Merkels Kabinett Wer geht, wer will bleiben?
Entwicklungsminister Müller wird nicht mehr dabei sein, für Wirtschaftsminister Altmaier könnte es eng werden: Wer könnte nach der Bundestagswahl welche Rolle spielen? Eine Einschätzung der ARD-Hauptstadtkorrespondenten.
Olaf Scholz (Bundesfinanzminister, SPD)
Bilanz: Verteidigte die Schwarze Null, solange es ging. Als Corona kam, hatte ein ausgeglichener Haushalt keine Priorität mehr - Scholz holte die "Bazooka" raus, um mit "Wumms" aus der Krise zu kommen. In Erklärungsnot geriet Scholz wegen Versäumnissen seiner Behörden im Fall Wirecard. Im Untersuchungsausschuss biss sich die Opposition am stoischen Scholz aber meist die Zähne aus.
Zukunftsaussichten: Will Kanzler werden. Klappt das nicht, aber die SPD regiert trotzdem wieder mit, könnte Scholz Minister bleiben. Aber will er das auch? Sollten die Sozialdemokraten in die Opposition gehen, stünden eher andere für einen Neuanfang.
Gesichert ist: Finanzminister Olaf Scholz will Kanzler werden. Aber was, wenn die SPD in der Opposition landet?
Horst Seehofer (Bundesminister für Inneres, Bauen und Heimat, CSU)
Bilanz: Seine größte internationale Aufgabe konnte Seehofer nicht zu Ende bringen: Eine Einigung aller EU-Staaten auf einen gemeinsamen Umgang mit Schutzsuchenden. Dennoch schlüpfte er nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria in die Rolle des EU-Vermittlers. Dafür erhielt er die volle Rückendeckung der Kanzlerin, mit der er in der Flüchtlingskrise ab 2015 über Kreuz gelegen hatte. Der neue Merkel-Mitte-Kurs kostete dem einstigen Hardliner Seehofer allerdings immer wieder die Unterstützung der konservativen Unionsfraktion einerseits und der linken SPD-Führung andererseits.
Bestimmte Projekte konnten nicht zu Ende gebracht werden, wie etwa das Demokratie-Förder-Gesetz. Extremistischen und terroristischen Strömungen stellte sich Seehofer entgegen - mit zahlreichen Vereinsverboten und neuen Befugnissen für die Sicherheitsdienste, die so weitreichend sind, dass die FDP dagegen klagt. In der Corona-Pandemie agierte Seehofer zwar fleißig im Hintergrund, überließ dem viel kleineren Gesundheitsministerium allerdings zu sehr die Zügel.
Zukunftsaussichten: Seehofer beendet mit der Legislaturperiode seine 50-jährige politische Laufbahn.
Der Abschied ist sicher: Innenminister Seehofer beendet seine politische Laufbahn.
Heiko Maas (Bundesaußenminister, SPD)
Bilanz: Wirkte in der Anfangsphase, als würde er mit dem neuen Amt fremdeln. Doch der Saarländer hat als Deutschlands Chefdiplomat mit der Zeit an Statur gewonnen. Im Auftritt zurückgenommener als Vorgänger. In seiner Amtszeit keine ganz großen Durchbrüche, aber kleine Schritte. Prinzip: mit Ländern wie Türkei oder Russland wenigstens im Gespräch bleiben. Leuchtturm-Projekte waren die Libyen-Konferenzen und die Allianz für den Multilateralismus. Fühlte sich bei der Urlauber-Rückholaktion in der Pandemie als "Chef des einzigen noch offenen Reisebüros".
Zukunftsaussichten: Wer würde gerne freiwillig den Chefposten im Auswärtigen Amt räumen? Ob Maas jedoch weiter mit Regierungsfliegern unterwegs sein darf, hängt maßgeblich vom Wahlergebnis der SPD ab. Dem nächsten Bundestag will er wieder angehören. Als Direktkandidat in Saarlouis trifft er zwar auf Wirtschaftsminister Altmaier von der CDU, gegen den er 2017 unterlag. Maas führt aber auch die SPD-Landesliste an.
Bundesaußenminister Maas will zumindest wieder in den Bundestag.
