Duelle und Trielle im TV Kandidaten-Clinch auf großer Bühne
Viel Korsett, einmal "King of Kotelett" - und natürlich die "Schlandkette": Einige denkwürdige TV-Duelle gab es bereits, meist war Merkel dabei. Beim Triell am Abend ist die Dramaturgie eine andere. Vor allem einer steht unter Druck.
Die Ausgangslage
Armin Laschet unter Druck, Olaf Scholz in der Favoritenrolle, Annalena Baerbock um Anschluss bemüht - das ist die Ausgangslage vor dem TV-Duell am Abend in ARD und ZDF. Zwei Wochen vor der Bundestagswahl ist dieser Wahlkampf plötzlich doch spannend geworden - und zeigt, wie unberechenbar Politik ist.
Das Rennen ums Kanzleramt ist offen. Der Trend ist momentan tatsächlich ein Genosse, aber wer vermag schon zu sagen, ob Union oder Grüne nicht doch noch die Stimmung auf den letzten Metern drehen können. "Abgerechnet wird am Wahltag", erinnerte die nun doch wahlkämpfende Kanzlerin kürzlich. Ein bisschen vielleicht aber auch schon am Abend, wenn die drei Kandidaten erneut zum Schlagabtausch vor laufenden Kameras aufeinandertreffen. Beim ersten TV-Triell vor zwei Wochen waren Laschet und Baerbock in der Rolle der Angreifer, während Scholz auf seinen Vizekanzler-Amtsbonus setzte und phasenweise wirkte, als sei er schon Kanzler.
Historisches
Es hat ein wenig gedauert, bis sich auch in Deutschland TV-Duelle der Kanzlerkandidaten etabliert hatten. Das lag mitunter an den Kandidaten selbst. Mal lehnte Kurt Georg Kiesinger die Herausforderung Willy Brandts ab, später wollte Brandt selbst sich nicht mit Rainer Barzel im TV streiten. Auch Helmut Kohl kniff mal, bot aber Helmut Schmidt ein Duell an - das wiederum Schmidt absagte.
Aus den 1990er-Jahren sind immerhin mehrere Duelle auf Landesebene überliefert. Henning Voscherau diskutierte 1997 mit Ole von Beust - und trat nach der Wahl zurück. Gerhard Schröder lieferte sich ein TV-Duell mit Christian Wulff in Hannover. Für Schröder sollte dies allerdings nur eine Vorbereitung für Größeres sein.
Das spätere Duell Edmund Stoiber gegen Schröder im Jahr 2002 gilt - zumindest auf Kanzlerkandidatenebene - als Premiere. Der als deutlich eloquenter wahrgenommene Schröder ging als Favorit in das Duell. Doch der "Medienkanzler" konnte damals für viele Kommentatoren deutlich weniger überzeugen als erwartet. Ohnehin bestand das Duell aus zwei Teilen mit unterschiedlichen Themen - und strengen Regeln. 90 Sekunden lang durften die Antworten sein, zwei Nachfragen waren gestattet. Das zweite Duell entschied dann Schröder für sich.
Die Ursprünge des TV-Duells liegen in den USA. Bereits im Jahr 1960 standen sich die beiden Präsidentschaftskandidaten Richard Nixon und John F. Kennedy gegenüber. Die Einschaltquoten waren hoch, rund 66 Millionen Zuschauer machten den Fernseher an. Heute gilt der Auftritt Nixons als Mahnung für Parteistrategen und Kommunikationswissenschaftler. Ein kränkelnder, erschöpft wirkender Nixon gab keine gute Figur ab - der Rest ist Geschichte.
Das Duell: 2002 stehen sich zum ersten Mal der Kanzler und sein Herausforderer Edmund Stoiber im Fernsehen gegenüber
Schröder und Merkel 2005
Ein einziges TV-Duell gab es vor der Wahl 2005 zwischen Schröder und CDU-Chefin Merkel. Der Kanzler wollte eigentlich zwei, aber Merkel lehnte ab. Terminprobleme. Schröder war unter Druck und blies zur Aufholjagd, seine rot-grüne Regierung lag in Umfragen weit hinter der Union, die zeitweilig auf eine absolute Mehrheit zusteuerte. 21 Millionen Zuschauer sahen dann zu, wie Schröder Cent und Prozent durcheinanderbrachte und zuweilen etwas gönnerhaft Merkel gegenüber wirkte. Inhaltlich jedoch konnte er gegen die "neoliberale" CDU unter Merkel und den "Professor aus Heidelberg" punkten, wie Wahlforscher Thorsten Faas im Gespräch mit tagesschau.de erinnert. Den Umfragen zufolge ging Schröder als Sieger aus dem Studio in Berlin-Adlershof. Die Bundestagswahl verlor er trotzdem - wenn auch denkbar knapp. Merkel rettete den Unionsvorsprung gerade so ins Ziel und wurde Kanzlerin.
