Zensur in Hongkong Das unterdrückte Klassenzimmer
Als Hongkong an China übergeben wurde, versprach Peking Freiheit und Unabhängigkeit. 25 Jahre später werden Schulbücher zensiert und Lehrende aus dem Ausland müssen einen Treueeid unterschreiben.
Schulunterricht in Hongkong. Das Klassenzimmer ist ein Ort der Angst geworden, des Misstrauens. "Für mich und einige Lehrer ist es so, dass wir Angst haben, dass Schüler vielleicht zu Hause erzählen, was unterrichtet wurde und dass die Eltern dann Wörter oder Ausdrücke der Lehrer aufgreifen, um bei der Schule Beschwerde einzureichen", sagt eine Highschool-Lehrerin. Ihren richtigen Namen möchte sie lieber nicht nennen. Sie schlägt Frau Wong vor, denn das heißt auf kantonesisch "Gelb". Die Farbe Gelb zeigt, dass sie zu den Liberalen gehört.
Freies Denken und Lehren nicht mehr erwünscht
In der Schule unterrichtet sie ein Fach, das im kommenden Jahr abgeschafft wird: Liberal Studies, übersetzt freie Studien, in denen die Kinder lernen, zu diskutieren und eigene Meinungen zu entwickeln. Stattdessen soll es künftig ein neues Fach geben, das Patriotismus lehren soll. "Es ist verrückt, darüber nachzudenken, wie wir Patriotismus lehren sollen. Patriotismus ist ein Gefühl," betont Wong. Dieses Fach will die 39-Jährige nicht unterrichten. Sie wird Hongkong Ende dieses Jahres verlassen - wie so viele andere Lehrer. Bis dahin muss sie sich strikt an die Lehrbücher halten. Diese sind in den vergangenen Jahren von den Behörden systematisch überarbeitet und zensiert worden. So kritisiert Wong:
Wir dürfen keine anderen Materialen verwenden als die Lehrbücher und das, was von der Regierung vorgegeben ist. Gerade wenn es um negative Seiten der chinesischen Regierung geht oder um unsere Identität. In Hongkong werden wir Lehrer gebeten, nur auf eine Art und Weise zu unterrichten. Das ist eine Beleidigung uns gegenüber - unserer Fähigkeit zu Lehren gegenüber.
Dass auch ausländische Englischlehrer ein Papier unterschreiben sollen, dass sie Hongkong gegenüber loyal sind, bezeichnet sie als lächerlich. Sie ist überzeugt, dass die meisten ausländischen Lehrer Hongkong verlassen werden, so wie zwei Freunde von ihr: "Beide werden Hongkong verlassen, zurück nach Australien, zurück nach Großbritannien. Anstatt dieses Papier zu unterschreiben."
Nationales Sicherheitsgesetz für Schüler
Innes Tang ist Gründungsmitglied des National Security Education Centers in Hongkong, einer Organisation zur Nationalen Sicherheit und Bildung. Er stellt den Lehrenden zum Beispiel Material zur Verfügung, wie sie den Schülerinnen und Schülern das Nationale Sicherheitsgesetz erklären sollen. Sicherheit und Stabilität, wie die Regierung es promotet, findet er wichtig, denn er selbst hat die Demokratieproteste im Jahr 2019 als störend und als gewaltsam empfunden: "Ich denke, wir haben Erfahrungen gemacht. Wir haben gesehen, wie Lehrer die Schüler dazu gebracht haben, gewalttätig zu werden. Das ist nicht richtig, denn die Lehrer sollen die Schüler schützen."
Daher befürwortet er auch einen Treueeid für die Lehrenden: "Als Elternteil würde ich sagen, dass ich mit der Regelung der Regierung einverstanden bin, alle Lehrer aufzufordern, einen Loyalitätseid zu unterschreiben und zu wissen, dass sie ihn leisten müssen. Ich denke, das ist eine gute Sache, weil wir uns dann vielleicht wohler fühlen." Seitdem die chinesische Zentralregierung das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz im Jahr 2020 für Hongkong verabschiedet hat, kann alles kriminalisiert werden, was sich gegen die Regierung richtet.
"Es ist gefährlich, mit Journalisten zu reden"
Was das bedeutet, sieht man an der Geschichte eines anderen Lehrers. "Es ist wirklich gefährlich, mit ausländischen Journalisten zu sprechen. Manche Menschen sind in Gewahrsam oder im Gefängnis, weil sie mit ausländischen Journalisten gesprochen haben." Denn auch das kann als Verschwörung mit ausländischen Mächten ausgelegt werden. Seit einem Jahr unterrichtet der ehemalige Geschichtslehrer nicht mehr an einer Schule, sondern nur noch privat. Der Grund: "Ich hatte in den sozialen Netzwerken eine Nachricht gepostet, in der ich den Missbrauch von Gewalt durch die Hongkonger Polizei gegenüber unschuldigen, harmlosen Bürgern kritisiert habe. Aber dann hat jemand, den ich nicht kenne, eine Beschwerde gegen mich eingereicht. Und jetzt habe ich meinen Job verloren."
Die Beschwerde ist in einer Datenbank der Regierung hinterlegt. Das heißt, auch an anderen Schulen hat er keine Chance mehr. Viele Lehrende und auch Eltern verlassen Hongkong. Sie überlegen, ob es für ihre Kinder nicht besser ist, auszuwandern. Dorothee hat diesen Schritt gewagt und ist mit ihren zwei Kindern für eine bessere Zukunft nach Großbritannien gezogen:
In Hongkong können sie nicht einmal Bücher, Comics lesen oder Filme gucken, und auch wir können die Geschichte nicht weitergeben. Was ist in den letzten drei Jahren passiert? Das kann ich nicht zeigen. Sogar diejenigen, die Comics geschrieben haben, um diese Dinge zu erzählen, wurden verhaftet und sitzen immer noch im Gefängnis. Ich glaube also nicht, dass es in Hongkong sicher und frei ist, für die Kinder dort aufzuwachsen.