Interview mit dem Islamwissenschaftler Kai Hafez Türkei als Vorbild: Perspektiven für die islamische Welt
Dritter Teil des Interviews mit dem Islamwissenschaftler Kai Hafez
tagesschau.de: Sie sagten, der Islamismus stelle durchaus eine Gefahr für die islamischen Staaten dar. Beispiel Irak: Destabilisieren die radikalen Islamisten hier nicht die Lage noch weiter?
Hafez: Im Irak ist die Lage noch unklar. Ich bin nicht ganz sicher, ob tatsächlich Islamisten hinter den Anschlägen stecken. Es sind ja unterschiedlichste Gruppierungen, die sich zu den Attentaten bekannt haben.
Im Irak finde ich im Moment eher den internen Wettstreit im islamischen Lager interessant. An der Frage, ob man einen islamischen Staat will und wenn ja, welche Ordungsvorstellung dann dominierend sein soll, scheiden sich die Geister. Bislang ist unklar, wie diese Auseinandersetzung ausgehen wird.
Die Ermordung des gemäßigten schiitischen Führers El Hakim in Nadschaf illustriert, wie hart hier um die Macht gekämpft wird. Aber ich habe den Eindruck, dass die Mehrzahl der Schiiten im Irak alles andere als islamistisch ist. Das bedeutet: Als politische Bewegung haben sich die Islamisten im Irak noch gar nicht durchgesetzt. Ob sie für die antiamerikanischen Attentate verantwortlich sind, ist Spekulation.
Andererseits scheint mir grade die chaotische Situation im Irak dazu geeignet, dass eine immer größere Zahl von Islamisten in das Land vordringen und diese Anschläge mit verüben kann. Damit entsteht die Pervertierung dessen, was US-Präsident George W. Bush angekündigt hat. Sein Ziel war es, mit dem Krieg die – aus Sicht der USA - Förderung des Terrorismus durch Saddam Hussein zu unterbinden. Das Gegenteil ist nun der Fall.
tagesschau.de: Am Beispiel des Irak zeigt sich, dass es nicht ausreicht, einen Diktator zu stürzen, um ein Land zu reformieren. Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um die Gefahr des radikalen Islamismus einzudämmen?
Hafez: Die Einbindung der Islamisten in den politischen Prozess wäre notwenig. Besonders beispielhaft dafür ist der türkische Weg, denn die Türkei ist in dieser Hinsicht inzwischen am weitesten. Ägypten und Jordanien hatten in der Vergangenheit ebenfalls Schritte in diese Richtung entwickelt, sind aber seit etwa 10 Jahren wieder in der Rückwärtsbewegung begriffen.
Um Ihre Frage beantworten zu können, muss man dem großen Lager islamistischer Kräfte zunächst einmal Folgendes attestieren: Sie haben politische Vorstellungen, die zwar ultrakonservativ sind und in vielerlei Hinsicht von anderen Kräften nicht geteilt werden. Aber sie verfügen über ein hohes Maß Sympathie in der Bevölkerung. Man kann dies auf etwa 30 Prozent beziffern. Das gilt nicht für die radikalen Islamisten, aber für den Islamismus an sich. Etwa 30 Prozent der meisten arabisch-islamischen Bevölkerungen könnten sich unter bestimmten Bedingungen vorstellen, einen islamistischen Staat zu unterstützen.
Das ist zunächst einmal eine öffentliche Befindlichkeit, mit der man umgehen muss. Die reine Verbotshaltung verbietet sich aus dieser Sichtweise, denn sie ist undemokratisch. Man muss mit solchen Gruppierungen aber andererseits auch insofern demokratisch verfahren, als man ihnen grundsätzlich einen Gewaltverzicht und die Einwilligung zu demokratischen Verfahrensweisen abnötigt. Willigen sie ein, muss man ihnen aber die Chance geben, sich zu präsentieren, am politischen Wettbewerb teilzunehmen und sich zu integrieren.
Diese Politik ist allerdings in den wenigsten Ländern systematisch verfolgt worden. Man unterdrückt die Islamisten mehr oder weniger und wird in dieser Haltung leider von den Amerikanern und Europäern unterstützt. Man kann dies in Staaten wie Tunesien beobachten, das ultra-autoritär agiert und dabei maßgeblich von Frankreich gedeckt wird. Ich halte diese Politik für grundlegend falsch. Die Europäer und Amerikaner müssten vielmehr auf Moderation dringen und anerkennen, dass es in der Bevölkerung Sympathien für Islamisten gibt.
