Ein Schweißer aus Somalia bei Arbeiten für eine Firma in Fürstenwalde, Brandenburg
Hintergrund

Fachkräfte im Kabinett Zuwanderung mit Hindernissen

Stand: 19.12.2018 16:01 Uhr

Bis zum Schluss hatten sie gerungen - jetzt hat die Koalition doch noch das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht. Doch in der Union sind noch nicht alle zufrieden.

Von Sandra Stalinski, ARD-aktuell

Für einen Gesetzentwurf aus der Feder Horst Seehofers ist das ziemlich weitgehend, was heute das Kabinett passierte. Die SPD hatte es im Streit um den Asylkompromiss im Sommer zur Bedingung gemacht, dass ein Fachkräfte-Einwanderungsgesetz noch in diesem Jahr ins Gesetzgebungsverfahren geht. Innenminister Seehofer hat sich daran gehalten. Obwohl in der Union bis zuletzt nicht klar war, ob es nicht doch noch kippt.

Die symbolische Bedeutung des Gesetzes ist nicht zu unterschätzen: Nach 30 Jahren Debatte hat die Große Koalition jetzt erstmals ein Einwanderungsgesetz geschaffen. Es geht darum, qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten nach Deutschland holen zu können - und denjenigen eine Chance zu geben, die hier bereits längere Zeit arbeiten.

Ist Deutschland jetzt Einwanderungsland?

"Ist Deutschland jetzt ein Einwanderungsland?", lautete eine Frage an Seehofer bei der Vorstellung des Gesetzes. "Warum müssen Sie mir vor Weihnachten noch Schmerzen zufügen?", entgegnete Seehofer. Wirtschaftsminister Peter Altmaier sprang schmerzlindernd ein: Deutschland sei jetzt eben ein Fachkräfte-Einwanderungsland.

Nicht ganz verwunderlich also, dass es zuletzt in den Reihen der Union massive Widerstände gab. Von "Einwanderung in die Sozialsysteme" war die Rede und gar von einem "neuen Geschäftsmodell" für Schleuser. Um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde an einigen Stellen nun etwas nachgebessert. Die Kernelemente des Gesetzes aber sind geblieben.

Arbeitsmigration für Menschen mit Berufsausbildung

Bisher war es für Ausländer aus Nicht-EU-Staaten nur dann möglich, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen, wenn sie einen Hochschulabschluss haben. Jetzt soll diese Regelung auf alle ausgeweitet werden, die eine Berufsausbildung nachweisen können.

Die sogenannte Vorrangprüfung fällt dabei weg: Es muss also nicht mehr geprüft werden, ob ein Deutscher oder EU-Bürger für die betreffende Stelle in Frage kommt. Außerdem gilt künftig keine Beschränkung mehr auf die von der Bundesagentur für Arbeit ermittelten Engpassberufe, in denen besonderer Bedarf herrscht. Stattdessen kann - mit nachgewiesener Qualifikation - jeder kommen, der einen Arbeitsvertrag vorweisen kann.

Einreise zur Arbeits- und Ausbildungsplatzsuche

Auch die Einreise zur Arbeitssuche war bisher nur für Hochschulabsolventen möglich. Künftig sollen auch Facharbeiter für sechs Monate einreisen können, um in Deutschland eine Arbeitsstelle zu suchen. Voraussetzung ist, dass sie gut genug Deutsch sprechen und für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Der Bezug von Sozialleistungen ist ausgeschlossen. Zudem behält sich das Arbeitsministerium vor, per Verordnung Berufsgruppen festzulegen, für die keine Aufenthaltserlaubnis zur Jobsuche erteilt wird. Also dann, wenn es beispielsweise in einem Bereich viele Arbeitslose gibt.