Mehr Duett denn Duell: Merkel und Steinmeier 2009
Anders als 2005 standen sich vier Jahre später im einzigen TV-Duell im September 2009 zwei Regierungspartner gegenüber. Kanzlerin Merkel regierte seit vier Jahren zusammen mit der SPD, ihr Herausforderer hieß Vizekanzler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Mit Blick auf die Umfragen waren die Rollen eigentlich klar verteilt: Steinmeier musste punkten, seine SPD lag in der Sonntagsfrage von Infratest dimap zwölf Prozentpunkte hinter der Union.
Merkel gegen Steinmeier: Die Opposition sprach nach dem TV-Duell 2009 mit Häme von einer "öffentlichen Kabinettssitzung".
Was die gut 14 Millionen Zuschauer dann sahen, waren zwei politische Sachverwalter im höflichen Gespräch, moderiert von Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL), Peter Limbourg (Sat.1) und Frank Plasberg (ARD). Anschließenden Blitzumfragen zufolge übertraf Steinmeier die Erwartungen vieler Zuschauer, einen klaren Sieger gab es aber nicht. Im folgenden DeutschlandTrend konnte die SPD leicht zulegen. Die Opposition ätzte über das "Duell": Der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle bezeichnete die Debatte als "öffentliche Kabinettssitzung". Linken-Politiker Dietmar Bartsch sprach von einer "Kuschelveranstaltung", Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast von "Selbstbeweihräucherung".
Fun Fact: Nach dem Duell kündigte die CDU an, im Wahlkampf die Warnung vor einem rot-rot-grünen Bündnis stärker in den Mittelpunkt zu stellen.
"Schlandkette" und "King of Kotelett": Merkel und Steinbrück 2013
Drei Wochen vor der Bundestagswahl am 22. September 2013 lieferten sich Merkel und SPD-Herausforderer Peer Steinbrück ein Rededuell. Die Union lag damals laut Infratest dimap mit 41 Prozent weit vor der SPD, die auf 27 Prozent kam. Steinbrück versuchte es mit Inhalten, Merkel spielte ihren Amtsbonus aus - hängen blieb vom Duell nur wenig. Nicht einmal, dass sich Merkel zu dem Satz hinreißen ließ: "Mit mir wird es keine Pkw-Maut für Autofahrer im Inland geben." Auf Druck der CSU stand sie wenig später dann doch im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Dass es sie bis heute nicht gibt, hat andere Gründe.
Im Gedächtnis blieb vielmehr Merkels längst legendär gewordener - und gern kopierter - Schlusssatz: "Sie kennen mich." Eine Kanzlerin, eine Botschaft - mehr Inhalt brauchte es nicht. Politische Personalisierung in Perfektion. Was noch hängen blieb: ihre Halskette. Die #Schlandkette war Gewinnerin des Abends, schnell hatte sie einen eigenen Twitter-Account. In Rot-Gold-Schwarz hing sie um den Hals der Kanzlerin, der Reihenfolge der Farben nach war sie daher eigentlich eine Belgien-Kette als eine Deutschland-Kette. Was ihren Gesprächswert nur steigerte.
Und die Kette gewinnt: Merkels Halskette beim TV-Duell gegen Steinbrück.
Moderiert wurde das Duell von Anne Will (ARD), Maybrit Illner (ZDF), Stefan Raab (ProSieben) und Peter Kloeppel (RTL). Wobei vor allem Raab mit hartnäckigen Fragen auffiel. So wollte er von Steinbrück wissen, ob er nicht doch für eine Große Koalition zur Verfügung stünde. Als er keine klare Antwort bekam, sagte Raab schließlich: "Das ist doch keine Haltung, zu sagen: Ich will nur gestalten, wenn ich 'King of Kotelett' bin." Der Ausdruck "King of Kotelett" blieb im Gedächtnis.
Bemühte Kontroverse: Merkel und Schulz 2017
Das Duell Merkel gegen Schulz vor der Wahl 2017 musste ohne "Schlandkette" und den "King of Kotelett" auskommen. Dafür gab es wieder ein striktes Korsett, vorgegeben vom Kanzleramt. Wie auch 2009 und 2013. ARD, ZDF, RTL und Sat.1 wollten das Dikussionsformat gern etwas lockern und raus aus dem Frage-Antwort-Ritual, auch Schulz hätte das befürwortet. Doch Merkel lehnte ab. Ex-ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender sprach später von "Erpressung durch das Kanzleramt".
