Bilanz Heiko Maas Der Video-Diplomat
Er wurde überraschend zu Deutschlands Chefdiplomat: Heiko Maas hatte in seiner Amtszeit mit Trump, der Pandemie und manchmal mit seiner eigenen Partei zu kämpfen. Es war eine Zeit der kleinen Schritte, nicht der großen Durchbrüche.
1248 Seiten. Gebunden. Ganzleinen grün. Es war ein dickes Buch, das Heiko Maas 2018 beim Abschied als Justizminister überreicht bekam: die Sammlung aller Gesetze und Verordnungen unter seiner Federführung. Die Bilanz des Chefdiplomaten Heiko Maas hingegen ist nicht so plastisch greifbar wie das Abschiedsbuch im Justizressort.
Den Arbeitsalltag des Außenministers bestimmen Reisen, internationale Verhandlungen und vor allem persönlichen Gespräche. Doch genau das machte Corona monatelang unmöglich. Es blieb als Notbehelf die Diplomatie per Videokonferenz. Die Pandemie bescherte Maas auch die Rolle als "Chef des einzigen noch offenen Reisebüros". Bei einer Rückholaktion hatte das Auswärtige Amt etwa 240.000 gestrandete Reisende nach Deutschland geholt.
Überhaupt ist der SPD-Politiker in einer Phase Außenminister, in der es auf der Weltbühne unübersichtlich zugeht. Die Liste der Konflikte wird immer länger, und Deutschland sucht seine Rolle. Was bedeutet "Mehr Verantwortung übernehmen" konkret?
Vermittlungsbemühungen in Libyen
Ein Leuchtturm-Projekt: die deutschen Vermittlungsbemühungen im Bürgerkrieg in Libyen. Im Januar 2020 flog Maas kurzfristig zu General Haftar nach Bengasi. Kurz danach fand im Kanzleramt eine Konferenz statt, zu der auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der russische Präsident Wladimir Putin anreisten. Der erreichte Waffenstillstand bleibt fragil. Bis heute sind viele ausländische Kämpfer im Land. Doch immerhin sollen im Dezember Wahlen stattfinden.
Für Maas ist der "Berliner Prozess" ein Projekt auf der Habenseite, wobei es auch andere Bewertungen gibt. Nicht die Libyen-Konferenz in Berlin sondern das militärische Eingreifen der Türkei habe die Situation entscheidend verändert, so Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Auf das Trump'sche "Amerika zuerst" antwortete Maas mit einer "Allianz für den Multilateralismus", deren Mitglieder sich für die internationale Zusammenarbeit einsetzen.
Im vergangenen Oktober besuchte Maas mit seinen Amtskollegen aus Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten das Holocaust-Mahnmal. Für das erste gemeinsame Treffen, seitdem die beiden Ländern ihre diplomatischen Beziehungen aufgenommen haben, wählten sie Berlin. Maas sieht sich als Mittler.
Es ist eine Zeit der kleinen Schritte und Fortschritte. Große Durchbrüche beispielsweise in Syrien oder in der Ukraine sind nicht zu verzeichnen.
Große Fußstapfen
Rückblick in den März 2018: Der Wechsel ins Auswärtige Amt kam für Maas plötzlich. Nachdem die SPD-Spitze sowohl Martin Schulz als auch Sigmar Gabriel den Posten verweigert hatte, übernahm der Saarländer das Chefbüro am Werderschen Markt. In der Anfangsphase wirkte es, als würde er mit dem neuen Amt fremdeln. "Als Mann ohne Leidenschaften" beschrieb ihn das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" nach eineinhalb Jahren im Amt.
"Es war ein sehr großer Schritt für Heiko Maas - zumal nach den Vorgängern Gabriel und Steinmeier", sagt Jean Asselborn im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Der Luxemburger ist der dienstälteste Außenminister der EU und hat viele deutsche Amtskollegen hautnah erlebt. Maas sei im Auftreten zurückhaltender aber "immer sehr ernst, seriös und gut vorbereitet".
"Habe keine Lust, mich zu verstellen"
Reicht das auf einer Weltbühne, auf der zuletzt lange die Töne kraftstrotzender Männer dominierten? Auf sein eigenes Auftreten angesprochen, antwortet Maas, es nütze nichts, so zu sein, wie es erwartet wird: "Deshalb habe ich auch keine Lust, mich für irgendwas oder irgendwen zu verstellen. Ich bin so, wie ich bin", sagte er im phoenix-Podcast "unter 3".
Es gibt auch die Momente, in denen der Außenminister die diplomatische Zurückhaltung verlässt, beispielsweise wenn er in Sofia Armin Laschet für dessen Äußerungen über bulgarische und rumänische Fleischarbeiter kritisiert.
Und was Maas vom Plan der Verteidigungsministerin für eine Schutzzone in Nordsyrien hält - nämlich nichts - lässt er in Ankara bei einer Pressekonferenz mit dem türkischen Außenminister raus. Kramp-Karrenbauer hatte ihn erst kurz vorher per SMS über ihre Pläne informiert. Ein überraschender und nicht abgestimmter Vorstoß. Die Retourkutsche im Ausland bescherte Maas dennoch viel Kritik.
Auch mit der eigenen Partei herrscht nicht immer Gleichklang. Die Diskussion über die Bewaffnung von Drohnen ist dafür nur ein Beispiel. Maas zählt zu den Befürwortern, muss aber akzeptieren, dass die SPD-Führung die Entscheidung auf die kommende Legislaturperiode verschiebt. Maas fehlen hier die Durchsetzungsmöglichkeiten, die ein Parteivorsitzender oder Vizekanzler in einer solchen Situation hätte.
Vorwurf der "außenpolitischen Ambitionsfreiheit"
Maas hat in seiner Zeit als Deutschlands Chefdiplomat an Statur gewonnen. Sein Prinzip: im Gespräch bleiben, auch mit schwierigen Akteuren. Viele seiner Kritiker überzeugt er allerdings bis heute nicht. "Außenpolitische Ambitionsfreiheit" wirft ihm der Grüne Omid Nouripour vor.
Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Außenpolitiker und früher selbst im diplomatischen Dienst, sieht im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio mehrere "ernste Defizite": "Er hat keine Impulse zu Europa gesetzt, in der Russland-Politik wurde er von seiner SPD-Fraktion zurückgepfiffen, zu den USA und China hat er nicht mehr als Allgemeinplätze verkündet."
Die Bewertung in Umfragen fällt deutlich positiver aus. Im ARD-DeutschlandTrend landet Maas als Außenminister bei der Frage nach der Politikerzufriedenheit durchgehend in der Spitzengruppe, zuletzt im Juli auf Platz 2 hinter Angela Merkel. Es ist eine Beliebtheit, die dieses Amt auch vielen Vorgängern beschert hat.