EU und Großbritannien Militärisch weiter Seit an Seit?
Großbritanniens militärische Fähigkeiten sind wichtig für die EU und internationale Einsätze - aber wie geht es nach dem Brexit weiter? Beide Seiten wollen eine Kooperation.
Man konnte es in den Köpfen der Zuhörer förmlich rattern hören, als der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson bei seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar die Zuhörerschaft auf einen kurzen Ausflug in die gar nicht mehr so junge Vergangenheit mitnahm: "Wir sind stolz, sehr stolz auf unsere tiefe und langjährige Freundschaft mit Deutschland. Vor 260 Jahren kämpften wir Seite an Seite in der Schlacht von Minden."
Minden. Minden? Wie war das nochmal genau?
Im Jahr 1759 entschieden hier die preußischen Truppen Friedrichs des Großen gemeinsam mit den Briten eine wichtige Schlacht des Siebenjährigen Krieges für sich - gegen das französische Heer. Diese Erklärung lieferte Williamson nicht mit, so dass dem Sicherheitskonferenz-Publikum nur übrig blieb, den Sitznachbarn zu fragen oder selber auf dem Smartphone nachzuschlagen.
Verteidigungsminister Williamson versprach in München eine Fortsetzung der Zusammenarbeit.
Die Botschaft des Briten dürfte trotzdem angekommen sein: Was die Sicherheit angeht, ist das Königreich viel zu eng verbunden mit Deutschland, mit Europa, als dass die kommende Scheidung diese Bande komplett lösen wird. "Wir haben schon zur europäischen Sicherheit beigetragen, bevor es die EU oder die NATO überhaupt gab. Wir werden das weit über den Austritt aus der Europäischen Union hinaus tun."
Streit über "Galileo"
Aber so einfach wird das alles nicht: Bislang ist in einer dem Austrittsvertrag angehefteten politischen Erklärung nur schemenhaft skizziert, wie eine zukünftige Sicherheitspartnerschaft zwischen der EU und Großbritannien aussehen könnte.
Und schon ein flüchtiger Blick in Richtung Sterne beweist, wie kompliziert das alles werden dürfte: EU und Briten haben sich bereits über das Satelliten-Navigationssystem "Galileo" völlig zerstritten. Das System wurde von den Europäern als Konkurrenz zum GPS der USA erdacht. Weil nun die EU das künftige Drittland Großbritannien von bestimmten Entwicklungsschritten auszuschließen begann, stieg London komplett aus und denkt nun über eine Beteiligung an konkurrierenden Systemen nach.
Erschwerte Verbrecherjagd?
Ähnlich schwierig könnte es beim ganzen Bereich Innere Sicherheit werden, also bei der Polizeizusammenarbeit oder der Terrorismusbekämpfung, glaubt der stellvertretende Direktor des Forschungsinstituts Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Christian Mölling. Denn die Brexit-Hardliner wollten genau das loswerden, was man in diesem Bereich dringend brauche: Ein gemeinsames und gesamteuropäisches Netz von Gesetzen und Verordnungen.
Mölling warnt: "Sonst kann jemand, der in Deutschland mit britischem Haftbefehl gesucht wurde, aus dem Gefängnis wieder hinausspazieren, weil sein Anwalt argumentiert: 'Der Haftbefehl hat keinen Rechtsrahmen mehr und ist deshalb auszusetzen.'" Die gemeinsame Verbrecherjagd könnte also womöglich schwieriger werden als die militärische Zusammenarbeit.
"Das ist alles nicht so einfach"
Auch wenn beide Seiten bekunden, die Verteidigungskooperation unbedingt zu wollen, ist auch sie nicht gänzlich frei von Hürden. Ein Beispiel: die Beteiligung der Briten an EU-Militärmissionen: "Das ist alles nicht so einfach, weil das auch bedeuten würde, dass man Großbritannien dann auch aus britischer Sicht einen Platz am Entscheidungstisch einräumen müsste", sagt Mölling. "Den haben sie gerade verlassen."
Bisher beteiligt sich Großbritannien an vielen Einsätzen - wie hier im afrikanischen Mali. Und in Zukunft?
Beteiligung ohne Mitbestimmung?
Dies dürfte in der Tat einer der Dreh- und Angelpunkte der anstehenden Diskussionen werden: Wie eng lässt die EU das militärisch durchaus schwergewichtige Großbritannien künftig an sich heran, ohne dem Land dieselben Vorteile wie einem echten Mitglied einzuräumen? Oder anders herum gesehen: Warum sollten die Briten Soldaten zu EU-Missionen schicken, bei denen sie nicht mitbestimmen können?
"Wenn man so etwas wie die Balkan-Kriege nochmal stemmen müsste, würde man ohne die Briten sehr viel schlechter dastehen. Über den Daumen gepeilt, haben die Briten in der EU derzeit 20 Prozent der Fähigkeiten und 25 Prozent der wichtigen militärischen Fähigkeiten. Alles was mit Aufklärung und Transport zu tun hat, können die Briten beistellen", so Mölling. Die Frage sei nur, ob London dies auch tun werde.
Paradoxes Verhalten
Dass Geschichte bisweilen nicht Ironie-frei ist, beweist auch der Brexit: Hatte die Regierung in London doch jahrzehntelang alles blockiert, was eine engere militärische Zusammenarbeit in der EU betraf, zeigt es nun kurz vor dem Brexit einen Enthusiasmus, den nur wenige auf dem Festland den Briten zugetraut hatten.
Jedenfalls signalisiert das Königreich starkes Interesse, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Was nicht nur, aber sicher auch damit zu tun hat, dass die heimische Rüstungsindustrie leidet, wenn die EU nun mit dem neu geschaffenen Verteidigungsfonds gemeinsame Projekte - seien es Drohnen oder anderes Gerät - anschiebt. Eine Furcht, die übrigens auch die USA umtreibt.
Die Kombination aus Brexit und US-Präsident Donald Trump haben vermocht, den Europäern in einer Art Schocktherapie klarzumachen, dass sie auch militärisch selbständiger werden müssen. Bei den Briten hingegen scheint trotz des bevorstehenden Ausstiegs aus der EU das Interesse an europäischer Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich paradoxerweise eher zu wachsen.
Die EU wird diesen neuen Elan des ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieds wohl kaum völlig verpuffen lassen - auch wenn man beim Thema Brexit vor kaum einer Überraschung gefeit sein kann.