Interview

Interview zum EuGH-Urteil Das Internet vergisst nichts

Stand: 13.05.2014 17:47 Uhr

Der EuGH hat die Persönlichkeitsrechte im Internet gestärkt. Google muss künftig Verweise auf Antrag löschen. Der Internetexperte Udo Helmbrecht hält dies technisch kaum für umsetzbar. Seiner Meinung nach ist ein globales Rechtssystem für das Netz erforderlich.

tagesschau.de: Für wie bedeutend halten Sie das Urteil des EuGH?

Udo Helmbrecht: Es ist ein gravierendes und auch überraschendes Urteil, denn es betrifft eine äußerst aktuelle gesellschaftliche Debatte - nämlich die Frage: Wie gehen wir mit unseren persönlichen Daten, mit den Spuren, die wir im Internet hinterlassen, um.

tagesschau.de: Es geht bei dem Urteil nicht um Inhalte, sondern nur um Links, also Verweise. Macht das einen Unterschied?

Helmbrecht: Wenn ich im Internet Bilder oder Informationen poste, dann werden die Daten in der Infrastruktur der jeweiligen Plattform gespeichert. Wenn ich Suchmaschinen nutze, dann arbeite ich mit Links und Verweisen. Das Urteil betrifft also vor allem die Programmierung und Arbeit der Suchmaschinen.

Zur Person

Udo Helmbrecht ist ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und Direktor der EU-IT-Sicherheits-Agentur European Network and Information Security Agency (ENISA).

tagesschau.de: Sollte es dann nicht auch möglich sein, auch Inhalte löschen zu lassen - wie zum Beispiel alte Fotos. Oft stellen Jugendliche Dinge ins Netz, die ihnen später schaden können?

Helmbrecht: Meiner Ansicht nach wäre das sinnvoll. Vergleichen Sie das doch einfach mit alten Aktenordnern oder Fotoalben, die Sie mal erstellt haben. Sie haben selbstverständlich das Recht, diese aufzuräumen: Fotos wegzuwerfen, Daten zu vernichten. Im Netz hinterlassen wir alle jederzeit Spuren. Wir müssen auch hier rechtliche Grundlagen entwickeln, dass der Bürger persönliche Daten löschen kann. Das jetzige Urteil des EuGH ist nur ein erster Schritt in die richtige Richtung.

tagesschau.de: Wie ist das technisch umzusetzen?

Helmbrecht: Technisch ist das Ganze eine große Herausforderung. Sie können Google dazu verpflichten, alte Verweise zu löschen. Aber wenn die Informationen schon weiter verlinkt oder verarbeitet wurden, dann sind sie nur sehr schlecht wieder aus der Welt zu schaffen. So ist es mit Bildern und auch mit Verweisen. Wenn diese Daten in anderen Zusammenhängen weiter verarbeitet werden, verliert man die Kontrolle über diese Informationen. Das Internet vergisst nicht.

tagesschau.de: Dann also lässt sich das "Vergessen im Netz" technisch gar nicht konsequent umsetzen?

Helmbrecht: Ja - in der Tat. Wenn der Link, gegen den der Spanier geklagt hat, schon irgendwo im Internet weiterverarbeitet oder abgespeichert wurde, dann sind die Daten praktisch nicht mehr aus dem Netz zu tilgen. Dennoch ist es ein großer Fortschritt, wenn die Suchmaschinen-Anbieter nun dazu verpflichtet werden, unter bestimmten Umständen Links zu entfernen.

tagesschau.de: Wird die Funktionsfähigkeit von Suchmaschinen dadurch nicht erheblich eingeschränkt?

Helmbrecht: Aus Sicht des Suchenden und der Unternehmen, die Ihre Daten nutzen wollen, sicher. Für den Betroffenen aber ist es ein wichtiger Schutz seiner persönlichen Daten. Aus dessen Perspektive besteht noch viel mehr Handlungsbedarf.  

tagesschau.de: Das Gericht spricht von einem notwendigen Ausgleich der Interessen zwischen den Betroffenen und den Nutzern. Ist mit diesem Urteil dieser Ausgleich erzielt worden?

Helmbrecht: Wenn Sie die Unternehmen fragen, wird ihnen das zu weit gehen, die Datenschützer werden noch weitere Gesetze fordern.

tagesschau.de: Wie kann man unterscheiden zwischen personenbezogenen und anderen Daten?

Helmbrecht: Ich glaube, das ist nicht so leicht möglich. Das muss wohl dann im Einzelfall abgewogen werden.  Bei Links, die rein private Informationen enthalten, ist es unstrittig. Aber diese Unterscheidung ist eben nicht immer leicht zu treffen.  

tagesschau.de: Experten vermuten nun eine Klagewelle von Menschen, die persönliche Links löschen lassen wollen. Wird das heutige Urteil das Internet und die Möglichkeiten, sich darin zu bewegen, fundamental verändern?

Helmbrecht: Die Löschung von Links mit personenbezogenen Daten ist ja nur ein ganz kleiner Baustein. Und das Urteil gilt ja auch nur für Europas Bürger. In Asien und den Staaten zum Beispiel hat man ein ganz anderes Verständnis vom Internet. Noch immer ist das Netz ein weitgehend rechtsfreier Raum, in dem viele Dinge nicht geregelt sind. Und man darf auch nicht vergessen, dass die Bürger viele Programme, in denen ihre persönlichen Daten ausgewertet werden, sehr gerne nutzen. Die Ortungssysteme zum Beispiel: Wo ist das nächste Restaurant, der nächstgelegene Freund, wann geht das nächste Flugzeug. Wir geben dort bewusst Privatsphäre preis, um diese Dienste zu nutzen.

tagesschau.de: Wann wird sich im Internet ein Rechtssystem etabliert haben?

Helmbrecht: Der Prozess zur rechtlichen Regulierung persönlicher Daten im Netz steht noch ganz am Anfang. Und darüber sind wir in einem intensiven Diskurs. Wie wollen wir im Internet ein Rechtssystem der Zukunft schaffen? Das ist eine der ganz entscheidenden Fragen für unsere Gesellschaft.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.