Shincheonji-Sekte Ein Endzeitkult, der in Deutschland missioniert
Eine christliche Sekte aus Südkorea breitet sich in Deutschland aus: Shincheonji. Die Mitglieder werben vor allem Studierende an. Was mit Bibellesen beginnt, endet laut Aussteigern mit Drill und Einschüchterung.
Eigentlich wollte Sophie nur shoppen gehen. Die Studentin war auf der Zeil in Frankfurt unterwegs, da sprach sie ein Mann an, ob sie nicht Lust hätte, mit ihm an einem Referat über die Bibel zu arbeiten. Die gläubige Christin sagte zu. Was sie nicht wusste: Der Mann war Mitglied bei Shincheonji, einer koreanischen Sekte.
"Shincheonji" bedeutet "neuer Himmel, neue Erde". Der Anführer der Gruppe lebt in Südkorea und heißt Lee Man-hee. Er ist über 90 Jahre alt, seine Anhänger halten ihn für unsterblich. Lee Man-hee war in Südkorea Mitglied in verschiedenen christlichen Splittergruppen, bis er mit Shincheonji in den 1980ern seinen eigenen Kult gründete. Er verheißt seinen Anhängerinnen und Anhängern nicht weniger als eine neue Welt in Einheit mit Gott. Die gibt es aber nicht umsonst.
In Deutschland warnt Oliver Koch, Weltanschauungsbeauftragter der Landeskirchen in Hessen, vor Shincheonji. "Aussteigerinnen berichten von Manipulationstaktiken", sagt er. "Sie berichten davon, dass sie einem großen Druck ausgesetzt sind und dass ihnen nahegelegt wurde, sich nicht kritisch zu informieren." Für Koch ist vor allem die Verschleierung des Kults ein Problem. Shincheonji missioniert nicht offen auf deutschen Straßen.
Unter Dauerdruck
Sophie fühlte sich zunächst wohl bei Shincheonji. Es gefiel ihr, sich so intensiv mit der Bibel zu beschäftigen. "Ich wollte zu dem Zeitpunkt Kontakt mit Leuten haben, die auch christlich interessiert sind", sagt sie. Sie habe sich dort verstanden und gesehen gefühlt.
Erst viel später verstand sie, dass sie es hier mit einer problematischen Gruppierung zu tun hatte. Stundenlange Bibelstunden und tägliche Arbeit für die Gemeinde setzten ihrer mentalen Gesundheit zu. "Irgendwann bestand mein Leben nur noch aus Shincheonji", sagt sie. Das hinterließ Spuren. "Ich habe vorher richtig gern Bibel gelesen. Aber ich konnte das einfach nicht mehr. Ich habe Angstzustände bekommen, wenn ich die Bibel aufgeschlagen habe."
Ein Team des Bayerischen Rundfunks recherchierte monatelang zu Shincheonji - von Frankfurt bis Seoul. Ein Informant aus dem inneren Kreis der Sekte berichtet darüber, wie Mitglieder bei Shincheonji unter Dauerdruck stehen. "Wir mussten immer missionieren”, sagt er. "Ich arbeitete von 8 Uhr bis 16 Uhr. Dann gab es eine Belehrung im Tempel. Danach mussten wir wieder missionieren, bis 23 Uhr."
Fragwürdige Praktiken
Dem Informanten zufolge musste jede Person in seiner Shincheonji-Gruppe pro Schicht mindestens zehn Menschen missionieren. Gelang das nicht, gab es Bestrafungen: "Eine Frau schaffte es nicht, Menschen zu missionieren. Der Gruppenleiter schrie sie an. Sie musste sich auf den Boden legen und sich dann mit Händen und Füßen zu einer Brücke hochdrücken - und das minutenlang." Auch andere ehemalige Shincheonji-Mitglieder berichteten dem BR von fragwürdigen Praktiken wie Stalking oder militärischem Drill.
Sophies Leidensdruck wurde immer größer. Sie suchte Hilfe in ihrer Gemeinde. Doch Shincheonji nahm ihre psychischen Probleme nicht ernst. Deshalb entfernte sie sich von der Bewegung. "Ich habe mich erstmal darauf konzentriert, wieder gesund zu werden und mir mein Leben und soziales Umfeld aufzubauen", sagt Sophie. Sie merkte, dass es ihr ohne Shincheonji viel besser geht. Dann zog sie einen Schlussstrich und stieg aus der Bewegung aus.
Mehr über Shincheonji gibt es in der neuen Staffel "Seelenfänger" zu hören - dem Podcast des Bayerischen Rundfunks, der sich mit Sekten und neureligiösen Kulten beschäftigt.