Computer-Arbeitsplatz

EU-Datenschutzregeln DSGVO Panik war gestern

Stand: 27.12.2018 03:46 Uhr

Der Start im Mai war rumpelig: Die neue Datenschutzgrundverordnung war für viele zunächst ein Bürokratiemonster. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt. Eine Zwischenbilanz.

Von Christian Feld, ARD Berlin

Noch ein paar Tage nimmt die Jury der Aktion "Unwort des Jahres" Vorschläge entgegen. Bis Anfang Dezember stand weit oben auf der Liste der häufigsten Nennungen auch "DSGVO", das Kürzel für die EU-Datenschutzgrundverordnung. Aus Sicht der Jury ein klassisches Missverständnis. Es handele sich nicht um eine Formulierung, die "gegen das Prinzip der Menschenwürde" oder die "Prinzipien der Demokratie" verstoße. Die Einsender ärgerten sich eigentlich über das Gesetz selbst.

"Ein überfälliges Großreinemachen"

Befürworter sehen in der Datenschutzverordnung einen großen Fortschritt für Verbraucher. Überall in der EU sollen gleich strenge Regeln zum Schutz persönlicher Daten und damit der Privatsphäre gelten. Seit einem guten halben Jahr - nach einer zweijährigen Übergangsphase - wird das Gesetzeswerk voll angewendet. EU-Justizkommissarin Vera Jourova nennt das im "Spiegel"-Interview eine "nützliche Aufräumaktion, ein überfälliges Großreinemachen".

Überall in Unternehmen und Behörden seien "regelrechte Datenhalden" entdeckt worden, die nicht mehr genutzt worden und schlecht gesichert gegen Hackerangriffe gewesen seien. Apple-Chef Tim Cook sagt im "Focus": "Die EU-DSGVO ist ein unglaubliches Fundament, auf das wir alle aufbauen sollten." Auch die USA würden eine solche Regulierung bekommen.

Bürokratiemonster oder Meilenstein?

Ein Meilenstein mit weltweiter Strahlkraft? Auf lange Sicht könnte sich das als richtig erweisen, doch der Start im Mai war rumpelig. Für viele waren die neuen Datenschutzregeln in erster Linie ein Bürokratiemonster. Die Verunsicherung bei Privatpersonen, Vereinen und Unternehmen war groß. Mittlerweile hat sich die ganz große Aufregung gelegt, zum Beispiel bei "Westönnen Online". Jahrelang diente das ehrenamtliche Projekt als lokale Informationsplattform für den Ortsteil Westönnen im westfälischen Werl. Doch aus Angst, gegen die neue Verordnung zu verstoßen und ein hohes Bußgeld zu kassieren, schalteten die Macher die Seite ab. Der Vereinsvorsitzende Manfred Zeppenfeld sagte im Mai: "Das Risiko ist einfach zu groß." Bald jedoch wird "Westönnen Online" wieder verfügbar sein. Nach Beratung durch Fachanwälte und geringe Änderung an der Seite soll das Portal im ersten Quartal 2019 online gehen.

Die EU-Verordnung sei nach wie vor eine Erfolgsstory, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber im Gespräch mit tagesschau.de. Er übernimmt im Januar das Amt des Bundesdatenschutzbeauftragten. Für manche sei es ein "Aha-Erlebnis" gewesen, sich überhaupt mit Datenschutz zu beschäftigen, obwohl die Regeln bereits lange vorher gegolten hätten. "Dann war durchaus von interessierter Seite für Chaos gesorgt worden, weil man in dem Bereich entweder seinen Kampf gegen den Datenschutz führen kann oder sich Beratungsaufträge sichern konnte."

Posse um Klingelschilder

Besonders absurd war die Diskussion über Klingelschilder: Dürfen Vermieter den Namen ihrer Mieter ohne Einwilligung anbringen? Eine Hausverwaltung in Wien hatte begonnen, an 220.000 Wohnungen die Schilder gegen die Wohnungsnummer auszuwechseln. Zuvor hatte sich ein Mieter beschwert. Eine Behörde sah einen Verstoß gegen die DSGVO gegeben. Dieser Auffassung folgte in Deutschland ein Immobilien-Eigentümerverband und empfahl seinen Mitgliedern: besser Namensschild entfernen, sonst drohen womöglich Bußgelder. Am Ende musste die Bundesdatenschutzbeauftragte klarstellen, dass hier die Verordnung überhaupt nicht zur Anwendung komme. Ende der Posse.

Die anfängliche Panik ist vorbei, die befürchtete Abmahnwelle bisher ausgeblieben. Alles gut also? Nein, sagt der Berliner Rechtsanwalt Niko Härting, der die EU-Verordnung von Anfang an kritisch gesehen hat. Über die neuen Regeln seien unglaublich steile Thesen von selbsternannten Beratern im Umlauf. Doch die wirklichen Probleme sieht er woanders. Die DSGVO sorge für viel Unsicherheit und Unklarheit: "Es war vorhersehbar, dass es sehr viel Spielraum für Interpretationen gibt. Bei Fotos ist es besonders schwierig." Aus Sicht von Härting würden die Aufsichtsbehörden noch nach einer Strategie suchen. Er verweist darauf, dass bisher nur einmal ein Bußgeld verhängt wurde.

Saftige Bußgelder

Die Bußgelder bei Datenschutzverstößen können massiv sein. Doch die Plattform "Knuddels", der erste Fall, kam mit 20.000 Euro vergleichsweise milde davon. Die Betreiber hatten die Probleme von sich aus gemeldet und mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Baden-Württemberg kooperiert. Der ließ wissen, es gehe ihm nicht um einen Wettbewerb um möglichst hohe Summen.

"Die Behörden sind regelrecht überrannt worden", sagt Joerg Heidrich, Fachanwalt für IT-Recht. Die bisherige Zurückhaltung bei den Bußgeldern findet er in Ordnung. Mittlerweile seien aber einige Verfahren eingeleitet und würden bald öffentlich werden: "Da wird es wohl in der ersten Jahreshälfte ziemlich knallen." Eine einheitliche Auslegung der DSGVO sieht Heidrich bei den einzelnen Landesdatenschutzbehörden noch lange nicht: "Ich habe den Eindruck: Je länger es dauert, desto mehr geht es auseinander."

Anwälten dürfte nicht die Arbeit ausgehen

Die Diskussion über die Datenschutzverordnung wird also kontrovers bleiben. Beratern und Anwälten dürfte nicht die Arbeit ausgehen. Der designierte Bundesdatenschutzbeauftragte Kelber sagt: "Der nächste große Datenschutzskandal wird kommen. Wenn es dann Möglichkeiten des Durchgriffs gibt, wird sich auch das Image verbessern." Warten will er darauf nicht, sondern möglichst schnell der DSGVO zu einer positiveren Wahrnehmung verhelfen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 16. Mai 2018 um 22:15 Uhr.