Wahlkampf Mit harten Bandagen?
Bisher geht es im Bundestagswahlkampf viel um Personen - und nur wenig um Inhalte. Aber wird er deshalb auch schmutziger geführt als früher?
In Deutschland wird "Negative Campaigning" - also der Versuch, selbst besser dazustehen, indem man den politischen Gegner schlecht macht - vor allem mit den USA verbunden. Dort ist diese Strategie weit verbreitet, auch weil immer nur zwei Kandidaten gegeneinander antreten.
Der Kognitionspsychologe Christian Stöcker spricht von "Stammesdenken", einem "die gegen uns", der politische Diskurs verrohe zusehends. In Deutschland müssen Parteien dagegen immer im Blick haben, dass sie nach der Wahl möglicherweise miteinander koalieren müssen. Laut Stöcker hat das "zwangsläufig eine zivilisatorische Wirkung". Das heißt aber nicht, dass hierzulande nie ohne harte Bandagen gekämpft wurde und wird.
Diffamierter Willy Brandt
In den 1960er-Jahren etwa diffamierten Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und andere Unionspolitiker SPD-Herausforderer Willy Brandt. Dass dieser auf der Flucht vor den Nazis im Exil seinen Geburtsnamen Frahm abgelegt und nach Kriegsende nicht wieder angenommen hatte, legte die Union ihm als fehlendes Nationalgefühl aus.
Auch in späteren Jahren gab es immer wieder persönliche Angriffe auf politische Gegner. Allzu offensichtliche Schmutzkampagnen hält der Psychologe Stöcker nicht für zielführend, um unentschlossene Wähler für sich zu gewinnen. Was aber schon als Kampagne funktionieren könne: ein ungutes Gefühl, ein diffuses Misstrauen gegen andere Parteien und deren Führungspersonal zu erwecken.
Seehofer: Baerbock mit Respekt begegnen
In den vergangenen Wochen sah sich Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock vielen Vorwürfen ausgesetzt: Ungenauigkeiten in ihrem Lebenslauf, nachträglich angegebene Nebeneinkünfte, ein Buch ohne Quellenangaben. CSU-Generalsekretär Markus Blume bezeichnete sie als "Schummel-Baerbock". Der scheidende Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) findet, dass eine gewisse Schärfe zur politischen Auseinandersetzung dazugehört. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er, "das sind diese Härtetests, durch die jeder muss, der das Land führen will." Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio betonte er aber auch, er halte Baerbock für geeignet. Auch habe man "einem Wettbewerber mit Respekt zu begegnen".
Unterstützung aus der SPD
Auch der Spitzenkandidat der SPD, Vizekanzler Olaf Scholz, ist der Ansicht, dass im Umgang mit Baerbock "manches nicht fair und gerecht" sei. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel rät der Grünen-Spitzenkandidatin, die Kritik als eine Art "Wertschätzung" zu sehen. Sie werde gerade "auf ihre politische Schussfestigkeit getestet". Den Medien wirft Gabriel via Twitter vor, sie hätten "Schaum vor dem Mund" und dieser Schaum verdecke den Voyeurismus, "endlich mal wieder eine Frau scheitern zu sehen, die sich wagt, was zu wollen".
Aufmerksamkeit für Negatives größer
"Only bad news are good news", heißt es. Wenn etwas nicht klappt, falsch läuft oder Probleme auftauchen, sorgt es für mehr Aufmerksamkeit als positive Meldungen. Bei Baerbock fällt aber auf, dass sie teils strengeren Maßstäben genügen muss als ihre Mitbewerber um das Kanzleramt. So schlägt ihr Buch höhere Wellen als etwa die unentschiedene Haltung von CDU-Spitzenkandidat Laschet zum Thüringer Direktkandidaten Maaßen oder die Erinnerungslücken von SPD-Politiker Olaf Scholz bei der Aufarbeitung der Cum-Ex-Betrügereien.
Social Media: neuer Ton, andere Dynamik
In den sozialen Medien rutscht die Kritik an Baerbock oft auch ins Frauenfeindliche ab. Überhaupt ist auf Facebook und Co. der Ton rau. Laut Stöcker, der zum Thema "digitale Kommunikation" forscht, sind Accounts aus dem "weit rechten Spektrum" mit Inhalten, die "die Leute wahnsinnig aufregen", sehr erfolgreich. Menschen mit politisch extremen Ansichten - rechts wie links - seien zudem in den sozialen Medien aktiver. Stöcker zieht den Schluss, dass das Meinungsbild in den sozialen Medien oft nicht repräsentativ ist, sondern von extremer eingestellten Gesellschaftsgruppen geprägt wird.
Politik als negatives Vorbild
Auch auf Parteien-Accounts tauchen Beiträge auf, die eine neue Qualität haben. Etwa ein Foto von Baerbock, in das eine Denkblase mit drei Kothaufen eingefügt ist - veröffentlicht auf Instagram von der CSU. Stöcker spricht von einem Risiko für eine Gesellschaft, wenn Parteien in ihrer Sprache verrohen, und er nennt das Beispiel USA. Dort werde mittlerweile der politische Gegner "rücksichtslos und mittlerweile auch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen" attackiert. Das verschärfe auch die Art und Weise, wie auch im Alltag diskutiert wird, wie Anhänger des anderen Lagers diffamiert und beschimpft würden.
Die Selbstverpflichtungen der Parteien
In Deutschland setzt die AfD gezielt auf Polarisierung, sie folgt also dem amerikanischen Modell. Die anderen Parteien halten sich da eher zurück, betonen, dass sie einen fairen Wahlkampf wollen. Die Grünen haben sich eine Fairnessverpflichtung gegeben, die aber nicht von allen jederzeit eingehalten wird. Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Oliver Krischer etwa warf Laschet vor, eine Politik gegen den Ausbau von Windenergie zu betreiben. So eine Politik "kostet überall auf der Welt […] Menschen das Leben". CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak protestierte, bezeichnete diesen Vorwurf als "unverantwortlich".
Steinmeiers Sorge vor einer "Schlammschlacht"
Der Blick zurück zeigt, schmutziges Wahlkämpfen ist kein neues Phänomen in Deutschland. Das gab es früher, das gibt es heute. Was auffällt: Die Desinformationskampagnen, die in den vergangenen Jahren in den USA gefahren wurden, gibt es in diesem Ausmaß hierzulande (noch?) nicht.
Allerdings hat sich der Tonfall verändert, und über die sozialen Medien können Kampagnen sehr schnell hochkochen, also eine stärkere Dynamik bekommen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach kürzlich von der Sorge, dass der Wahlkampf zu einer "Schlammschlacht" werden könnte. Er appellierte an die Parteien, "Maß und Vernunft walten" zu lassen, das sei eine Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.