Kultursensible Pflege "Wir müssen die Kultur verstehen"
Viele Migranten haben in Deutschland eine neue Heimat gefunden, werden hier alt und zum Teil pflegebedürftig. In Pflegeeinrichtungen ist kultursensible Pflege gefragt. Wie sieht die aus?
Eine Tasse Kaffee, ein Schwätzchen darüber, was heute ansteht, und dann werden noch die Thrombosestrümpfe gewechselt. Jeden Tag freut sich Servet Hüseyin darauf, dass der ambulante Pflegedienst kommt. Die 73-jährige Rentnerin stammt aus der Türkei, seit dem Tod ihres Mannes lebt sie allein in ihrer Wohnung in Koblenz - und da möchte sie auch bleiben. Ihre Kinder wohnen außerhalb und können sie nicht pflegen. "Ein Sohn lebt in Stuttgart, einer in Lahnstein, die Tochter in Wallersheim, aber die arbeitet acht Stunden am Tag", erzählt Hüseyin.
Pflege, das bedeutet viel mehr als nur Medikamente geben oder Einkäufe erledigen, betont Yaren Yilmaz vom Pflegedienst ZA: "Einfach auch ein bisschen Gesellschaft leisten. Ich bin für das Soziale da, das muss einfach sein." Erleichtert wird das durch die Tatsache, dass sie türkisch spricht und die Kultur der Menschen kennt, die sie betreut.
Die 73-jährige Servet Hüseyin wohnt allein in ihrer Wohnung - Hilfe bekommt sie über den ambulanten Pflegedienst.
Sprache und Gepflogenheiten kennen
Das Team des Koblenzer Pflegedienstes mit 40 Mitarbeitern aus neun Nationen versorgt mehr als 300 Pflegebedürftige. "Das sind Menschen aus acht Nationen. Da ist es wichtig, dass unsere Pflegekräfte die Sprache sprechen, die ist das A und O", erklärt Geschäftsführer Zeki Akcan. "Und die Gepflogenheiten: Besuchen wir beispielsweise einen muslimischen Mitbürger, ziehen wir die Schuhe in der Wohnung aus. Wenn wir die Menschen zuhause pflegen, müssen wir ihre Kultur verstehen."
Im Fachjargon nennt sich das "kultursensible Pflege". Das bedeutet, dass Menschen auch im Alter entsprechend ihren kulturellen Prägungen und Bedürfnisse leben und gepflegt werden können. Immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund entscheiden sich dafür, in Deutschland zu bleiben und hier alt zu werden - derzeit sind es etwa 1,5 Millionen über 65-Jährige. Damit steigt auch die Zahl der pflegebedürftigen Migranten an - derzeit sind es nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts etwa 350.000.
Gesetzlich verankert
Die Notwendigkeit, Menschen aus anderen Kulturkreisen angemessen zu pflegen, hat man in Deutschland schon vor mehr als 20 Jahren erkannt. Damals kam die erste Generation der "Gastarbeiter" ins Rentenalter und Pflegeheime und -dienste mussten sich auf neue Herausforderungen einstellen.
Das Bedürfnis nach kultursensibler Pflege wurde vom Gesetzgeber anerkannt und im Paragraf 1 Absatz 5 Sozialgesetzbuch (SGB) XI festgeschrieben: "In der Pflegeversicherung sollen geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich der Pflegebedürftigkeit von Männern und Frauen und ihrer Bedarfe an Leistungen berücksichtigt und den Bedürfnissen nach einer kultursensiblen Pflege nach Möglichkeit Rechnung getragen werden."
Besonders, wenn alte Menschen dement werden und zunehmend in der Vergangenheit leben, kann kultursensible Pflege ein Schlüssel sein, um sie wertschätzend und würdevoll zu versorgen.
Auf Bedürfnisse der Bewohner eingehen
Kultursensible Pflege ist auch in Alten- und Pflegeheimen ein wichtiges Thema. Im AWO-Seniorenheim Remeyerhof entwickelt man derzeit ein Konzept, um auf die Bedürfnisse der Bewohner eingehen zu können. Ein Beispiel: Für die meisten Menschen ist es nicht relevant, von wem sie gepflegt oder gewaschen werden. Doch bei gläubigen Muslimen spielt das eine entscheidende Rolle.
AWO-Mitarbeiterin Isabel Neubauer erzählt: "Wer streng muslimisch gläubig ist, der hat auch eine besondere Abfolge beim Waschen. Also da fängt es schon an. Und natürlich wird darauf geachtet, wer pflegt, also dass Männer von Männern gepflegt werden und Frauen von Frauen. Das ist schon ganz wichtig."
Isabel Neubauer arbeitet in einem Seniorenheim der AWO.
Doch auch bei der Freizeitgestaltung mussten die Pflegekräfte umdenken. "Wir haben zum Beispiel einen Singkreis. Die alten Volkslieder, da können viele Menschen aus anderen Kulturkreisen nicht mitsingen. Also hatten wir zum Beispiel vor einigen Tagen hier einen Trommelworkshop. Das waren Kinder, die sind gekommen und alle haben mitgetrommelt. Damit erreichen wir jeden."