Alexej Nawalny Einer für alle?
Das Video vom "Palast für Putin" und die Proteste zeigen es - die russische Führung kann den Aktivisten Nawalny nicht mehr totschweigen. Doch wofür steht er? Ist er ein Nationalist und Rassist?
"Einer für alle, alle für einen" - der Spruch war vielerorts zu sehen und zu hören bei den Protesten, zu denen Alexander Nawalny aufgerufen hatte. Mit seinem Team mobilisiert er so viele Menschen zum Protest wie keine Oppositionspartei in Russland. Seine Doku "Ein Palast für Putin" wurde in den ersten zehn Tagen nach Veröffentlichung auf YouTube mehr als 100 Millionen Mal abgerufen.
Zwar sind die darin erhobenen Vorwürfe über Korruption im Umfeld des russischen Präsidenten nicht neu. Auch über den Bau einer immensen Privatresidenz am Schwarzen Meer hatten Umweltschützer schon 2010 berichtet. Nawalny aber fügte mit seinem Team viele Details zu einem Bild und beschrieb dies auf seine selbstbewusste, unterhaltsame Weise. Er bestätigte Ahnungen vieler Menschen in Russland und konkretisierte, worüber sie eine generelle Unzufriedenheit empfinden.
Dass sich nun Putins enger Vertrauter Arkadi Rotenberg in einem Video des Telegram-Kanals Mash als Eigentümer bezeichnet und in diesem Video Baustellen im Gebäude zu sehen sind, widerlegt die Aussagen über korrupte Netzwerke nicht.
Anders als die traditionelle Opposition sucht sich Nawalny populäre Themen und findet Ansätze, nicht nur viele Menschen einzubeziehen, sondern auch korrupte und autoritäre Strukturen sichtbar zu machen. Zu Beginn der 1990er-Jahre verschaffte er sich als Minderheitsaktionär staatsnaher und staatlicher Konzerne das Recht, Unternehmensdokumente einzusehen und strengte Gerichtsverfahren wegen Veruntreuung gegen Beamte und Manager an.
Einem 2011 von ihm gegründeten "Fonds zu Korruptionsbekämpfung" konnten Bürger Hinweise auf Korruption melden, denen sein Team dann nachging. In den vergangenen Jahren veröffentlichte er bereits Dokumentationen über den damaligen Generalstaatsanwalt Juri Tschaika und Ex-Ministerpräsident Dimitri Medwedjew. Mit dem Video über Putin ist er zu den korrupten Machenschaften im Zentrum der Macht vorgedrungen.
Auf politischer Ebene setzt er die Führung mit seinem Netzwerk aus Aktivisten im ganzen Land unter Druck. Sie hebeln die Übermacht der Regierungspartei "Einiges Russland" aus, indem sie die Stimmabgabe für jeweils einen Oppositionskandidaten empfehlen. Das können auch Vertreter der Kommunisten oder der rechtspopulistischen, ultranationalistischen Partei LDPR sein, die die Führung um Putin als "Systemopposition" zulässt.
Ein Nationalist und Rassist?
Nawalnys Kampf gegen Korruption und autoritäres Regieren zeugt von Pragmatismus. Doch welche politischen Positionen vertritt er? Ist er ein Nationalist mit rassistischen Ansichten? Wie würde er als gewählter Politiker handeln? Immerhin erreichte er 2013 bei der Moskauer Bürgermeisterwahl 27 Prozent. Auch bei der Präsidentschaftswahl 2018 wäre er als Kandidat angetreten, hätte ihn die staatliche Wahlkommission nicht wegen einer umstrittenen Bewährungsstrafe abgelehnt.
Der einer Militärfamilie entstammende Jurist war seit 2000 Mitglied der sozialliberalen Partei Jabloko, bis er sich 2007 mit der Führung um Grigori Jawlinski überwarf. Es ging um die Positionierung der Partei und auch um Nawalnys Nähe zum Nationalismus. So setzte er sich 2006 dafür ein, dass am "Tag der Nationalen Einheit" am 4. November der "Russische Marsch" unter dem Motto "Das ist unser Land" im Sinne der Versammlungsfreiheit stattfinden sollte.
2007 gründete Nawalny eine "national-demokratische" Bewegung mit dem Namen "Narod" (Volk). Mitgründer war der Tschetschenienkriegsveteran Sachar Prilepin, zugleich Schriftsteller und Mitglied der Nationalbolschewistischen Partei, der sich später den separatistischen Kämpfern in der Ostukraine anschloss und eine kremltreue Partei gründete.
In diese Jahre fallen Aussagen Nawalnys gegen Menschen aus dem Kaukasus und Zentralasien, die ihn in den Augen vieler zum Nationalisten und Rassisten machten, der Ängste vor Überfremdung schürte. Dazu zählten Vergleiche mit Kakerlaken, Fliegen und Nagetieren sowie Forderungen nach Abschiebungen. Nawalny erklärte, er wolle die Nationalisten in den Kampf gegen das System Putin einbeziehen, was er 2011 allerdings für gescheitert erklärte. 2012 und 2013 sagte er seine Teilnahme an den "Russischen Märschen" ab, erklärte aber, er halte sie für richtig.
Auch zur russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 äußerte er sich ambivalent: Als Präsident würde er die Halbinsel nicht an die Ukraine zurückgeben, sondern ein "normales" Referendum zum Status der Halbinsel abhalten lassen. Er sprach aber auch von einem Völkerrechtsbruch Putins und setzt sich für die Minderheit der Krimtataren und den tschetschenischen Blogger Tumso Abdurachmanow ein, der wiederum Nawalnys Rückkehr nach Russland im Januar als "selbstlos" lobte.
Keine festgelegte politische Position
Über die Bekämpfung des korrupten und autoritär geführten Systems um Präsident Putin hinaus bleibt Nawalny vage in seinen politischen Positionen. 2017 rief er zum Protest gegen die Erhöhung des Rentenalters durch die Regierung auf. In seinem Programm für die Präsidentschaftswahl 2018 nannte er Maßnahmen wie die Erhöhung des Mindestlohns sowie den Bau von Straßen und Krankenhäusern. Das sind Forderungen, die angesichts einer schwierigen sozialen Lage für immer mehr Menschen und der Infrastruktur-Schwächen des Landes benennen, was vielen im Land das Leben schwer macht.
Russland-Expertin Gwendolyn Sasse vom Zentrum für Osteuropa- und Internationale Studien in Berlin geht davon aus, dass sich Nawalny bewusst nicht auf ein politisches Programm für eine Zeit nach Putin festlegt. So findet er Gehör bei vielen Unzufriedenen. Zahlreiche Menschen gingen an den beiden Januarwochenenden erstmals zum Protest auf die Straße. Oft sagten Demonstrationsteilnehmer, dass sie Nawalny als Person nicht mögen. Aber er stehe auf ihrer Seite, weshalb sie auch für ihn auf die Straße gingen.