Rede zu europäischer Flüchtlingspolitik Juncker rechnet mit EU-Staaten ab
EU-Kommissionschef Juncker hat vor dauerhaften Grenzkontrollen und einem Ende der Reisefreiheit in der EU gewarnt. Er appellierte an die Mitgliedstaaten, sich in der Flüchtlingskrise stärker einzubringen. Europa gebe momentan ein geradezu klägliches Bild ab.
Der Chef der EU-Kommission brauchte fast eine halbe Stunde, um sich warmzureden. Doch dann kam Jean-Claude Juncker auf das Thema zu sprechen, das ihn selbst emotional hörbar am meisten bewegt: die Flüchtlingskrise. "Ich bin es langsam leid, dass man immer wieder die Europäische Kommission und die Europäische Union dafür kritisiert, dass nicht genug getan worden wäre. Die Kommission hat alles gemacht“, schimpfte Juncker.
Vielmehr seien es die Einzelstaaten der EU - einige Einzelstaaten, wie Juncker präzisierte -, die sich nicht daran hielten, was verabredet worden sei.
Bestes Beispiel: die EU hatte schon vor Monaten beschlossen, 160.000 Schutzsuchende in Europa zu verteilen. Bislang ist es lediglich gelungen, gerade mal ein paar Hundert unterzubringen.
Manche Gespräche geradezu peinlich
Juncker erzählte, Gespräche mit dem jordanischen Königshaus seien ihm in dem Zusammenhang geradezu peinlich. Weil er dann immer erklären müsse, warum es dem reichsten Kontinent der Welt nicht gelinge, die Zuwanderung in den Griff zu kriegen.
"Dann errötet man nicht nur leicht, wenn die Gesprächspartner darauf hinweisen, dass die Probleme in ihrem eigenen Land viel gravierender wären", schilderte Juncker. "Wenn wir in Europa so viele Flüchtlinge aufnehmen wie die Jordanier und die Libanesen - kleine Länder, arme Menschen - dann müssten wir 100 Millionen Flüchtlinge in Europa aufnehmen!"
Ein bisschen Bescheidenheit, nicht nur den Nachbarstaaten Syriens gegenüber, empfiehlt Juncker den EU-Ländern angesichts der eigenen Unfähigkeit, die Flüchtlingskrise zu meistern.
Finanzminister Schäuble hat ungewöhnlich deutlich das Szenario umfassender deutscher Grenzkontrollen ins Spiel gebracht. Falls Deutschland Schweden bei den Grenzkontrollen folge, "dann ist das nicht ein deutsches Problem, sondern eine enorme Gefährdung Europas", sagte der CDU-Politiker in Brüssel nach Beratungen mit seinen europäischen Kollegen.
Schäuble forderte einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen. Zugleich sprach er sich dafür aus, enger mit EU-Nachbarstaaten und Herkunftsländern von Flüchtlingen zusammenzuarbeiten. "Dafür werden wir sehr viel mehr Geld brauchen."
"Weniger Schengen heißt mehr Arbeitslosigkeit"
Eine Unfähigkeit, die nach Ansicht des Christdemokraten auch für Europa selbst zur Gefahr wird: "Ohne Schengen, ohne die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, ohne die Reisefreiheit, von der alle Europäer profitieren, macht der Euro keinen Sinn."
Einige europäische Länder hatten zuletzt wieder Grenzkontrollen eingeführt, andere gar Zäune gebaut. Doch alleine die Kontrollen auf der Öresund-Brücke zwischen Schweden und Dänemark hätten bereits 300 Millionen Euro gekostet, rechnete der Ex-Finanzminister Luxemburgs vor.
Nicht nur anhand dieses Rechenbeispiels kommt Juncker am Ende auf diese Gleichung: "Weniger Schengen, weniger Binnenmarkt heißt mehr Arbeitslosigkeit."
Flüchtlinge können Wohnort nicht "selbstherrlich" bestimmen
Die Kommission werde in diesem Jahr weitere Vorschläge in Sachen Flüchtlingspolitik machen, kündigte Juncker an. Der aber auch ein Wort an die Schutzsuchenden selbst richtete. "Es kann nicht so bleiben, dass diejenigen, die nach Europa kommen, in selbstherrlicher Selbstbestimmung festlegen, wo sie denn hin möchten. Und wo sie denn leben möchten."
Wenn man die Juncker-Rede als eine Art verspätete Neujahrsansprache betrachten möchte, dann war diese sicher keine vor Zuversicht sprudelnde. Er mache sich keine Illusionen über 2016, bekundete der Kommissionschef denn auch. Europa sei an vielen Stellen verletzlich geworden. Aber die Diagnose, dass dies der Anfang vom Ende sei, lehne er ab.