Tino Chrupalla, Vorsitzender der AfD, betrachtet die Akten im Gerichtssaal.
Analyse

Nach Kölner Urteil Warum die Unruhe in der AfD groß ist

Stand: 09.03.2022 15:22 Uhr

Nach dem Kölner Urteil bemüht sich die AfD um Beruhigung ihrer Mitglieder. Denn die Sorge ist groß. Droht der Partei ein weiterer Schritt in die Isolation?

Eine Analyse von Martin Schmidt, ARD Berlin

"Natürlich sind wir enttäuscht" - AfD-Parteichef Tino Chrupalla macht aus seinem Gemütszustand keinen Hehl. Gerade kommt er aus dem Kristallsaal in den Kölner Messehallen, in den das Verwaltungsgericht wegen des großen öffentlichen Interesses ausgewichen ist. Seit Jahren schon argumentiert die AfD, das Vorgehen des Verfassungsschutzes sei rein politisch motiviert.

Auch Chrupalla verweist darauf in seinem ersten Interview nach dem Urteil am Dienstagabend. Viele Parteifreunde werden das in den Stunden danach ebenso tun. Manche frustriert am Telefon, andere wie die Bundestagsabgeordnete Christina Baum öffentlich via Social Media. "Der Verfassungsschutz ist nichts weiter als ein 'Regierungsschutz'", schreibt sie.

Gottschalk: "Das ist ein politisches Urteil"

Doch eines übersehen sie dabei: In Köln hat nicht der Verfassungsschutz eine Entscheidung getroffen. Es ist das Verwaltungsgericht, das dem Verfassungsschutz Recht gibt. Das kratzt gewaltig an der Argumentation der Partei. Eine mögliche Reaktion: Man zieht nun auch die Unabhängigkeit der Justiz in Frage. "Das ist ein politisches Urteil", sagt der AfD-Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk dem ARD-Hauptstadtstudio.

Er halte es für absurd, dass das Verwaltungsgericht die "zahlreichen Falschbehauptungen des Verfassungsschutzes" anerkennt. "Irre", schiebt er noch hinterher. Noch mitten in der Nacht hat der AfD-Bundesvorstand eine Rundmail an alle Mitglieder verschickt. Es ist der Versuch, ein wenig zu beruhigen. Die E-Mail liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor.

Darin wird gleich zu Beginn eine Erklärung zitiert, die der Verfassungsschutz auf Anregung des Gerichtes in der Verhandlung abgegeben hat - derzeit nicht zu beabsichtigen, die AfD "als eine gesichert extremistische Bestrebung" zu behandeln. Doch das hatte der Verfassungsschutz für die gesamte Partei auch zuvor nicht angekündigt.

Vertrauen in der AfD - ein rares Gut

Kein Wort in der Mail davon, was der Richter in der mündlichen Urteilsverkündung dagegen tatsächlich klargestellt hat: "Es lägen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD vor", so steht es in der Pressemitteilung des Gerichts.

Dies habe das Bundesamt für Verfassungsschutz in Gutachten und den dazugehörigen Materialsammlungen auch belegt. Daher darf die gesamte AfD als Verdachtsfall eingestuft werden. Das bedeutet: Verfassungsschützer dürfen mithilfe nachrichtendienstlicher Mitteln die Partei beobachten. Schon immer war es ein beliebtes Spiel in der AfD, dem verhassten Parteifreund Spitzeltätigkeiten zu unterstellen. Dass der Verfassungsschutz nun bald tatsächlich solche anwerben könnte, Geld für Informationen zahlen darf, dürfte für Unruhe sorgen. Vertrauen war schon bislang ein rares Gut in der AfD.

Berufung zugelassen

Noch sei aber lange nicht das letzte Wort gesprochen, schreibt der AfD-Bundesvorstand in seiner Mail weiter. Die Berufung ist zugelassen, darüber werde man zeitnah entscheiden. Ähnlich hatte es Chrupalla in Köln auch schon gesagt und hinzugefügt: "Wir sind überrascht." Ganz so überrascht wohl allerdings nicht. Schon vergangene Woche hat die Partei intern einen "Aufruf an Beamte, Richter, Soldaten und Polizisten" per Mail gestartet.

Davon haben sie einige in der AfD und die treibt schon länger die Sorge um, ob sie bei einer Verfassungsschutzbeobachtung Ärger mit ihrem Dienstherren bekommen können.

"Lassen Sie sich nicht durch Fehlinformationen in die Irre führen", heißt es im Aufruf, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Die Beamten oder Angestellten des öffentlichen Dienstes hätten weder Disziplinarmaßnahmen noch eine Kürzung von Versorgungsbezügen aufgrund der Mitgliedschaft in der AfD zu befürchten - so die eigene juristische Einschätzung. Unterzeichnet haben den Text unter anderem die Bundestagsabgeordneten Joachim Wundrak (Generalleutnant a.D.), Gerold Otten (Oberst d.R.a.D.) und Nicole Höchst (Regierungsschuldirektorin a.D.).

Die Sorgen der Partei

Es ist eine der Sorgen in der Partei, dass es nun doch zu einem Exodus kommt. Parteimitglieder, die wegen der Beobachtung austreten könnten. Andere fürchten nun, wegen des Urteils politisch noch weiter isoliert zu werden. "Das birgt die Gefahr eigener überzogener Reaktionen", schreibt ein einflussreicher AfD-Bundestagsabgeordneter, der denen zugerechnet wird, die sich selbst als "gemäßigt" bezeichnen. Und natürlich treibt alle in der Partei um, was die Verfassungsschutz-Beobachtung mit den Wählern macht, gerade im Westen, wo die AfD schon bisher mehr zu kämpfen hatte.

Viel zu diskutieren

Im Saarland, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen stehen in diesem Jahr Landtagswahlen an. Entspannter dürften dagegen die Ost-Landesverbände reagieren: In Sachsen, Thüringen, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt wird die AfD schon länger beobachtet. Geschadet hat das in der Wählergunst bisher nicht. "Ganz im Gegenteil", meint mancher dort sogar. Heute, einen Tag nach dem Urteil, kommt die AfD-Bundestagsfraktion zu ihrer mehrtägigen Klausur ins thüringische Oberhof. Zu diskutieren haben sie ohnehin genug.

Wie reagiert Chrupalla?

Vor allem die eigene Position zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine, den manche AfD-Funktionäre so nicht bezeichnen wollen. Doch auch wenn die Verfassungsschutzbeobachtung nicht auf der offiziellen Tagesordnung steht, viele sind gespannt, wie Bundessprecher Chrupalla damit umgehen wird. Aus seinem Umfeld heißt es, Chrupalla habe bis zuletzt bemerkenswert optimistische Signale gesendet.

Nun weisen die Parteifreunde, die bisher auf der Seite des ehemaligen Co-Chefs Jörg Meuthens gestanden haben, nur zu gerne auf eine Aussage hin, die Chrupalla erst Anfang der Woche gegenüber der Nachrichtenagentur dpa gemacht hat. "Sollte es nach Ansicht des Gerichtes also tatsächlich kritische Aspekte geben, die wir nach einer sorgsamen internen Prüfung ebenso bewerten, dann werden wir uns darum kümmern", hat der Parteichef da gesagt. Die Bewertung des Gerichtes liegt seit Dienstagabend vor.

Jim-Bob Nickschas, Jim-Bob Nickschas, ARD Berlin, 09.03.2022 18:54 Uhr