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Ausstoß von Treibhausgasen Welche Folgen hat der Krieg für das Klima?

Stand: 08.11.2022 11:56 Uhr

Beim russischen Angriffskrieg in der Ukraine wird auch die Umwelt in Mitleidenschaft gezogen. Militärgeräte sorgen zudem für einen hohen Ausstoß von Treibhausgasen. Werden die Klimaziele dadurch gefährdet?

Von Pascal Siggelkow, Redaktion ARD-faktenfinder

Raketen, Kampfjets und jede Menge Panzer: Was vor allem für die Menschen in der Ukraine fatale Auswirkungen hat, ist auch für die Umwelt extrem schädlich. Denn der russische Angriffskrieg sorgt zum einen lokal für massive Zerstörung und Umweltverschmutzung. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schreibt von "weitreichenden und schweren Schäden mit unmittelbaren und längerfristigen Folgen für die menschliche Gesundheit und die Ökosysteme".

Nach Angaben des ukrainischen Ministeriums für Umwelt und natürliche Ressourcen sind bereits 20 Prozent aller Schutzgebiete des Landes in Mitleidenschaft gezogen worden. Allein die Rückstände von Munition, Landminen oder andere explosive Kriegsrückstände können Böden und Grundwasser mit Metallen und Giftstoffen jahrzehntelang verseuchen.

Erhöhter Ausstoß von Treibhausgasen

Der Krieg führt auch zu einem erhöhten Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid (CO2). "Es gibt die unmittelbaren Emissionen, die im Rahmen des Kampfgeschehens auftreten, beispielsweise den Beschuss ukrainischer Städte durch Marschflugkörper oder die Feuerwalze der russischen Artillerie", sagt Anselm Vogler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. "Das ist - auch - eine enorme Umweltbelastung."

Die NGO Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) zählte seit Februar mehr als 18.000 Artillerie-, Raketen- und sonstige Angriffe. Hinzu kommen die Emissionen, die Militärfahrzeuge wie Panzer, Kampfjets oder auch Schiffe ausstoßen - und davon werden in der Ukraine jede Menge eingesetzt, wie allein die russischen Verluste nach Angaben des ukrainischen Militärs zeigen. Ein sowjetischer T-72-Panzer verbraucht etwa 250 Liter Diesel pro 100 Kilometer, Kampfjets sogar etwa 5000 Liter Kerosin pro Flugstunde.

Ebenfalls in die Klimabilanz des russischen Angriffskriegs mit einberechnet werden müssen zum Beispiel auch das Abfackeln von Erdgas in Russland und der Wiederaufbau in der Ukraine - die Zementproduktion ist besonders kohlenstoffintensiv. Kurioserweise streiten sich Russland und die Ukraine sogar darum, welchem Land die CO2-Emissionen in den von Russland völkerrechtlich annektierten Gebieten angerechnet werden - beide beanspruchen die Emissionen für sich, um ihren territorialen Anspruch zu untermauern.

Staaten müssen Militäremissionen nicht angeben

Genaue Berechnungen dazu, wie viel Treibhausgase infolge des russischen Angriffskriegs bereits freigesetzt wurden, gibt es bisher noch nicht. Es gibt lediglich Untersuchungen dazu, wie klimaschädlich frühere Kriege waren. Nach Angaben der NGO Oil Change International war beispielsweise der Irak-Krieg in den ersten vier Jahren für die Freisetzung von 141 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent verantwortlich. Die Ölbrände während des Zweiten Golfkriegs von 1991 sollen ungefähr zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen in jenem Jahr ausgemacht haben.

Ein Problem bei der Schätzung von Klimafolgen durch Kriege ist jedoch, dass viele Länder über die Emissionen ihres Militärs keine oder nur unzureichende Angaben machen - weil sie es nicht müssen. Daher gibt es nur grobe Schätzungen. Laut der britischen Wissenschaftsorganisation Scientists for Global Responsibility (SGR) verursachen die Militärs der Welt und die Industrien, die ihre Ausrüstung liefern, etwa fünf Prozent aller globalen Emissionen. Inwieweit auch die Aufrüstung vieler westlicher Staaten infolge der russischen Invasion zu einem Anstieg der Emissionen führen wird, ist noch nicht untersucht worden.