Wer unter 25 Jahren ist, darf auch zur Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz für sechs oder neun Monate kommen. Voraussetzung ist hier ein relativ hohes Sprachniveau (B2) und dass der Lebensunterhalt ohne staatliche Mittel gesichert ist. Kritiker dieser Regelung haben hier auf den letzten Metern noch eine Verschärfung ausgehandelt: "Das wird allein für Absolventen deutscher Auslandsschulen und Personen mit einem Schulabschluss gelten, der nach einer Liste der Kultusministerkonferenz zum Hochschulzugang berechtigt", sagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg gegenüber tagesschau.de. Eine Einschränkung, die die Regelung womöglich weitgehend wirkungslos machen könnte. Zumal sie auf fünf Jahre begrenzt ist.

Anerkennung der Qualifikation

Die Anerkennung der "Gleichwertigkeit der Qualifikation" ist bislang ein Nadelöhr beim Versuch, in Deutschland zu arbeiten. Da nur sehr wenige andere Länder das duale Ausbildungssystem kennen, waren diese Anerkennungsverfahren bislang mit sehr vielen Schwierigkeiten verbunden.

Mit dem neuen Gesetz soll es aber die Möglichkeit geben, sich "unter bestimmten Voraussetzungen" die im Ausland erworbene berufliche Qualifikation erst nach Einreise in Deutschland anerkennen zu lassen. Auch eine Nachqualifizierung soll unter Umständen möglich sein. Zwar sind auch hier wieder Sprachkenntnisse Voraussetzung. Wenn es in der Praxis funktioniert, könnte mit dieser Neuerung aber ein entscheidendes Hindernis beseitigt worden sein.

Weil Kritiker befürchteten, dass hier ein Einfallstor für quasi Ungelernte geschaffen werden könnte, wurde die Regelung vorerst auf fünf Jahre begrenzt.

Eigenes Gesetz: Beschäftigungsduldung

Hauptstreitpunkt war bis zuletzt der einst heftig diskutierte "Spurwechsel", jetzt genannt: Beschäftigungsduldung. Dabei geht es um Menschen, die bereits in Deutschland sind, hier arbeiten und eine Duldung haben. Ein abgelehnter Asylbewerber beispielsweise, der aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden kann. Mit der neuen Regelung ist also erstmals ein Wechsel vom Asyl- ins Einwanderungsverfahren möglich.

"Im Kern geht es darum, dass wir nicht die Falschen abschieben", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil. Es sollten nicht Leute, die hier schon gut integriert seien und arbeiteten, zurückgeschickt werden, um dann auf anderen Wegen mühevoll benötigte Fachkräfte anzuwerben. Weil viele in der Union aber eine strikte Trennung von Asyl und Arbeitsmigration wollen, wurde die Beschäftigungsduldung in ein eigenes Gesetz ausgekoppelt. Eine Nachbesserung, die rein symbolischer Natur ist.

Was bisher erst nach sechs bis acht Jahren Duldung möglich war, nämlich einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten, geht jetzt etwas schneller. Wer mindestens 18 Monate sozialversicherungspflichtig bei mindestens 35 Wochenstunden beschäftigt und seit mindestens zwölf Monaten geduldet ist, kann zunächst eine Beschäftigungsduldung für 30 Monate erhalten. Danach besteht dann die Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis. Um den Kritikern entgegenzukommen, wird die Regelung nur bis zum 29. Juni 2022 gelten.

Ausbildungsduldung vereinheitlicht

Schon jetzt gibt es die Regelung, dass abgelehnte Asylbewerber in der Ausbildung nicht abgeschoben werden sollen und nach Abschluss der Lehre noch zwei Jahre in Deutschland arbeiten dürfen. Das wird jetzt ausgedehnt auf Helferberufe, sofern darauf eine qualifizierte Ausbildung in einem Mangelberuf folgt. Diese sogenannte Drei-plus-Zwei-Regelung soll zudem in allen Bundesländern einheitlich angewendet werden.

Beide Gesetze sollen zum Beginn des Jahres 2020 in Kraft treten. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass es im parlamentarischen Verfahren noch leichte Änderungen geben wird.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten am 19. Dezember 2018 die tagesschau um 12:00 Uhr sowie um 15:00 Uhr und tagesschau24 um 15:10 Uhr.