Ein Mann hält eine kleine Kinderhand.
Reportage

Arbeit im Kinderhospiz Zwischen Sterbebett und Geldnot

Stand: 12.02.2023 10:50 Uhr

Kinderhospizdienste begleiten Familien mit unheilbar kranken Kindern. Die Arbeit ist belastend. Zusätzlich müssen sie Spenden sammeln. Das Geld von den Krankenkassen deckt die Kosten nicht.

Seit mehr als zehn Jahren kümmert sich Helena Gareis vom Kinder- und Jugendhospizdienst Ortenau um Maya und ihre Familie. Sie ist eine Brückenbauerin, sagt sie. Sie kennt die Situation der Familie und hat den Überblick über mögliche Hilfsangebote. "Manchmal ist es wichtig, dass wir medizinisch noch mal Hilfe in die Familie holen, psychosozial unterstützen. Und dass wir immer ein offenes Ohr haben, für die Mutter und auch die Geschwisterkinder, die oft nicht viel Aufmerksamkeit bekommen können", erzählt sie.

Nicht essen, nicht sprechen, nicht laufen

Die 15-jährige Maya leidet seit ihrer Geburt am Miller-Dieker-Syndrom. Bei der Geburt hieß es, sie wird höchstens drei Jahre alt. Sie kann nicht sprechen, nicht essen, nicht laufen.

Wie eng das Verhältnis ihrer Familie zu Helena Gareis ist, merkt man schon bei der Begrüßung. Mutter Geli umarmt sie direkt, die zwölfjährige Juno nennt sie Helena und der zweijährige Semino will ihr gleich sein Feuerwehrauto zeigen.

Maya sitzt mittendrin im offenen Wohnzimmer, in ihrem Rollstuhl, eine bunte Decke über den Beinen. Hinter ihr ragt eine große Sauerstoffflasche auf, die durch Schläuche mit ihrer Nase verbunden ist. Gareis begrüßt auch sie liebevoll, spricht mit ihr, streichelt über Hand und Bein.

Die 15-jährige Maya und ihre Mutter Geli

Die 15-jährige Maya und ihre Mutter Geli. Maya leidet am Miller-Dieker-Syndrom, einer Krankheit in Folge einer Chromosomenanomalie.

Ganz nah dran

Man merkt ihr an, wie nah sie sich fühlt, dabei hat ihr Dienst allein im vergangenen Jahr 140 Familien betreut. "140 Familien sind 500 Menschen", sagt Gareis. Als Leiterin des Dienstes kennt sie alle. Deutschlandweit werden die Familien von 50.000 Kindern betreut, die unheilbar krank sind und sterben werden. Auch Mayas Leben steht ständig auf der Kippe. Kinder wie sie, mit seltenen Erkrankungen von Geburt an, werden deutschlandweit am häufigsten von Kinderhospizdiensten betreut. Für die Familien ist deren Angebot kostenlos, sie können es ab der Diagnose in Anspruch nehmen. Wie lange die Begleitung geht, ist meistens nicht vorherzusagen.

Maya ist jetzt 15. Das letzte halbe Jahr war sie fast durchgehend im Krankenhaus. Während ihre Mutter davon erzählt, kommen ihr die Tränen. "Du zerreißt dich in dem Moment, indem du bei dem einen Kind in der Klinik bist. Du hoffst, dass es die nächste Stunde überlebt. Und die anderen Kinder sind dann verteilt bei Freunden und Familie, das war das letzte halbe Jahr so."

Natürlich sei man da, wo es am meisten brennt. Aber ihre anderen beiden Kinder bräuchten sie eben auch. Juno sei voll in der Pubertät, der kleine Semino im Entdeckeralter. Der Kinderhospizdienst sei da eine große Unterstützung, würde immer weiterhelfen. "Sie sind immer ansprechbar, immer da, wenn es einfach gerade schlecht geht und nicht nur für die Eltern, nicht nur für die kranken Kinder, sondern auch, wie jetzt bei uns in der Familie, für die anderen beiden Kinder. Das ist so wichtig."

