermin im Laufe des Monats März 2025. Kanzler Scholz würde auf Ersuchen des Bundespräsidenten geschäftsführend im Amt bleiben, bis ein neuer Bundestag einen neuen Kanzler gewählt hat.
Was bedeutet "Minderheitsregierung"?
Der Normalfall sieht so aus: Der Kanzler oder die Kanzlerin ist von der Mehrheit aller Abgeordneten im Bundestag gewählt, die zuvor eine Koalition geschlossen haben. Er oder sie kann sich daher auch danach in der Regel auf eine Mehrheit im Bundestag verlassen; zum Beispiel, wenn es um konkrete Gesetzesvorhaben geht, über die abgestimmt werden soll.
Bei einer Minderheitsregierung, die Scholz nun vorerst führen wird, ist das anders. Für jedes einzelne Gesetzesvorhaben muss die Regierung um die Unterstützung einzelner Parteien beziehungsweise Fraktionen werben, damit die nötigen Mehrheiten zustande kommen.
Genau dieser Punkt wird nun bis Ende Dezember relevant werden. Zum einen geht es darum, ob es eine Mehrheit für den Haushalt 2025 geben kann. Falls der Haushalt 2025 nicht rechtzeitig im Laufe des Jahres 2024 verabschiedet wird, würde es eine "vorläufige Haushaltsführung" geben, die in Artikel 111 Grundgesetz geregelt ist.
Kanzler Scholz hat aber auch angekündigt, dass er bis Weihnachten noch einige Gesetzesprojekte im Bundestag zur Abstimmung stellen, die ihm wichtig sind. Das scheint der Grund zu sein, warum er die Vertrauensfrage erst im Januar stellen möchte. Er hat angekündigt, über einzelne Gesetzesprojekte, zum Beispiel zu wirtschaftlichen Fragen, das Gespräch mit Oppositionsführer Merz zu suchen.
Spannend ist nun, ob die Union darauf (teilweise) eingehen und mitmachen wird oder nicht. Im Übrigen steht auch noch eine Entscheidung von Bundestag und Bundesrat über die bereits von Regierung und Union gemeinsam vorgeschlagenen Verfassungsänderungen zum Thema "Mehr Schutz für das Bundesverfassungsgericht" aus.
Warum ging es in der Ansprache von Scholz auch um die Schuldenbremse?
Im Koalitionsausschuss am Mittwochabend muss Scholz vorgeschlagen haben, zur Finanzierung von Verteidigung und sozialen Leistungen die im Grundgesetz vorgesehene Ausnahme von der Schuldenbremse heranzuziehen. Ein sehr umstrittenes Thema seit längerer Zeit.
Nach Artikel 115 Absatz des Grundgesetzes darf der Staat in "außergewöhnlichen Notsituationen" von den Regeln der Schuldenbremse abweichen. Also vereinfacht gesagt mehr Kredite aufnehmen, als es die Regeln der Schuldenbremse erlauben. Scholz sagte dazu, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und seine Folgen sei so eine "außergewöhnliche Notsituation".
Ob das eine tragfähige rechtliche Begründung wäre, lässt sich auf die Schnelle nicht abschließend beurteilen. Das Bundesverfassungsgericht hatte im November 2023 im Urteil zum "Klima- und Transformationsfonds" entschieden, dass die Regierung sich dort zu Unrecht auf die Ausnahmeregelung berufen hatte.
Damals ging es allerdings um die Corona-Pandemie und ihre Folgen als "außergewöhnliche Notsituation", also eine andere Begründung als Scholz sie nun angeführt hat. Es würde also maßgeblich auf eine umfangreiche und rechtssichere Begründung der Ausnahme von der Schuldenbremse ankommen. Und natürlich man bräuchte dafür eine Mehrheit im Bundestag.