Im gut 90-minütigen Streitgespräch am 3. September versuchte Schulz redlich, sich von der Kanzlerin zu distanzieren, ein bisschen Angriff hier und da - der Herausforderer hatte auch kaum eine andere Wahl, seine SPD lag in Umfragen weit hinter der Union zurück. Merkel steuerte auf ihren vierten Wahlsieg zu. Auch das TV-Duell entschied sie nach Punkten für sich, wie die anschließende ARD-Blitzumfrage ergab.
Wirkung im Wahlkampf
Die Bundestagswahl wird nicht im Fernsehstudio gewonnen und verloren. Einen Effekt auf Wahlentscheidungen haben die Streitgespräche vor einem Millionenpublikum aber doch. Vor allem weniger Politik interessierte Menschen erreicht man durch das Format. "Wer zuschaut, wird sich mit höherer Wahrscheinlichkeit an der Wahl beteiligen", sagt Wahlforscher Thorsten Faas. Ob und wie stark der Effekt auf Wahlpräferenzen ist, ist weniger klar. "Das hängt stark davon ab, wie die Debatte verläuft." Klare Gewinner oder Verlierer nach so einer Debatte gebe es selten, weil die Kandidaten meist sehr gut vorbereitet seien und selten Fehler machten.
Unterschied zwischen Duell und Triell
Dramaturgisch kommt ein Duell einem Showdown gleich. "Zwei Kandidaten, jeder in seiner Ecke - fast wie im Boxring", sagt Faas. Dieses zugespitzte Format eröffne sehr einfache Vergleichsmöglichkeiten der zwei Personen und ihrer Positionen. Beim Triell gehe das etwas verloren. "Drei ist immer eine schwierige Zahl." Die Konfliktlinien sind viel schwieriger zu durchschauen, ändern sich auch. "Beim ersten TV-Triell war mal Baerbock gegen die GroKo, dann wieder Scholz gegen die beiden Kontrahenten, Laschet gegen die beiden linken Parteien - das ist viel komplexer." Eine "ultimative Zuspitzung", also der Eine gegen den Anderen, gebe es beim Triell nicht.
Worauf es heute Abend ankommt
Der Erwartungsdruck ist immens, vor allem für Laschet macht es die Sache nicht leichter. Von "Laschets letzter Chance" ist die Rede, auch befeuert von der CSU. "Damit liegt die Messlatte so hoch, dass er die mit hoher Wahrscheinlichkeit reißen wird", so Faas. Einen "Gamechanger-Effekt" erwartet der Wahlforscher nicht. Doch für alle drei - Laschet, Scholz, Baerbock - hat der Dreikampf vor einem Millionenpublikum enorme Bedeutung.
Für Scholz gibt es wenig Anlass, die eigene Strategie zu ändern. Bisher hieß das vor allem: Ruhe ausstrahlen und immer wieder auf die eigene Regierungsarbeit verweisen, vielleicht noch kleinere neue inhaltliche Vorschläge einbringen. Vom Vizekanzler als der "Rote Buddha" ist schon gelegentlich die Rede.
An Scholz jedenfalls müssen sich Laschet und Baerbock abarbeiten. Die grüne Kanzlerkandidatin wirbt für Veränderung im Land. Das erschien vielen Wählerinnen und Wählern lange Zeit als nötiger und richtiger Weg. Womöglich schreckt der Gedanke an allzu viel Veränderung aber doch viele Menschen.
Für Laschet wird die Zeit knapp, den Abwärtstrend in den Umfragen zu stoppen. Zuletzt ist er kämpferischer aufgetreten, hat mehr Angriff gewagt. Das wurde zumindest in den eigenen Reihen positiv wahrgenommen.
Termine und Spielregeln
Das Erste und das ZDF strahlen die Live-Sendung "Das Triell - Dreikampf ums Kanzleramt" am Sonntag um 20.15 Uhr aus. Es gibt ein Moderatorenteam aus ARD-Chefredakteur Oliver Köhr und Maybrit Illner vom ZDF. Welche Themen in den 95 Minuten angesprochen werden, ist noch nicht bekannt. Es soll keine Clips als Einspieler in der Sendung geben. Zuschauerinnen und Zuschauer sollen sich auf Antworten, Reaktion, Mimik und Gestik der Kandidaten konzentrieren können.
Das TV-Studio in Berlin-Adlershof ist ähnlich wie beim ersten TV-Triell von RTL und ntv Ende August rund angeordnet. Die Moderatoren und Kanzlerkandidaten haben je ein eigenes Stehpult. Außer Stift und Notizblock sind keine weiteren Requisiten erlaubt. Die drei Politiker stehen dem Moderatorenteam gegenüber. Baerbock wird wieder zwischen Laschet und Scholz stehen. Die Redezeit wird immer wieder eingeblendet, um Chancengleichheit beim Redeanteil zu gewähren. Neun Kameras nehmen das Ganze auf. Ein drittes TV-Triell soll es am 19. September bei ProSieben, Sat.1 und Kabeleins geben.