Indigene zu gescheitertem Referendum "Ich muss damit für immer leben"
Die indigenen Völker Australiens sollten ein beratendes Gremium im Parlament bekommen. Doch im Referendum sprach sich eine Mehrheit dagegen aus. Junge Indigene zeigen sich enttäuscht.
Charlee, Amira und Mona aus Perth haben seit Anfang des Jahres an Türen geklopft, Gespräche geführt, Flyer verteilt. Doch ihre Mühe war umsonst. Das Referendum, das den Indigenen in Australien ein größeres Mitspracherecht in der Politik ermöglichen sollte, ist gescheitert.
Charlee ist 19, aus einer Indigenen-Familie - und nun sehr enttäuscht. "In einem Monat haben die meisten das alles vergessen. Aber ich muss damit für immer leben", sagt sie. Dabei, so sieht sie es, ging es doch nur um ein beratendes Gremium - verankert in der Verfassung. "Das tut niemandem weh. Das ist für mich und meine Leute, es hat keine Auswirkungen auf andere", sagt Charlee: "Wenn wir uns noch nicht mal auf ein einfaches beratendes Gremium einigen können - was sagt das über Australien aus?"
60.000 Jahre auf dem Kontinent
Diese Ansicht teilt auch der Indigene Stephen van Leeuwen, Professor an der Curtin Universität von Perth: "Die Verfassung ist zwar nur ein Stück Papier, aber es ist so wichtig, dass wir als die ursprünglichen Bewohner Australiens anerkannt werden." Denn die Indigenen, so sagt er, leben seit mehr als 60.000 Jahren auf dem Kontinent, die Siedler erst seit rund 250 Jahren. "Auf einer Zwölf-Stunden-Uhr beträgt ihre Zeit hier etwa 15 Sekunden, verglichen mit den Aborigine und Torres-Strait-Insulanern", sagt van Leeuwen.
Die Indigenen Australiens sind bis heute benachteiligt. Viele sind schlecht gebildet, sterben früher, leben am Rand der Gesellschaft, die Kriminalitätsrate ist hoch. Die 21-jährige Amira kennt die Zahlen, sie studiert Politikwissenschaften. "Im Moment ist ihre Lebenserwartung acht Jahre geringer, für junge Indigene ist es wahrscheinlicher im Gefängnis zu landen als auf die Universität zu gehen", sagt sie.
Delegierte des "Central Land Council" Australiens warben nahe des Uluru für ein "Ja" beim Referendum.
Raus aus dem Kreislauf
Charlee ist eine der Ausnahmen, die es geschafft hat - raus aus dem Kreislauf der Armut und Gewalt. Sie studiert inzwischen Soziale Arbeit. Charlees Freundin Emma ist häufig schockiert, wenn Charlee ihr erzählt, was sie alles erlebt hat in ihren 19 Lebensjahren, mit welchen Stereotypen sie und ihre Familie konfrontiert sind.
Die lauten dann in etwa so: "Aborigines bekommen so viele Autos und Häuser, kostenlos, klar, ich fahre zur Schule in meinem Lamborgine", sagt Charlee: "Wenn das der Fall wäre, würde ich nicht hier stehen. Wir bekommen nichts umsonst. Ich weiß nicht, wo sie das herhaben. Meine Familie muss arbeiten."
Emma hat eine Vermutung, was das Problem ist: "Australier haben einfach wenig Berührungspunkte mit Aborigines, sie haben Stereotype im Kopf, ohne die Kultur zu kennen oder was in ihren ländlichen Gemeinschaften wirklich vorgeht."
Eine Mehrheit der Australier stimmte beim Referendum mit "Nein".
Premierminister gesteht Niederlage ein
Daher war Charlees Hoffnung, dass sich durch das Referendum etwas ändert, groß. "Ich denke, wenn wir ein Beratungsgremium hätten, das für uns spricht, ein Aborigine, der sieht und weiß, was wir brauchen, mehr Bildung, mehr Sexualerziehung, mehr Gesundheitsvorsorge, ich denke, das würde helfen, die Lebenserwartung zu erhöhen."
Doch das Referendum ist vorerst gescheitert, räumt Premierminister Anthony Albanese ein: "Das Ergebnis des Referendums ist nicht wie ich erhofft hatte. Aber ich respektiere die Entscheidung und den demokratischen Prozess, der uns dorthin geführt hat." Er wolle nun nach neuen Wegen für mehr Gleichberechtigung suchen. Doch einen Plan B gibt es noch nicht.
"Mal gibt es Durchbrüche, mal brechen Herzen"
Die Ministerin für Indigene Angelegenheiten, Linda Burney, will dennoch etwas Positives aus der Geschichte ziehen. "Ich weiß, dieses Ergebnis ist für einige schwer, aber es ist nie einfach, Fortschritte zu erzielen, und der Fortschritt verläuft nicht immer geradlinig. Mal gibt es Durchbrüche, mal brechen Herzen", sagt sie: "Aber ich bin zuversichtlich, dass aus dieser Kampagne und den Millionen von Gesprächen, die sie ausgelöst hat, eine neue Generation indigener Führungspersönlichkeiten hervorgehen wird."
Vielleicht wird Charlee irgendwann mal eine von ihnen sein. "Ich habe das Gefühl, ich habe mein ganzes Leben für meine Rechte gekämpft", sagt sie: "Und schon meine Omas und Tanten haben dafür gekämpft. Es sollte nicht über Generationen weitergehen, es sollte längst gestoppt sein, aber es geht weiter."
Charlee sagt, auch sie werde weiterkämpfen.