Muslime in Deutschland Vom Druck, sich rechtfertigen zu müssen
Keine oder ungenügende Abgrenzung zur Hamas? Nach dem Terrorangriff auf Israel fühlen sich manche Muslime in Deutschland einem Generalverdacht ausgesetzt.
Es ist nicht leicht, deutsche Muslime zu finden, die über den aktuellen Krieg in Nahost und die Debatte dazu in Deutschland sprechen wollen. Viele berichten von Angst und Sorgen, davon, nach öffentlichen Äußerungen im Kreuzfeuer zu stehen. Nicht weil sie sich nicht genügend und ausreichend von Hamas-Terroristen und den Gräueltaten des 7. Oktober distanzieren, sondern weil sie befürchten, dass ihre Aussagen aus dem Kontext gerissen werden, dass sie für ein zu hohes Empathiegefühl für getötete Menschen in Gaza verurteilt werden.
Viele Interviewpartner sagen nach einer ersten Zusage wieder ab. Drei wollen aber doch von ihren Gedanken berichten. Sie alle sind in der Integrations- und Antirassismusarbeit tätig, wollen nur aus dieser Rolle heraus reden, nicht als reine Privatpersonen.
Sie alle berichten Ähnliches: Sie schildern, wie es ist, sich andauernd rechtfertigen zu müssen.
"Angst, etwas Falsches zu sagen"
Ataman Yildirim verspürt diesen Druck. Er arbeitet bei einem Wohlfahrtsverband. Yildirim hat türkische Wurzeln und sagt, viele wollen daher von ihm wissen, was er zu dem Thema denkt, wie er dazu stehe. "Und das sind so Fragen, die ich bis jetzt nicht beantworten musste", berichtet er:
Ich bin hier aufgewachsen, fühle mich als Deutscher, ich habe mich immer auch dazugehörig gefühlt. Aber durch diese Fragen habe ich das Gefühl, dass ich bei anderen Menschen anders markiert werde - als jemand von außen, der sich nochmal erklären muss.
Von diesem Druck berichtet auch Mimoun Berrissoun. Er ist regelmäßig in Kontakt mit jugendlichen Muslimen, jungen Deutschen mit Migrationsgeschichte im arabischsprachigen Raum. Berrissoun leitet die Initiative "180 Grad Wende". Gegründet in Köln bietet sie Begegnungsmöglichkeiten, Seminare und Gesprächsrunden für junge Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen.
"Angst ist gerade ein ganz wichtiges Stichwort", erklärt er. "Manche Menschen haben Angst, etwas Falsches zu sagen. Sie haben auch Angst, dass sie sich zu dem Konflikt äußern und ihre Worte dann im Mund verdreht werden oder falsch interpretiert werden."
Fast täglich treffen Berrissoun und sein Team jugendliche Muslime, bei denen sich immer mehr dieses Gefühl verfestigt, die überfordert sind: "Ich habe in der Beratungsarbeit mit einem jungen Mädchen gesprochen, die selber Familie im Gazastreifen hat. Sie war in Tränen aufgelöst und hat mir auch erzählt, dass ihr Leid nicht besprochen werde." Nur eine von vielen Anekdoten, von denen Sozialarbeiter Berrisoun berichten kann. "Und dieses Mädchen ist eine Person, die deutlich Mitgefühl auch für jüdische Opfer auf israelischer Seite zeigt."
Diese Menschen trauen sich aber nicht ihr Mitgefühl für die Menschen in Gaza auszudrücken, weil sie befürchten, dass sie dann in eine Ecke gestellt würden. Dass nicht klar sei, dass sie trotz ihres Mitgefühls den Hamas-Terror verabscheuen.
Schwindendes Vertrauen in Medienlandschaft
Bei manchen schwinde dadurch massiv das Vertrauen in die gesellschaftliche Debatte und auch in die deutsche Medienlandschaft, so Berrissoun. Viele suchten die Antworten dann noch verstärkter auf Social Media Plattformen wie TikTok. Und das sei ein Problem, erklärt Berrissoun. "Diese jungen Menschen, die über TikTok und Co diesen Krieg ja quasi live mitverfolgen. Die dort ganz viele schreckliche Sachen sehen. Diese jungen Menschen werden allein gelassen und finden keinen Raum, wo sie ihre Gefühle ausdrücken können."
Bei vielen Influencern auf den Social-Media-Kanälen gebe es aber auch oft Falschinformationen oder gar Propaganda. Und trotzdem gelte es, die jungen Menschen, die daher ihre vermeintlichen Informationen haben, nicht direkt zu verurteilen, sondern erstmal aufzuklären und vieles einzuordnen. Berrissoun wünscht sich daher ein größeres Miteinander in unserer Gesellschaft: "Was ich ganz schlimm an der Debatte finde, ist, dass ein Ihr-und-Wir-Narrativ bedient wird und wir es nicht schaffen, als ein gemeinsames Wir zu sprechen."
Gedanken des Rückzugs
Auch bei Karima Benbrahim melden sich immer mehr Muslime mit ihren Ängsten und Sorgen. Sie ist Leiterin der Fach- und Dokumentationsstelle für Antirassismus in Nordrhein-Westfalen. "Kinder werden in der Schule gefragt, wie sie zur Hamas stehen", berichtet sie. "Auf der Arbeit wird eine Gesinnungsprüfung verlangt, wie man zu Israel steht oder auch zu dem Konflikt gerade und vor allem auch zu Antisemitismus. Und das ist etwas, was Sorge macht."
Es sei vor allem der Gedanke, sich unter Generalverdacht gestellt zu fühlen als muslimische oder auch nur muslimisch gelesene Person. Das bewege einige dazu, über persönliche Konsequenzen nachzudenken. "In den Anrufen, die ich jetzt seit dem 7. Oktober führe, sagen viele Muslime, dass sie auswandern möchten, dass sie Gedanken des Rückzugs haben, sich ohnmächtig, nicht gesehen fühlen. Und somit auch nicht mehr als Teil dieser Gesellschaft.“ Das sei eine Entwicklung, bei der wir gegensteuern müssten, betont Benbrahim. "Das sind deutsche Muslime."
Ataman Yildirim würde zwar nicht darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen, doch er wünscht sich weniger Pauschalisierung, weniger Rechtfertigungsdruck. "Ich sage, ich distanziere mich gegen Terror, gegen Hass. Aber auf der anderen Seite fehlt der Diskurs auf der ganzheitlichen Ebene." Und dann bringt er ein plakatives Beispiel: "Wenn wir in Düsseldorf rechtsextreme Anschläge hätten, würde kein Politiker sagen: Es müssen sich alle Deutsche in Düsseldorf distanzieren."