Protest im Iran "Frau, Leben, Freiheit"
Im Iran gibt es immer mehr Kritik nach dem Tod einer jungen Frau im Gewahrsam der Sittenpolizei. Sie war festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch nicht den Regeln entsprechend getragen hatte.
Vor gut einem Jahr übernimmt der ultra-konservative Ebrahim Raisi das Amt des Präsidenten im Iran. Die Angst ist groß, dass die Sittenpolizei die Kleiderkontrollen verschärft. Aber nichts passiert. Frauen lassen das Kopftuch immer weiter nach hinten rutschen, tragen es teils mehr als Halstuch. Unter offenen Blusen, die nicht mal mehr über den Po reichen, tragen manche sogar bauchfreie Shirts mit großem Ausschnitt, dazu enge Hosen. Anfang des Sommers greift die Sittenpolizei plötzlich durch.
Im Internet häufen sich Berichte über rigorose Kontrollen - beispielweise in Coffee Shops nach westlichem Design. Frauen, die nicht korrekt gekleidet sind, kommen in Polizeigewahrsam - wie Mahsa Amini vergangenen Dienstag. Eine junge Teheranerin erzählt der Nachrichten-Agentur Reuters: "Meine Stimme zittert, wenn ich davon erzähle, weil mir das schon ein- oder zweimal selbst passiert ist. Ich habe gedacht, wie würden sich meine Eltern fühlen, wenn mir sowas passiert?"
Während die Studentin spricht, wandern ihre Augen nervös von links nach rechts, wohl um zu sehen, ob sie jemand beobachtet.
"Tod dem Diktator"
Mahsas Familie behauptet, sie sei durch Schläge der Polizei gestorben. Am Wochenende gibt es zahlreiche Proteste. An einer Teheraner Universität rufen sie: "Frau, Leben, Freiheit." Auch in der Heimatstadt der 22-jährigen Amini im Südwesten des Iran am Rande ihrer Beerdigung demonstrieren viele, angeblich sind es Tausende.
In einem Video auf Twitter sieht man Frauen, die ihr Kopftuch in der Luft schwenken. Zusammen mit zahlreichen anderen Demonstranten rufen sie "Tod dem Diktator".
In anderen Twitter-Videos schneiden sich Frauen aus Protest ihre Haare ab und verbrennen Kopftücher. Ein Manager einer iranischen Modefirma postet, man werde künftig keine Kopftücher mehr herstellen.
Raisi kondoliert
Unterdessen weist Innenminister Ahmad Vahidi die Vorwürfe zurück:"Wir haben keinen Bericht, dass die Aufsichtsbehörden diese Frau geschlagen haben. Wir sind uns dieses Vorfalls bewusst, ob er nun stattgefunden hat oder nicht. Im Grunde genommen hat die Sittenpolizei gar keine Mittel, um zuschlagen. Das heißt, sie hat weder Schlagstöcke noch andere Mittel."
Die staatliche Nachrichtenagentur IRNA schreibt, der iranische Präsident, Ebrahim Raisi habe gestern mit Mahsa Aminis Familie telefoniert und ihr sein Beileid ausgesprochen. Er habe eine Untersuchung des Falls angeordnet.
Nach Angaben des Innenministers gibt es Berichte, dass die 22-Jährige schon früher gesundheitliche Probleme hatte und angeblich am Kopf operiert wurde. Die Polizei behauptet, sie habe einen Herzinfarkt erlitten. Eine Regierungszeitung schreibt, der Vorfall werde genutzt, um die Nation aufzuhetzen.
"Kopftuch-Pflicht ganz abschaffen"
Das Bild von Mahsa Amini, einer jungen Frau mit makellosem, sanftem Gesicht und rot geschminkten Lippen, füllt gestern die Titelseiten zahlreicher regierungskritischer Zeitungen. Einige zeigen sie im Krankenbett, bewusstlos, an Maschinen angeschlossen. Eine Zeitung fragt sarkastisch, ob die 22-Jährige so auf den rechten Weg gebracht worden sei. Eine andere fordert ein Ende der Kopftuchkontrollen. Eine weitere titelt: "tödliche Leitlinien".
Der Enkel des früheren Oberste Führers Khomeini schreibt auf Instagram, die Nachricht vom Tod Aminis verletzte die Gefühle der Gesellschaft. Die Justiz solle den Tätern nicht gleichgültig gegenüberstehen.
Der frühere Präsident Khatami erklärt auf Twitter, diese Methoden der Sittenpolizei verstoßen gegen die Scharia und müssen aufhören. Ein andere Teheraner Studentin geht im Reuters-Interview noch weiter und scheint sehr selbstbewusst vielen Iranerinnen und Iranern aus der Seele zu sprechen:
Meiner Meinung nach sollten sie die Kopftuch-Pflicht ganz abschaffen. Jeder, der mag, kann ein Kopftuch tragen, aber jeder, der das nicht will, muss es auch nicht tragen.