Brüssel will Notrufsystem für Neuwagen Schnelle Hilfe in der "goldenen Stunde"
In der ersten Stunde nach einem Autounfall ist schnelle Hilfe besonders wichtig. Um Ärzte rascher über Unfälle zu informieren, sollen alle Neuwagen schon bis 2015 mit einem Notrufsystem ausgestattet werden. Fachleute reagieren skeptisch.
Von Astrid Freyeisen, BR-Hörfunkstudio Brüssel
Ein Autounfall irgendwo im nirgendwo: Wenn Minuten über Leben und Tod entscheiden, soll ein automatisches Notrufsystem die Retter rufen, ohne Eingreifen der Insassen im Unfallauto. Die Auslöser: der Airbag, der Aufprall und der besonders straffe Sicherheitsgurt.
"eCall wird europaweit Pflicht", erklärt Verkehrskommissar Siim Kallas den Vorschlag der EU-Kommission. Ab Oktober 2015 werden demnach alle Neuwagen über den Notruf 112 mit E-call-System ausgestattet. "Das alarmiert die Notrufzentren, selbst wenn der Autofahrer bewusstlos ist. Die Zentren werden in der Lage sein, solche Notrufe effizient zu bearbeiten. Sie schicken den Krankenwagen viel schneller los, als das heute möglich ist."
Der EU-Kommissar rechnet vor: Unfallopfer sterben zur Hälfte binnen Minuten, zu 30 Prozent innerhalb von Stunden. Pro Jahr könnten also europaweit 2500 Unfallopfer gerettet werden.
Ein Grund, warum Ivan Hodac vom Verband der europäischen Automobil-Herstellerverband grundsätzlich ECall unterstützt: "Es rettet Leben. Wir wissen, dass die 'goldenen Stunde', also die Stunde nach dem Unfall, extrem wichtig ist. Wir als Industrie sind bereit. Die Technologie ist da. Aber der Kunde wird nicht bereit sein, für eine Technologie zu bezahlen, die nicht funktioniert. Und ohne eine ordentliche Infrastruktur wird sie nicht funktionieren."
Der Brüsseler Lobbyist der Autobauer fürchtet zweierlei: dass elektronische Daten nicht exakt genug seien, um Krankenwagen auch sicher zum Unfallort zu leiten. Und dass der elektronische Notruf in der Praxis doch nicht verlässlich mit den Zentralen verbunden wäre.
Kein Modell für die ganze EU?
Klaus Heimgärtner vom ADAC sieht dies ähnlich: "In den stark industrialisierten europäischen Ländern wie Deutschland oder Frankreich wird es leichter sein, ein solches System zum Laufen zu kriegen. In den eher strukturschwächeren Gegenden, etwa im Osten der EU, wird das im Einzelfall schwieriger werden."
Aber nicht einmal in Deutschland gab es bisher umfangreiche, aussagekräftige Studien. Deshalb, so Heimgärtner, müsse man abwarten, was die Praxis wirklich bringt.
Weniger als ein Prozent der Autofahrer haben nach EU-Informationen ihre Wagen schon mit eCall-Technologie ausgestattet - auf freiwilliger Basis. Die könne ein Auto um rund 400 Euro teurer machen, schätzt Lobbyist Hodac. Eine eCall-Pflicht brauche außerdem drei Jahre, um umgesetzt zu werden. Jetzt, so Hodac, seien die Regierungen am Zug. Denn die Kommission formuliere nur den Rahmen. Aber die Regierungen müssten die nötige Infrastruktur bereitstellen.