Man muss zudem anerkennen, dass diese islamistischen Bewegungen, ob sie einem nun passen oder nicht, derzeit der einzige antiautoritäre Oppositionsfaktor in totalitären Staaten wie etwa Tunesien sind. Der Islamismus entwickelt eine Art paradoxe Wirkung. Auf der einen Seite ist seine Ideologie nicht klar demokratisch, aber auch nicht klar undemokratisch und so beschaffen. dass man sie auf jeden Fall beobachten und konditionieren muss. Auf der anderen Seite sind die Islamisten diejenigen Kräfte, die im Moment Druck auf die autoritären Regimes ausüben und in Opposition zu ihnen stehen. Insofern können sie auch eine demokratisierende Wirkung haben. Das ist aber nur dann möglich, wenn man nicht die gewaltsame Konfrontation mit ihnen sucht. Dann drängt man einen kleineren, aber sehr machtvollen Teil in den Untergrund und damit aus dem staatlichen Gewaltmonopol heraus. Das fördert bürgerkriegsähnliche Spannungen.
Das Gegenteil gilt für den bereits angesprochenen türkischen Weg: Wir hatten in Berlin grade den Besuch eines im weitesten Sinne noch islamistischen türkischen Ministerpräsidenten, Erdogan. Zwar gehört er in das Lager derjenigen Islamisten, die wir heute als demokratiekompatibel ansehen, aber letztlich ist er ein Kind dieser geistigen Entwicklung. Heute wird er in Berlin empfangen und die Türkei ist auf dem Weg in die Europäische Union. Insofern kann man an der Türkei beobachten, wie weit man es mit einer Politik, die die Befindlichkeiten der Bevölkerung ernst nimmt, bringen kann.
tagesschau.de: Sind die Massen-Proteste in Iran ein weiteres Beispiel für einen Umbruch hin zur westlichen Staats-Vorstellung?
Hafez: Iran ist ein Staat, von dem man sicherlich annehmen kann, dass dort binnen der nächsten zehn Jahre ein Umbruch stattfinden wird. Dieser wird den islamischen Staat aber nicht gänzlich wegfegen, sondern ihn wohl aller Voraussicht nach in entscheidender Weise moderieren, so dass er für die Menschen demokratisch und lebbar wird.
In Iran gibt es eine starke Kritik an dem derzeitigen Mullah-Regime. Das jetzige Herrschaftssystem ist ohne Vorbild in der islamischen Welt und das Prinzip der Oberhoheit eines islamischen Rechtsgelehrten wird sich kaum über einen längeren Zeitraum halten können. Das hat es noch nie gegeben und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis dieses Prinzip wieder aufgegeben wird.
Die andere Frage ist aber, ob die Iraner tatsächlich wollen, dass die islamischen Elemente aus der Verfassung und ihrem alltäglichen Leben ganz verschwinden. Zwei Generationen haben dort den fundamentalen Islam stark gefördert – und das war eine Volksbewegung – und nun werfen ihn die nächsten Generationen wieder komplett über Bord? Ich bezweifele, dass ein solches Szenario denkbar ist, sondern glaube, dass das Resultat der Reformen eine Mischform sein wird. Die islamische Prägung eines Staates kann sich in vielfacher Weise ausdrücken. Kernelemente des Islam werden in Iran sicher beibehalten werden. Zum Beispiel wird es sicherlich eine stärkere Verzahnung von staatlichem und religiösen Leben auch nach einem Umbruch geben, als wir das in Europa kennen. Gleichzeitig wird man aber Verfassungsstaatlichkeit und Demokratie einkehren lassen.
Nach laizistischer Auffassung wäre das zwar allemal noch nicht demokratisch, aber es wären die Grundbedingungen für unsere Anforderungen an die Demokratie auch in Iran denkbar – nämlich die Abwählbarkeit einer Regierung, die Garantie des individuellen Menschenrechtes als vorstaatliches Recht und schließlich die Möglichkeit zum freien Austausch von politischen Meinungen.
Möglicherweise wird Iran in Zukunft sogar, ähnlich wie die Türkei heute, ein Modell für eine Form der Demokratie, in der auch islamische Regierungsformen existieren können. Das wiederum könnte eine Ausstrahlungskraft auf die arabischen Staaten haben.
Das Gespräch führte Jan Oltmanns, tagesschau.de