Digitalisierung der Gesundheitsämter Echtzeit statt Excel
Trotz fallender Infektionszahlen sind die Gesundheitsämter überfordert. Nach wie vor arbeiten viele mit Excel-Listen und selbstgebastelter Software. Inzwischen tut sich etwas - aber nur langsam.
Noch immer haben die Gesundheitsämter in Deutschland Schwierigkeiten bei Corona-Kontaktpersonen und Infektionsketten den Überblick zu behalten. Doch inzwischen stellt der Bund ihnen eine Software zur Verfügung, die sie genau dabei unterstützen soll. Laborbefunde, Kontaktpersonen, Symptome erfassen, so dass alle relevanten Stellen in Echtzeit darauf Zugriff haben - all das kann die Software. Oder vielmehr: Sie wird es bald können.
Und genau da fangen die Probleme an. Als im Frühjahr des vergangenen Jahres die erste Welle der Pandemie über Deutschland hinweg schwappte, arbeiteten Gesundheitsämter und Labore noch mit Zettelwirtschaft und Faxen. Weil es keine adäquate Software für alle gab, mussten sie sich selber helfen, um die Flut an Informationen zu bewältigen. So entstanden deutschlandweit unzählige Insellösungen, selbstgebastelte Programme, Excel-Listen, jeder arbeitete ein wenig anders.
Datenübertragung per Ausdruck und Fax
Doch immer dann, wenn die Informationen einem anderen Gesundheitsamt, einem anderen Landkreis zur Verfügung gestellt werden mussten, kamen doch wieder Ausdrucke und Faxe zum Einsatz, weil die Programme der verschiedenen Ämter nicht miteinander kompatibel waren und es keinen anderen Weg gab, die Informationen datenschutzkonform zu übertragen. Um dieses Vakuum zu füllen, nahm der Bund Geld in die Hand und unterstützte das Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung bei der Weiterentwicklung der Software Sormas (Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System).
Ursprünglich hatten die Helmholtz-Forscher sie für den Ebola-Ausbruch 2014 in Westafrika entwickelt und jetzt an die Anforderungen der Corona-Pandemie angepasst. Doch das alles brauchte Zeit und inzwischen hatten die meisten Gesundheitsämter sich mit ihren eigenen Programmen gut eingerichtet. Jetzt, wo die Software in der Version Sormas-ÖGD allen vom Bund kostenfrei zur Verfügung gestellt wird, sind nicht alle begeistert. Denn die Neueinführung einer Software, in der zweiten Welle der Pandemie, wo die Mitarbeiter ohnehin völlig überlastet sind, würde zusätzlich Zeit und Nerven kosten, vielleicht sogar kurzzeitig das ganze System zum Einsturz bringen.
Nur ein Drittel der Ämter nutzt moderne Software
Zwar gab es vor zwei Wochen einen Bund-Länder-Beschluss, der die bundesweite einheitliche Einführung von Sormas vorsieht. Doch da jede Gesundheitsamtsleitung das selbst entscheiden kann, dürfte das noch eine Weile dauern. Bislang nutzen nur etwa ein Drittel der Gesundheitsämter in Deutschland die neue Software: 111 von 375 waren es zum Jahreswechsel. Einzelne Ämter in Berlin und Bonn ließen bereits verlauten, mit der Einführung vorerst noch zu warten.
Für die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Schmidtke ist das ein Unding. "Ich appelliere an die verantwortlichen Bürgermeister und Landräte, die zentrale Sormas-Lösung nun schnellstmöglich zu implementieren. Jede Umstellung kann Leben retten", sagte die CDU-Politikerin gegenüber den Funke-Medien. "Der öffentliche Gesundheitsdienst ist in der Hochphase der Pandemie weiterhin von Insellösungen bestimmt, obwohl innerhalb von nur 48 Stunden inklusive Schulung für jedes Gesundheitsamt bereits die Umstellung geschafft sein kann", kritisierte sie.
Der Leiter der Fachstelle Covid beim Gesundheitsamt Rhein-Sieg-Kreis, Ralf Thomas, hat sehr gute Erfahrungen mit der Software gemacht. Der Kreis ist Modellkommune und nutzt Sormas schon seit Juli des vergangenen Jahres. "Ein sehr wichtiger Schritt war, dass die Labore seit Anfang des Jahres verpflichtet sind, Positivbefunde digital an uns weiterzuleiten", sagt er im Gespräch mit tagesschau.de.
Fehler und Doppelerfassung vermeiden
Das geschieht zwar über ein anderes System, namens Demis, allerdings sind die Daten daraus in Sormas importierbar. "So können Fehler bei der Übertragung vermieden werden", erklärt Thomas. Auch das Melden der Daten an das Landeszentrum für Gesundheit (LZG) werde bald vereinfacht. Noch müssen die Daten doppelt eingegeben werden, weil zur Meldung an das LZG wieder eine andere Software (SurvNet) verwendet wird. Diese sei aber bald in Sormas integriert, lobt Thomas.
Und noch einen entscheidenden Vorteil wird die Software in ihrer neuen Version Sormas eXchange haben: die Vernetzung mit anderen Gesundheitsämtern über Landkreise hinweg. Dann müssen Daten von Kontaktpersonen, die nicht im eigenen Zuständigkeitsbereich sind nicht mehr per Fax oder Telefon weitergegeben werden, sondern können unmittelbar nach Erfassung vom zuständigen Gesundheitsamt eingesehen werden. "Diese Vernetzung wird das Verfolgen von Infektionsketten enorm erleichtern und vor allem beschleunigen", sagt Thomas.
Noch befindet sich die neue Version in der Erprobung, könnte aber noch im Laufe dieses Monats freigeschaltet werden. Dann, so die Hoffnung der Verantwortlichen, könnten sich noch mehr Gesundheitsämter überzeugen lassen, auf die neue Software umzustellen.
Verzögerungen am Wochenende bleiben
Das bringt nicht nur Zeitersparnis für die überlasteten Gesundheitsämter, sondern könnte auch Antworten auf die Frage nach Infektionsherden geben. Denn auch wo sich jemand angesteckt hat, wird - soweit bekannt - in Sormas eingetragen. So ließe sich bundesweit schnell ein Überblick gewinnen, ob beispielsweise Schulen oder Kitas stark zur Ausbreitung der Infektionen beitragen - oder nicht.
In der Zukunft ist auch eine Schnittstelle der Software ans Robert Koch-Institut geplant. Was sich dadurch allerdings nicht ändern wird, ist die zeitliche Verzögerung bei der Meldung der Infektionszahlen am Wochenende. Die hat nämlich nur teilweise mit den derzeitigen Meldewegen zu tun, sondern vor allem auch damit, dass nicht alle Teststationen und Labore an den Wochenenden durchgängig arbeiten. Zudem ist insbesondere am Sonntag für die Datenerfassung auch in vielen Gesundheitsämtern weniger Personal vor Ort.