Quinten in der Schweiz Idylle fürs Museum?
Obwohl das Schweizer Dorf Quinten malerisch am See liegt und durch sein mildes Klima besticht, kämpft es gegen Abwanderung. Familien, die dorthin ziehen, werden finanziell unterstützt, denn die Idylle hat einen Haken.
Wenn die Grundschullehrerin Lucia Schnellmann ihren täglichen Arbeitsweg schildert, dann erinnert das an eine kleine Weltreise: "Ich gehe durch einen dunklen Wald, meistens mit der Taschenlampe. Dann habe ich mir ein Schiff bestellt. Das kommt mich dann extra abholen und bringt mich auf die andere Seeseite, und da wartet mein Auto, womit ich dann zur Arbeit nach Glarus fahre."
Schnellmann lebt im Ostschweizer Dorf Quinten. Der Ort liegt idyllisch unterhalb der mächtigen Bergkette Churfirsten direkt am Ufer des gut fünfzehn Kilometer langen und zwei Kilometer breiten Walensees. Das autofreie Quinten ist nur durch einen mehrstündigen Fußmarsch oder über den See erreichbar.
Auf die Insel geht es nur zu Fuß - oder mit dem Kursschiff.
38 Einwohner - früher waren es mal 170
Damit die quirlige Lehrerin morgens pünktlich vor Ihrer Klasse stehen kann, wählt sie das Kursschiff, das regelmäßig den Ort ansteuert. Es wird vor allem von Touristen genutzt. Einheimische sind klar in der Unterzahl, erklärt Ortspräsident Markus Scherrer, der den Schiffsbetrieb Walensee leitet: "Zurzeit sind es zirka 38 Einwohner, die in Quinten leben. Früher waren es mal bis zu 170 Einwohner."
Doch viele Jobs in der Landwirtschaft sind weggefallen. Zudem scheint die schwierige Erreichbarkeit des Dorfes nicht in die Zeit zu passen. Die Stiftung "Quinten lebt" will erreichen, dass das Dorf dennoch nicht ausstirbt, erzählt Scherrer. Ihr Ziel sei es, im Ort Arbeitsplätze zu schaffen und "Familien herüberzuholen". Inzwischen seien auch einige Wohnungen entstanden, die vermietet würden.
Derzeit gibt es gerade einmal drei Kinder im Dorf. Die Stiftung verspricht Familien, die nach Quinten ziehen, 200 Franken pro Kind und Monat. "Wir hoffen schon, dass es nicht ein Museumsstück wird", sagt Scherrer mit Blick auf die Zukunft des Ortes.
Wegen des milden Klimas ist Quinten ein beliebter Ort für Wanderer.
Südfrüchte und traumhafte Natur
Quinten, das auch "Riviera der Ostschweiz" genannt wird, ist ein beliebter Ausgangspunkt oder Ziel von Wanderungen - das ganze Jahr über. Denn durch die schützenden, fast senkrechten Felsen und die Südlage herrscht in dem Dorf ein außergewöhnlich mildes Klima. Sogar exotische Früchte wachsen hier. "Es wird sehr viel Weinbau betrieben", erklärt Scherrer. "Es gedeihen auch südliche Früchte wie Feigen, Kiwi, Kaki."
Auch die Tierwelt ist in dem abgelegenen Ort besonders. Das erlebt Lehrerin Schnellmann auf ihrem täglichen Arbeitsweg. Sie erzählt von Gämsen, die auf dem Weg stehen, Rehen und Hirsche, "die hallo sagen kommen". Immer wieder treffe sie Schlangen, Blindschleichen oder seltene Käfer an. "Wenn die Orchideen blühen, mag ich kaum warten, bis die nächste auch offen ist", erzählt sie. "Es ist immer wieder so ein Suchen in der Natur, was ist jetzt gerade Zeit. Und wir haben hier eine Traumnatur."
Doch die Idylle in Quinten birgt auch regelmäßig Frustmomente: Wenn das Schiff verpasst wird, "dann gibt's Quintener Yoga. Man wartet". Eine Stunde dauere es dann, bis das nächste Schiff kommt, erzählt Schnellmann - wenn man Glück hat. Wenn man Pech hat, seien es auch mal zwei.