Enquete-Kommission zu Afghanistan "Strategisch gescheitert"
Die Enquete-Kommission des Bundestags stellt heute ihren Zwischenbericht zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan vor. Das Papier, das dem NDR vorliegt, stellt ein vernichtendes Zeugnis aus.
Es ist eine schonungslose Bilanz des fast 20-jährigen deutschen Engagements am Hindukusch. Das wird bei der Lektüre des insgesamt mehr als 330 Seiten dicken Berichts schnell klar. Der "größte, teuerste, opferreichste Kriseneinsatz der - vor allem westlichen - Staatengemeinschaft" endete "mit einem strategischen Scheitern", heißt es in dem Papier mit Blick auf die Militärmission in Afghanistan.
"Keine kritische Bestandsaufnahme"
Ebenso deutlich wie in der Gesamtbewertung wird die Enquete-Kommission des Bundestags bei der Auflistung der einzelnen Verfehlungen und Versäumnisse:
"Eine fortlaufende, selbstkritische Bestandsaufnahme hinsichtlich der sehr hoch gesetzten Ziele hat nicht ausreichend stattgefunden", kritisiert das Gremium und nimmt damit sämtliche mit dem Einsatz befasste Bundesregierungen in den Jahren 2001 bis 2021 aufs Korn.
Auch wird bemängelt, dass sich die zuständigen Ministerien - also Außen-, Innen-, Verteidigungs- und Entwicklungsministerium - nicht hinreichend abgestimmt hätten. Schwarz auf weiß steht in dem Bericht sogar der Begriff "Ressortegoismen".
Im Interview mit dem NDR-Info-Podcast "Killed In Action" bestätigt auch der Kommissionsvorsitzende Michael Müller (SPD), der deutsche "vernetzte Ansatz" habe nicht funktioniert.
Zu wenige Einsatzkräfte und Polizisten
Auch waren die von den Deutschen bereitgestellten Mittel - sowohl für zivile als auch militärische Zwecke - aus Sicht der Bundestagskommission nicht ausreichend: "Ausrüstung und Fähigkeiten der Bundeswehr", heißt es in dem Papier, das dem NDR vorliegt, "wurden in Teilen nicht dynamisch genug an die Bedrohungslage in Afghanistan angepasst."
Personelle Ressourcen, bei zivilen Einsatzkräften und bei der Polizei, bewerten die Parlamentarier "als gemessen am Ziel des Staatsaufbaus nicht ausreichend".
Deutschland hatte sich für den Aufbau der afghanischen Polizei freiwillig gemeldet, wurde dann aber schon früh für die geringe Zahl der vom Innenministerium entsandten Beamten kritisiert. Die sei schlicht "lächerlich" gewesen, meint ein Ex-Diplomat.
Einfluss der Taliban unterschätzt
Damit nicht genug: Bei der Verteilung von Geldern habe man die "Aufnahmefähigkeit und die Kapazitäten der afghanischen Partner" überschätzt; den zunehmenden Einfluss der Taliban hingegen unterschätzt. Viel zu spät und "nicht ausreichend konsequent" habe man sich um eine politische Konfliktlösung bemüht.
Heute herrschen in Afghanistan wieder die 2001 vermeintlich besiegten Taliban. Deutschland ist "gemeinsam mit seinen internationalen Partnern strategisch gescheitert", so die bittere Bilanz der Enquete-Kommission.
Aber: Deutschland als "verlässlicher Verbündeter"
Die Kommission baute in ihren eher von Schatten beherrschten 330-Seiten-Bericht jedoch auch kleine Lichtinselchen ein: Deutschland habe sich "als verlässlicher Verbündeter gezeigt, sich über die gesamte Einsatzzeit als einer der größten Truppensteller beteiligt und Führungsverantwortung übernommen", lobt das Gremium. Ihren Abschlussbericht mit konkreten Empfehlungen will die Enquete-Kommission im Frühjahr kommenden Jahres vorlegen.