Beispiele aus der Innenpolitik Was Merkel liegen ließ
Die außenpolitische Bilanz Merkels bekommt durch das Afghanistan-Desaster gerade erhebliche Kratzer. Doch auch innenpolitisch hinterlässt die Kanzlerin große Baustellen.
Als digitale Visionärin dürfte Angela Merkel ebenso wenig in die Geschichtsbücher eingehen wie als Klimakanzlerin. Und zur Feministin hat es für sie auch nicht gereicht. Drei Beispiele aus der Innenpolitik - ein Überblick.
Merkel und die Digitalisierung
Ein Dauerbrenner in Merkels Amtszeit ist die Digitalisierung. Was die Kanzlerin verspricht, klingt über all die Jahre eigentlich immer ziemlich gleich: Deutschland müsse die Chancen der Digitalisierung nutzen.
Wer einen Bauernhof hat, da kommen die Leute heute nicht mehr angereist, die wollen eine ordentliche Homepage haben, mit einer dreidimensionalen Darstellung der Lammkeule. Und wenn Sie da drauf schreiben: Entschuldigen Sie, ich kann Ihnen das nicht zeigen, ich schicke Ihnen mal eine Ansichtsfotografie mit der Post, dann sind Sie bald nicht mehr dabei, wenn verkauft wird.
Das sagt Merkel schon im Jahr 2010. Das Tempo des digitalen Wandels ist enorm, die Kanzlerin aber tut zu wenig, um Schritt zu halten. Merkel kündigt an, verspricht, beschwört, ruft 2018 sogar einen Digitalrat ins Leben - und doch: Die Mobilfunklöcher bleiben, bei der Künstlichen Intelligenz hinkt Deutschland international hinterher, der Ausbau der digitalen Verwaltung stockt.
FDP-Chef Christian Lindner bemerkt 2017 kritisch:
Frau Merkel hat vor dreieinhalb Jahren gesagt: Internet, das sei Neuland. Jetzt spricht sie davon, wir drohten bei der Digitalisierung zum Entwicklungsland zu werden. Die Richtung stimmt nicht, meine Damen und Herren.
Schließlich ist es die Corona-Pandemie, die Merkel zum Ende ihrer Amtszeit in Sachen Digitalisierung wachrüttelt - und nicht nur, weil bei einer wichtigen Telefonkonferenz die Leitung ins Merkel’sche Homeoffice einfach nicht zustande kommen will.
Die Chancen der Digitalisierung nutzen? Dazu bilanziert Merkel auf ihrer Sommerpressekonferenz im Juli dieses Jahres, "dass wir besser sein könnten und sollten. Es geht zum Teil sehr langsam."
Apropos langsam …
Merkel und die Frauen
Eine Bundeskanzlerin weiß, wie sich Macht anfühlt. Viele andere Frauen wüssten das auch gern. Nur war das in der Ära der Kanzlerin Angela Merkel so eine Sache mit Frauen in Führungspositionen. Im Mai 2007, da war Merkel seit knapp zwei Jahren im Amt, klang die bekannteste Vertreterin der deutschen Frauenbewegung, Alice Schwarzer, noch hoffnungsvoll:
Die Frauen drängen in alle Berufe, wir haben eine Staatschefin - und so weiter. Es geht also wirklich voran.
Wirklich schnell voran geht die Bundeskanzlerin allerdings nicht. 2016 legt die SPD einen Gesetzentwurf für mehr Lohngerechtigkeit vor, Merkel zögert und gibt erst 2017 grünes Licht. Im gleichen Jahr erklärt sie auch, dass sie nur vielleicht eine Feministin ist:
Wenn Sie finden, dass ich eine (Feministin) bin, stimmen Sie ab, okay. Aber ich möchte mich nicht mit dieser Feder schmücken.
Mehr Frauen an die Macht? Eher nicht mit der Kanzlerin. Nicht in ihrer eigenen Partei, der CDU. Und auch nicht in Chefetagen. Merkel lässt einiges lange liegen - auch die Idee, für Vorstände und Aufsichtsräte großer DAX-Unternehmen eine gesetzliche Frauenquote von 30 Prozent einzuführen. 2011 konstatiert die damalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, Merkels CDU-Parteikollegin:
Ich habe einfach keine Geduld mehr, mit den Versprechen einer freiwilligen Bewegung. Uns läuft die Zeit davon.
Weil alles zunächst freiwillig bleibt, tun die Unternehmensbosse erstmal wenig. Erst seit 2020 gibt es die gesetzliche 30-Prozent-Frauenquote für Aufsichtsräte und Vorstände börsennotierter Unternehmen. Im aktuellen Wahlprogramm der Union übrigens taucht das Wort "Frauenquote" nicht auf. Rückblickend sagt Merkel zu diesem Thema:
Das hätte ich mir 1990, als ich in die Politik ging, alles einfacher vorgestellt, muss ich ganz ehrlich sagen.
Aber Frauenpolitik war eben nie so wirklich Merkels Herzensangelegenheit. Da wäre mehr drin gewesen.
Drei Frauen mit Macht: Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, EU-Kommissionschefin von der Leyen und Kanzlerin Merkel. Mit spezieller Frauenförderung Merkels hat dies wohl aber eher weniger zu tun.
Merkel und das Klima
Am Anfang war ein Foto am Fjord: Angela Merkel und der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel stehen in dicken roten Daunenjacken vor einem schmelzenden Eisberg in Grönland. 2007 ist Merkel noch die Klimakanzlerin.
Was ich mitnehme, ist, dass wir hier Ereignisse haben, die es zwar vor Jahrtausenden schon gab, die damals aber zehntausend Jahre gedauert haben. Und das Gleiche passiert heute in etwa 60 oder 80 Jahren.
Und Sigmar Gabriel verspricht:
Wir werden das größte Klima- und Energiepaket in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg bringen. Es ist eine echte Trendwende.
Während der vier Merkel-Kabinette allerdings sieht es dann so aus: Jahrelang verfehlt die Bundesregierung die selbst gesteckten Klimaziele zur CO2-Reduktion krachend. 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 - das klappt erst 2020, aber auch nur, weil während der Corona-Pandemie weniger produziert und weniger gereist wird. Der Ausbau Erneuerbarer Energien geht nicht schnell genug voran, obwohl das letzte deutsche Atomkraftwerk 2022 abgeschaltet werden soll. Das letzte deutsche Kohlekraftwerk dafür aber erst in 17 Jahren.
Luisa Neubauer von Fridays for Future ist unzufrieden:
Wir brauchen dringend 'leaders', also Menschen, die weltweit voran gehen und sagen, sie machen das und im Zweifel eben wirklich unbequeme Entscheidungen treffen.
Schon als Bundesumweltministerin in den 1990er-Jahren hatte Merkel vor einer Klimakatastrophe gewarnt. Viele nationale und internationale Konferenzen und einige Klimaabkommen später, nach fast 16 Jahren Kanzlerschaft, räumt Merkel nun auf die Frage nach der Erderwärmung ein:
Gemessen an dem Ziel, deutlich unter einem Anstieg von 2 Grad Celsius zu bleiben oder möglichst nah an 1,5 Grad Celsius Anstieg, ist nicht ausreichend viel passiert.