Überforderte Gerichte Asylgerichtsverfahren viel länger als vorgegeben
In den meisten Bundesländern dauern Asylgerichtsverfahren viel zu lange. Das wollten Bund und Länder eigentlich ändern. Doch nur ein Bundesland schafft bisher die Zielvorgaben.
Richterin Jennifer Panzer verhandelt am Verwaltungsgericht in Köln die Zukunft eines Mannes aus Tadschikistan. Drei bis sechs Monate sollen Asylgerichtsverfahren in Deutschland eigentlich nur noch dauern. So haben es Anfang November 2023 Bund und Länder beschlossen.
Im Verwaltungsgericht Köln sieht die Realität anders aus. Durchschnittliche Verfahrensdauer hier ist aktuell: 27,7 Monate. "Wir würden alles dafür tun, auch die drei Monate einzuhalten, wenn uns auch an der Stelle dann die nötige Richterkraft zur Verfügung steht", sagt Panzer.
Politik will Verfahren beschleunigen
Überarbeitete Richterinnen und Richter, zu viele Fälle, zu lange Bearbeitungszeiträume. Auch deshalb ist schon zum 1. Januar 2023, also vor knapp anderthalb Jahren, auf Bundesebene das Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren in Kraft getreten.
Bekräftigt wurde das Ziel Anfang November 2023 durch den Beschluss von Bund und Ländern, dass Asylgerichtsverfahren künftig in drei bis sechs Monaten abgeschlossen sein sollen. Und tatsächlich ist die durchschnittliche Verfahrensdauer seitdem gesunken. Das liegt jedoch nicht zuletzt daran, dass in vielen Gerichten die Altfälle von 2015 bis 2017 endlich abgearbeitet wurden.
Die Wirklichkeit an vielen Gerichten ist weit weg von den klaren zeitlichen Vorgaben der Politik. Dabei sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bundesländern erheblich: Während die Hessener Verwaltungsgerichte noch durchschnittlich 29 Monate bis zum erstinstanzlichen Urteil brauchen, zeigt Rheinland-Pfalz als einziges Bundesland, dass die politischen Vorgaben tatsächlich umsetzbar sind.
Rheinland-Pfalz als Vorreiter
Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Das Land hat alle Asylgerichtsverfahren auf das Verwaltungsgericht Trier zentralisiert - nur hier werden solche Verfahren noch bearbeitet. Richter Andreas Hermann findet das gut: "Dadurch kann man natürlich auch die Herkunftsländer speziell auf Kammern zuordnen und erhält als Richter einen hohen Spezialisierungsgrad."
Er selbst sei beispielsweise im Verwaltungsgericht Trier seit eineinhalb Jahren auf die Herkunftsländer Irak, Russland, Georgien und seit neuestem auch El Salvador spezialisiert.
"Damit befassen wir uns dann halt tagtäglich", sagt Hermann. Man spare viel Zeit, indem man sich nicht ständig in neue Hintergründe einarbeiten müsse.
Spezialisierung, Personal, Digitalisierung
Ein weiterer Grund für die Schnelligkeit der Asylgerichtsverfahren in Trier sei der hohe Grad an Digitalisierung im Verwaltungsgericht. "Wir haben seit einem Jahr auch die sogenannte elektronische Gerichtsakte bei Gericht, weil eben der ganze Papierkram wegfällt und alles elektronisch ablaufen kann", so Hermann.
Da sei schon viel Zeitersparnis drin, sagt Hermann. Hinzu käme auch ein guter elektronischer Austausch mit anderen Behörden. Durch die neue Digitalisierung werde viel Zeit gespart.
Und dann ist da noch die gute personelle Ausstattung: 23 Richterinnen und Richter seien aktuell im aktiven Dienst. Nach Bedarf würden immer wieder zeitweise zusätzliche eingestellt, um auch schwierige Phasen gut zu überstehen.
Das älteste Verfahren sei deshalb aus dem Jahr 2023 am Verwaltungsgericht Trier, sagt Hermann. Zu Spitzenzeiten, kurz nachdem in den Jahren 2014 und 2015 so viele Asylanträge gestellt wurden, hätten 38 Richterinnen und Richter Asylgerichtsverfahren bearbeitet. Altfälle gebe es deshalb hier nicht, so Hermann.
Nordrhein-Westfalen versucht eigenen Weg
Auch andere Bundesländer betonen, dass sie bereits gehandelt hätten. Nordrhein-Westfalen beispielsweise setzt auch auf Digitalisierung und hat vor wenigen Wochen verkündet, zumindest die Verfahren von Herkunftsländern, die nur selten vorkommen, in bestimmten Gerichten bündeln zu wollen.
Der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach ist überzeugt: "Damit erreichen wir, dass diese Gerichte sich auf diese Weltregion spezialisieren können", so der Grünen-Politiker.
Für die Opposition in Nordrhein-Westfalen ist das Augenwischerei. "Die stärksten Zuwanderungsländer sind gar nicht davon betroffen. Es sind Länder, wo ganz wenige Asylsuchende eigentlich hier nach Deutschland kommen und dann auch nach Nordrhein-Westfalen; und dafür soll es die Sonderzuständigkeit geben", sagt FDP-Politiker Werner Pfeil, der Vorsitzender des Rechtsausschusses im Landtag ist.
Alle anderen Verfahren würden weiter ohne Zuständigkeit oder Spezialisierung bearbeitet und kosteten somit die Richterinnen und Richter viel Zeit.
Zu wenig Personal in Nordrhein-Westfalen?
Hinzu kommt: 123 Stellen für Richter und Staatsanwälte sind derzeit in Nordrhein-Westfalen unbesetzt. Den Ruf aus der Opposition und der Richterschaft nach mehr Personal, weist der zuständige Justizminister jedoch zurück. Man habe ausreichend Personal.
"Ich gehöre nicht zu den Leuten, die als erstes nach neuen Stellen rufen, sondern erst mal sagen: Wir müssen gucken, ob wir mit organisatorischen Maßnahmen und anderen Maßnahmen auch eine Verfahrensbeschleunigung hinbekommen können", so Limbach. "Und das halte ich in dieser angespannten Haushaltslage für eine sinnvolle Maßnahme."
Am Verwaltungsgericht Köln würde die Belastung derzeit leicht abnehmen, sagt Richterin Panzer. Das würde aber auch daran liegen, dass die Rückstände aus den Jahren 2015 bis 2017 langsam, aber sicher abgearbeitet würden. Grund für eine Entwarnung ist das nicht. Die Anzahl der Asylanträge steigt seit 2021 wieder - zusätzliche Arbeit für Panzer und ihre Kolleginnen und Kollegen.