Zeit für die Geschwisterkinder

Während Mayas Mutter erzählt, sitzt Helena Gareis mit dem Kleinen auf dem Boden daneben und lässt Plastikfrösche in eine Schale hüpfen, ungeteilte Aufmerksamkeit nur für ihn. Mit Schwester Juno machen sie oder ihre Mitarbeitenden regelmäßig Ausflüge, letztes Mal waren sie bei einem Lama. "Helena ist eine gute Freundin für mich" sagt die Zwölfjährige. "Das heißt, ich habe Vertrauen und erzähle ihr viel." Auch darüber, dass es immer wieder so aussieht, als würde ihre Schwester jetzt sterben, kann sie mit Gareis sprechen. Ohne Angst zu haben, sie zu verletzen oder traurig zu machen.

Aktuell sehen sie sich ein- oder zweimal im Monat, da die Betreuung schon zehn Jahre geht und so viele andere Familien auch betreut werden müssen. Würde man einen Durchschnitt bilden, seien es deutschlandweit bei den Familien ein bis zwei Besuche in der Woche, berichtet Marcel Globisch vom Deutschen Kinderhospizverein. Weil es nur 170 ambulante Dienste gibt, haben sie oft weite Fahrtstrecken. Auch Helena Gareis fährt durch sämtliche Schwarzwaldtäler.

Helena Gareis spielt mit einem Jungen

Helena Gareis ist auch für Mayas Geschwister eine wichtige Person geworden.

Zu wenig Geld, zu wenig Mitarbeitende

Zurzeit hat ihr Dienst noch zwei weitere Mitarbeiter und eine Teilzeitkraft. Außerdem 35 Ehrenamtliche, brauchen würde sie 50. Weil es die nicht gibt, steht sie selbst immer wieder am Sterbebett und muss in der restlichen Zeit noch Spenden sammeln. Nur ein Teil ihrer Arbeit wird von den Krankenkassen gefördert. Trauerbegleitung, Gruppenangebote für Geschwister oder Beratungskosten sind zum Beispiel nicht abgedeckt. Außerdem gibt es für Kinder eine niedrigere Förderquote als für Erwachsenenbegleitung.

Für ihren Kinderhospizdienst hat Helena Gareis im vergangenen Jahr rund 350.000 Euro benötigt. 75 Prozent davon muss sie über Spenden decken. Einen Großspender gibt es nicht und so sammelt sie unermüdlich. Unter anderem bei Privatfeiern, Vereinen, Kirchenkonzerten. "Tatsächlich muss man das ein Stück weit mit dem eigenen Privatleben bezahlen", so Gareis. Sie ist immer in Rufbereitschaft für Familien in der Not. "Auch an Weihnachten passiert es immer wieder, der Tisch ist gerade gedeckt, der Christbaum leuchtet. Und dann ruft jemand an. Es gehe einem Kind sehr schlecht, ein Kind sei gestorben. Da habe ich es bisher noch nie fertig gekriegt zu sagen, ich komme jetzt nicht."

Lebenswichtige Wünsche

Ihre Arbeit sei sinnvoll, und daraus schöpfe sie tagtäglich Kraft. Gleichzeitig wünscht sie sich mehr finanzielle Unterstützung durch den Staat. Damit sie und die anderen Kinderhospizdienste sich neben der schwierigen Arbeit nicht noch ständig Sorgen um das Geld machen müssten. Viel lieber würde sie Spenden hauptsächlich dafür verwenden, Wünsche der Familien zu erfüllen.

So wie bei Mayas Familie. Mutter Geli wünscht sich ein Auto, in das ihre ganze Familie passt und die medizinisch nötigen Geräte für Maya, vor allem eine zusätzliche Sauerstoffversorgung. Ihr jetziges ist viel zu klein. Kürzlich hatte sie eine Panne. Da musste sie einen Rettungswagen für Maya rufen. Hätte sie abgewartet, bis der ADAC ihr Auto repariert hat, hätte Maya wohl nicht überlebt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das "Morgenecho" auf WDR5 am 10. Februar 2023 um 06:05 Uhr.