Peter Altmaier (Bundesminister für Wirtschaft und Energie, CDU)
Bilanz: Reagierte in der Corona-Krise schnell und sorgte für Milliardenhilfen. Als die nicht prompt flossen, kam viel Kritik. Viele Teile der Wirtschaft hätten sich von Altmaier mehr Einsatz für ihre Interessen gewünscht.
Zukunftsaussichten: Würde sehr gern weitermachen. Steht aber als Merkel-Weggefährte nicht für einen Neuanfang und hat sich im Frühjahr gegen seinen Parteichef Laschet als Kanzlerkandidat ausgesprochen. Kaum Chancen.
Wirtschaftsminister Altmaier: Seine Chance in einer künftigen Regierung dürfte durchwachsen sein.
Christine Lambrecht (Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz/Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, SPD)
Bilanz: Ersetzte 2019 Katarina Barley, die ins Europaparlament wechselte. Lambrecht galt zunächst als Notlösung, es gelang ihr aber schnell, das vergessen zu machen. Neben der Frauenquote in Vorständen und der Urheberrechtsnovelle brachte sie unter anderem Änderungen beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf den Weg. Das Ziel: Besser gegen Hass und Hetze in den sozialen Medien anzugehen. Damit verbunden war eines ihrer Hauptprojekte - das große Gesetzespaket zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität.
Kritisiert wurde Lambrecht, weil sie sich zunächst nicht für Strafverschärfungen bei sexueller Gewalt an Kindern und sogenannter Kinderpornografie ausgesprochen hatte. Sie ging dann aber doch entsprechende Änderungen an. Nicht durchsetzen konnte die Justizministerin die im Koalitionsvertrag verabredete Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz und die Einführung eines Strafrechts für Unternehmen. Lambrecht musste auf den letzten Metern auch noch als Familienministerin einspringen, weil Franziska Giffey zurücktrat.
Zukunftsaussichten: Lambrecht ist 56 und tritt nach mehr als 20 Jahren im Bundestag nicht erneut an, sondern will wieder als Rechtsanwältin arbeiten.
Justizministerin Christine Lambrecht: Künftig will sie wieder als Rechtsanwältin tätig sein.
Annegret Kramp-Karrenbauer (Bundesministerin der Verteidigung, CDU)
Bilanz: Persönlich beliebt in der Truppe, machte den Kampf gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr zu einem ihrer Schwerpunkte (KSK), agierte da aber zuletzt unglücklich und ungeschickt. Auch einige fachlich fragwürdige Vorschläge (deutsch-französischer Flugzeugträger, Sicherungseinheit in Syrien, robuster Einsatz in Mali) haben ihr Renommee nicht gerade verbessert, Kramp-Karrenbauer gilt als schlecht beraten.
Zukunftsaussichten: Würde sehr gern weitermachen, lässt das auch oft durchblicken. Wird mittlerweile aber sogar von Teilen der Union im Verteidigungsausschuss kritisiert. Andererseits: Welchen anderen Posten sollte man der verdienten Politikerin geben? Und: Sie ist eine ministrable Frau, davon hat die Union nicht allzu viele. Chancen: 50:50.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer: Würde gern weitermachen - aber darf sie auch?
Hubertus Heil (Bundesminister für Arbeit und Soziales, SPD)
Bilanz: Heil war einer der beharrlichsten Arbeiter der Großen Koalition und hat sich gegen viele Widerstände behauptet. Etwa im langen Streit mit der Union über die Grundrente - aus SPD-Sicht eines der erfolgreichsten Projekte dieser Wahlperiode. Als einer der wichtigsten, wenn auch nicht lautesten, Krisenmanager in der Corona-Pandemie, verantwortete Heil unter anderem: Kurzarbeitergeld, erleichterten Zugang zum Arbeitslosengeld II, Corona-Arbeitsschutz, die zeitlich begrenzte Homeoffice-Pflicht - hier wollte er eigentlich eine Regelung auch über die Pandemie hinaus, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Andere Projekte werden vor der Wahl gar nicht mehr umgesetzt, zum Beispiel die Einführung einer Altersvorsorgepflicht für Selbständige oder eine Reform der Grundsicherung.
Zukunftsaussichten: Mit 48 ist Heil im besten Politikeralter. Bei der Bundestagswahl tritt er als Spitzenkandidat für die SPD in Niedersachsen an und würde wohl gerne weitermachen. An Ideen mangelt es ihm nicht. Aber ob das Ministerium auch nach der Bundestagswahl noch in SPD-Hand sein wird, ist fraglich.
