Neues Gesetz geplant Aufstand der Wissenschaftler
Mit einem neuen Gesetz will das Bildungsministerium Wissenschaftskarrieren reformieren. Junge Wissenschaftler sollen sich dann in nur drei Jahren für eine Professur qualifizieren. Unsinnig, sagen Kritiker.
Man könnte meinen, das, was Meereswissenschaftler Julian Lilkendey erforscht, sei von hohem Interesse. Schließlich analysiert er die Auswirkungen des Klimawandels auf Fische und marine Ökosysteme. Er hat am Leibniz Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen promoviert, mehrere Auslandsaufenthalte hinter sich und Erfahrung als Projektmanager von Forschungsvorhaben. Doch statt an einer Universität seine Forschung weiter voranzutreiben, durchforstet er Jobportale nach offenen Stellen und schreibt am häuslichen Küchentisch an Forschungsanträgen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Die Familie lebt vom Gehalt seiner Frau.
Der 36-Jährige ist nur ein Beispiel, wie es vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland derzeit geht, die für ihr Fach brennen, aber nach bestandener Doktorarbeit immer wieder auf befristeten Verträgen angestellt werden und dazwischen oftmals arbeitslos sind.
"Für mich als Wissenschaftler ist es eine sehr bedrückende Situation. Ich bin kontinuierlich auf der Suche nach einer neuen Anstellung und habe die ständige Angst, meinen Job zu verlieren", beschreibt Lilkendey seine Situation. Dem Bundesbericht für wissenschaftlichen Nachwuchs zufolge arbeiten 92 Prozent aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter 45 Jahren in befristeten Anstellungen. In Folge gebe es ein verstecktes "Wissenschaftsprekariat" ohne Perspektive, sagt Kristin Eichhorn von der Initiative #ichbinhanna, einem Verbund aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in Forschung und Lehre einsetzen.
Meereswissenschaftler Julian Lilkendey muss Jobportale nach offenen Stellen durchforsten.
Die Doktorarbeit auf Hartz IV
Genau das wollte man im Bundesministerium für Forschung und Bildung eigentlich ändern. Mit dem neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetz wollte man frühzeitige Perspektiven schaffen, mehr unbefristete Beschäftigung und familienfreundliches Forschen - so steht es in den Eckpunkten des Gesetzentwurfs.
Doch nach der Veröffentlichung durch das Bundesministerium Mitte März, kam es zu einem Aufschrei über Fachrichtungen und Fakultäten hinweg. Binnen weniger Tage unterschrieben mehr als 2500 Professorinnen und Professoren in einer öffentlichen Unterschriftenliste, um das Gesetz zu verhindern. Wissenschaftstwitter kochte.
In der Kritik steht vor allem die - nach Meinung zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - unrealistische Zahl von höchstens drei Jahren Befristung für die Zeit nach der Doktorarbeit, zur Qualifizierung für die Professur. Es sei völlig unrealistisch, in dieser kurzen Zeit die für eine Professur nötigen wissenschaftlichen Leistungen zu erbringen, sagt Amrei Bahr, ebenfalls von der Initiative #ichbinhanna.
Andere unbefristete Stellen neben der Professur gebe es kaum. Auf die meisten Hochqualifizierten warte nach jahrelangen Kettenbefristungen das Karriereende in der Wissenschaft: Sie müssten sich im Alter von Ende 30, Anfang 40 beruflich umorientieren und gingen dem Wissenschaftsstandort verloren.
Forschungsqualität in Gefahr
Eine Vielzahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hangele sich bis zur Professur von Projekt zu Projekt, von Befristung zu Befristung. "Ich arbeite inzwischen auf meinem zwölften Kettenvertrag", berichtet Jennifer Henke, die eine Vertretungsprofessur in Anglistik an der Universität Greifswald innehat. Die 43-Jährige weiß nicht, wie es im September weiter geht. Seit 2020 hat sie die zwölf Jahre erreicht, die eine Befristung maximal laufen kann. "Irgendwann ist es normal, dass man in ständiger Existenzangst lebt", berichtet sie.
Dass diese Befristungspolitik der Universitäten auf die Forschungsqualität schlägt, zeigt ein Aufsatz, der kürzlich in der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift "Nature" erschienen ist. Aufgrund zu kurzer Laufzeiten von Verträgen würden Forschungsprojekte nicht zu Ende geführt - oder Kompetenz gehe verloren, weil Mitglieder von Forschungsgruppen diese vorzeitig verlassen, heißt es dort. "Da kann es schonmal sein, dass man im Labor teure Maschinen angeschafft hat, aber sie niemand mehr bedienen kann", erzählt Eichhorn.
Weiß nicht, wie es nach zwölf Jahren Befristung weitergeht: Anglistin Jennifer Henke.
Abwanderung junger Wissenschaftler
"Im Ausland schüttelt man da nur den Kopf", sagt Milena Schönke dazu. Die Nachwuchswissenschaftlerin, die an Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes forscht, arbeitet inzwischen an einer Universität in den Niederlanden. Eigentlich hatte sie geplant, für die Zeit nach dem Doktor bis zur Professur wieder zurück nach Deutschland zu kommen. Schließlich hat sie an der Universität Göttingen studiert. Doch die Bedingungen seien einfach deutlich schlechter. In den Niederlanden gebe es unbefristete Verträge auch für den akademischen Mittelbau, also für alle, die nicht unbedingt Professor werden wollen, aber für Lehre und Forschung brennen.
Das Ganze sei mittel- und langfristig ein Problem für den Forschungsstandort Deutschland. Denn der sei mit den Befristungen und Zeitbegrenzungen deutlich unattraktiver als das Ausland. "Am Ende ist es auch ein Problem für die Steuerzahler, wenn hier die Leute gut ausgebildet werden und dann abwandern", sagt Schönke. Aus ihrem Studiengang der Molekularmedizin sei von etwa 25 Absolventinnen und Absolventen nur eine an eine deutsche Universität gegangen. Alle anderen seien in die Wirtschaft oder ins Ausland abgewandert, auch weil die Gehälter deutlich besser seien.
Gesetz "zurück in die Montagehalle"
Das Ministerium hat inzwischen das Gesetz wieder "zurück in die Montagehalle" gerufen, heißt es von der Staatssekretärin. Man will also nachbessern. Dazu trifft sich die Ministerin Bettina Stark-Watzinger mit verschiedenen Vertretern aus der Wissenschaft, darunter Mitgliedern der Hochschulrektorenkonferenz, der Wissenschaftlerinitiative #ichbinhanna und dem Deutschen Hochschulverband. In einer zweistündigen Anhörung und nachfolgenden Debatten will man vor allem Zuhören, um dann an einzelnen Punkten nachzujustieren.
"Das allein kann nur ein Startpunkt sein", sagt Amrei Bahr von der Initiative #ichbinhanna. Es brauche weitere Umgestaltungsmaßnahmen in anderen Bereichen in der Finanzierung der deutschen Wissenschaft. Weg vom kurzfristigen, projektbasierten Denken. Wichtig seien vor allem Perspektiven und unbefristete Arbeitsverträge, um Qualität zu schaffen und kluge Köpfe zu halten.