Langfristige Veränderungen entscheidend

Viel wichtiger als die unmittelbaren Folgen des Krieges für das Erreichen der Klimaziele seien jedoch ohnehin die mittel- bis langfristigen Veränderungen im Bereich der Energiepolitik, sagt Niklas Höhne, Klimaforscher und Mitbegründer des New Climate Institutes. Denn um von russischen Energielieferungen unabhängig zu werden, planen viele westliche Länder derzeit, auf andere Energiequellen und -lieferanten umzusteigen. Hier werde sich entscheiden, wie sich der russische Angriffskrieg letztendlich auf die Klimapolitik auswirke, sagt Höhne. Dass kurzfristig in Deutschland beispielsweise mehr Kohle verbrannt werde als zunächst vorgesehen, sei global gesehen das kleinere Übel.

"Wir sehen eindeutig, dass es Länder gibt, die ihre Ziele für erneuerbare Energien erhöht haben. Vor allem die EU will mehr erneuerbare ausbauen und schneller. Deutschland hat seine Ziele auch erhöht und wir sehen, dass die Nachfrage nach Projekten von grünem Wasserstoff sehr zugenommen hat", sagt Höhne. "Das ist vorher nur sehr langsam vorangegangen. Jetzt würde ich sagen, ist das alles fünf Jahre schneller gekommen als geplant. Das ist sehr gut."

Auch im Bereich der Wirtschaft und Industrie hätten der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden hohen Energiepreise zu einem Umdenken geführt, sagt Sarah Fluchs, Ökonomin für Umwelt, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit am Institut der Deutschen Wirtschaft. "Die Unternehmen, die es können, haben ihren Energieverbrauch bereits reduziert und zudem angekündigt, Investitionen zu tätigen." Allerdings müsse auch berücksichtigt werden, dass vieles, was derzeit an Innovationen angestoßen werde, zunächst mit einem höheren Stromverbrauch einhergehe. Und der stammt derzeit auch zu großen Teilen aus fossilen Energieträgern.

"Goldrausch für neue fossile Infrastruktur"

Die Bemühungen im Bereich der erneuerbaren Energien seien jedoch nur eine Seite der Medaille. Denn bei den Bemühungen, sich von Russlands Energielieferungen zu lösen, gebe es auch einen "Goldrausch für neue fossile Infrastruktur", sagt Höhne. "Europa will das Gas von woanders her bekommen und baut neue Pipelines, bohrt neue Öl- und Gasfelder an. Es gibt neue LNG-Terminals, es gibt neue langfristige Lieferverträge für fossile Energie. Wenn all diese Infrastruktur, die jetzt geplant ist, auch tatsächlich gebaut und bis zum Ende ihrer Lebensdauer genutzt wird, dann können wir das 1,5-Grad-Ziel vergessen."

Denn wenn erst einmal neue Infrastruktur für fossile Energie gebaut wurde, wird laut Höhne am Ende mehr verbraucht als vor Beginn des Kriegs. Denn auch das russische Gas werde weiterhin genutzt, wenn auch weniger in Europa. Hinzu kämen dann die Energielieferungen, die über die neue Infrastruktur erschlossen würden. Zudem ist sich Höhne sicher, dass "wenn erstmal ein Gasfeld angebohrt ist, eine neue Pipeline gelegt wurde, dann wird das auch bis zum Ende genutzt".

Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien

Innerhalb der EU und auch Deutschlands gibt es laut Höhne somit zwei gegensätzliche Bewegungen, was die Klimapolitik angeht. Entscheidend für das Erreichen der Klimaziele werde sein, welche dieser Bewegungen sich am Ende durchsetzt." Aus klimapolitischer Sicht ist es besser, wenn man direkt das Geld und die Zeit in erneuerbare Energien investiert anstatt in neue fossile Infrastruktur. Denn der Aufbau neuer fossiler Infrastruktur dauert genauso lange. Und sie steht dann der Klimawende im Weg."

Vogler sieht Hoffnung darin, dass durch den russischen Angriffskrieg die Komponente der Versorgungssicherheit sichtbarer wird. "Staaten und Regierungen machen sich wieder mehr Gedanken darüber, wie sichergestellt werden kann, dass man jederzeit ausreichend Energie zur Verfügung hat. Und an der Stelle haben erneuerbare Energien den Vorteil, dass Europa sie unabhängig von anderen Staaten generieren kann. Das könnte möglicherweise ein Momentum für deren Ausbau erzeugen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 08. November 2022 um 12:00 Uhr.