Bundesarbeitsminister Heil: Im besten Politikeralter - an Ideen mangelt es nicht.
Andreas Scheuer (Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, CSU)
Bilanz: Andreas Scheuer hat in seinem Ressort einige verkehrspolitische Großprojekte umgesetzt, etwa die bundeseigene Autobahngesellschaft oder die Gesetzgebung für das autonome Fahren. Hauptkritikpunkt: die gescheiterte Pkw-Maut. Die Opposition wirft ihm Verstöße gegen Haushalts- und Vergaberecht vor. 560 Millionen Euro Schadenersatz fordern die vorgesehenen Betreiberfirmen, weil der Bund die Verträge nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs kündigte.
Zukunftsaussichten: Scheuer feiert am Tag der Bundestagswahl seinen 47. Geburtstag - und wünscht sich einen Anschlussvertrag als Minister. Dagegen spricht, dass er nicht positiv auf das Image der CSU einzahlt und es gut möglich ist, dass die CSU das Verkehrsministerium gar nicht so ungerne an einen zukünftigen Koalitionspartner abgeben könnte.
Verkehrsminister Scheuer: Die Vorwürfe bei der Pkw-Maut belasten sein Image.
Svenja Schulze (Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, SPD)
Bilanz: Vielleicht die erfolgreichste Ministerin im Kabinett Merkel. Sie hat den CO2-Preis schon 2018 angekündigt, und ihn gegen den Widerstand der Union und zunächst sogar gegen den Willen der eigenen Parteigenossen durchgesetzt. Außerdem hat sie mit ihrem Klimaschutzgesetz allen anderen Ressorts CO2-Einsparziele vorgeschrieben. Und das Gesetz hat sie vor wenigen Wochen sogar nochmal nachgeschärft. Zugegeben: Sie hat viel Hilfe von außen bekommen, durch die Fridays-for-Future-Demonstrationen und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.
Zukunftsaussichten: Offiziell möchte sie den Job weitermachen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das klappt, ist aber eher gering. Manche sagen, sie würde zurück nach Nordrhein-Westfalen gehen. Aber sie dementiert. Schließlich kandidiere sie ja für den Bundestag. In einer "Grüne-Ampel-Konstellation" hätte sie vielleicht noch die hauchdünne Chance auf einen Ministerinnenposten. Das Umweltministerium dürften dann aber andere für sich beanspruchen.
Umweltministerin Schulze: Offiziell möchte sie weitermachen.
Jens Spahn (Bundesminister für Gesundheit, CDU)
Bilanz: Beglückte in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit die gesetzlich Krankenversicherten mit teuren neuen Leistungen. Suchte in aller Welt nach Pflegepersonal, konnte den Mangel in den deutschen Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen aber nicht beheben. Wurde in der Corona-Pandemie zum Krisenmanager. Zunächst erfolgreich, zwischendurch mit Pannen und Kritik bis hin zu Rücktrittsforderungen, inzwischen weitgehend konsolidiert.
Zukunftsaussichten: Gleichzeitig jung (41) und erfahren und früh im "Team Laschet" - hat die CDU nach der Bundestagswahl Posten zu verteilen, führt an Spahn kaum ein Weg vorbei. Ein Ministerium mit mehr Prestige ist ebenso möglich wie der Fraktionsvorsitz.
Gesundheitsminister Spahn: Jung und gleichzeitig erfahren - an ihn dürfte - wenn die Union gewinnt - auch nach der Wahl kein Weg vorbeiführen.
Julia Klöckner (Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, CDU)
Bilanz: Hat oftmals auf freiwillige Selbstverpflichtungen gesetzt, etwa wenn es um weniger Zucker in Fertigprodukten geht oder die erweiterte Nährwertkennzeichnung. Hauptkritikpunkt: Eine zu große Nähe zur Ernährungsindustrie und Zögerlichkeit bei der Umsetzung von mehr Umwelt- und Tierschutz in der Landwirtschaft. Konnte ein Tierwohllabel nicht durchbringen, obwohl es im Koalitionsvertrag steht. Nach zähem Ringen mit der Umweltministerin hat sie ein Paket für mehr Insektenschutz noch mit auf den Weg gebracht. Tat sich schwer damit, zwischen Umwelt- und Tierschützern auf der einen und Landwirten auf der anderen Seite zu vermitteln. Hat dabei auch den Zorn vieler Bauern auf sich gezogen. Etwa bei der Verschärfung der Düngeverordnung, die aufgrund der zu hohen Nitratbelastung des Grundwassers nötig war.
Zukunftsaussichten: Klöckner ist erst 48 und hat noch Ambitionen. Es ist allerdings fraglich, ob sie ihr Ressort behalten kann. Auch wenn die Union wieder in die Regierung kommt. Denn die CSU will das Ministerium gerne zurückhaben. Auch die Grünen dürften ein Auge draufhaben.
Landwirtschaftsministerin Klöckner: Politikerin mit Ambitionen - aber kann sie das Ressort behalten?
Gerd Müller (Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, CSU)
Bilanz: Er war "das gute Gewissen" der Großen Koalition. "Eine Welt ohne Hunger ist möglich", lautet Müllers Credo. Der Klartextminister sagt auch deshalb: "Hunger ist Mord." Es fehle der Wille der Weltgemeinschaft, den Ärmsten zu helfen. Müllers Leistung: Lautsprecher für Entwicklungspolitik. Kämpfte um jeden zusätzlichen Cent für seinen Etat. Sein Gesellenstück: Das erste staatliche Textilsiegel "Der Grüne Knopf" als Testlauf für das Lieferkettengesetz. Hauptkritik: Dass jenes Lieferkettengesetz am Ende aus Rücksicht auf die deutsche Wirtschaft keine Zähne hat.
Zukunftsaussichten: In der deutschen Politik keine. Müller kandidiert aus Altersgründen nicht mehr für den Bundestag, will Platz machen für Jüngere. Weg ist der "Störenfried für die gute Sache" trotzdem nicht. Er wird voraussichtlich ab Januar 2022 die UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO) leiten. Prognose: Man wird weiter von ihm hören.
Entwicklungsminister Müller: Der "Störenfried für die gute Sache" kandidiert nicht mehr.
Anja Karliczek (Bundesministerin für Bildung und Forschung, CDU)
Bilanz: Hat den Digitalpakt Schule und weitere Milliarden-schwere Förderprogramme des Bundes mit auf den Weg gebracht - etwa für die Impfstoffentwicklung. Kritiker halten sie für unsichtbar und ohne klares Profil. Das könnte auch daran liegen, dass für Bildung vor allem die Länder zuständig sind. Viel Kritik musste Karliczek auch einstecken, weil die Förderung für eine Batterieforschungsfabrik in ihre Heimatregion ging.
Zukunftsaussichten: Die 50-Jährige möchte Ministerin für Bildung und Forschung bleiben. Aus der NRW-CDU streben allerdings noch einige andere ein Regierungsamt an.
Bildungsministerin Karliczek: Möchte ihr Ressort behalten - doch aus der NWR-CDU kommt Konkurrenz nach.
Helge Braun (Kanzleramtsminister und Bundesminister für besondere Aufgaben, CDU)
Bilanz: Koordinierte als Kanzleramtschef lange ziemlich geräuschlos die Zusammenarbeit der Bundesministerien. Die Bandbreite dabei: von der Digitalisierung bis zum Wolfsmanagement. In der Corona-Krise war der Anästhesist und Notfallmediziner zuständig für die Bund-Länder-Treffen und erklärte in vielen Talkshows die Corona-Politik der Kanzlerin. Wegen der oftmals strengen Vorschläge zur Pandemiebekämpfung gab es zum Teil heftige Kritik aus den Ländern. Als Behördenchef ging er bei der Digitalisierung neue Wege, indem er die Zivilgesellschaft einband, Stichwort: Open-Social-Innovation.
Zukunftsaussichten: Wird aller Voraussicht nach als Spitzenkandidat der hessischen CDU erneutes Mitglied des Deutschen Bundestags sein. Könnte genauso überraschend, wie er Kanzleramtschef wurde, für ein Ministeramt in Frage kommen, auch für ein zukünftiges Digitalministerium, wenn der Partei-Proporz stimmt.
Kanzleramtsminister Helge Braun: Könnte auch in Zukunft eine größere Rolle spielen.