Fragen und Antworten zum größten Schweizer Bauprojekt Durchschlag im längsten Tunnel der Welt

Stand: 15.10.2010 14:27 Uhr

15 Jahre hat es gedauert, bis die Tunnelröhre durch den Gotthard fertig gestellt war. Die Idee dafür entstand bereits vor 60 Jahren. Doch warum wurde er überhaupt gebaut? Und wie sind die Arbeitsbedingungen unter Tage? Antworten von <strong>tagesschau.de</strong>.

Ist der Gotthard-Basistunnel der erste Schweizer Großtunnel?

Nein. Seit 1882 gibt es am Gotthard eine Tunnelröhre für die Eisenbahn, seit 1980 einen 17 Kilometer langen Straßentunnel - beides schon Bauwerke von enormer Dimension. Zuvor konnten die Alpen dort nur überirdisch überquert werden: 1830 wurde die Gotthard-Passstraße freigegeben.

Wie lange dauerten die Bauarbeiten bis zum ersten Durchstich?

Rund 15 Jahre. In etwa sieben Jahren sollen erste Züge durch den dann 57 Kilometer langen Tunnel fahren. Die Idee entstand bereits vor 60 Jahren, die Planungen begannen vor 25 Jahren. Die Schweizer stimmten 1992 mit 63,5 Prozent der abgegebenen Stimmen bei einer Volksabstimmung für das Projekt.

Wo genau soll der erste Durchschlag stattfinden?

Die Durchschlagsstelle ist 27 Kilometer vom Nordportal in Erstfeld im Kanton Uri und 30 Kilometer vom Südportal in Bodio im Kanton Tessin entfernt. Die Stelle liegt 2500 Meter unter dem Gipfel des Piz Vatgira.

Allerdings: Eine sechs Zentimeter große Öffnung gibt es bereits - irgendwo zwischen Sedrun in Graubünden und Faido im Tessin. Durch das Loch soll das Kabel für die Liveübertragung des Durchschlags gesteckt werden.

Wie viel Meter pro Tag schaffen die Arbeiter im Berg?

Das hängt davon ab. Die 400 Meter langen und 3000 Tonnen schweren Tunnelbohrmaschinen sind mit rund 60 Meißeln am Bohrkopf ausgestattet. Der Bohrkopf selbst hat einen Durchmesser von zehn Metern. Bis zu acht dieser Mega-Bohrer werden eingesetzt. Sie arbeiten wie Riesenmaulwürfe und schaffen rund 20 Meter täglich - wenn es gut läuft. Ist das Gestein aber bröckelig und druckhaft, muss gesprengt werden. Ein Bohrer bliebe hier stecken. Sprengen ist erheblich langsamer: nur vier bis fünf Meter täglich sind möglich. Pro Sprengung sind bis zu 500 Kilogramm Sprengstoff nötig. Im Durchschnitt kommen die Bauarbeiten täglich um gut 13 Meter voran.

Wird nur von zwei Seiten gebohrt?

Nein, das hätte zu lange gedauert. Es gibt drei so genannte Zwischenangriffe, also zusätzliche Zugangsstollen: in Amsteg, Sedrun und Faido. An diesen Stellen wurden weitere Tunnelbohrmaschinen installiert. "So kommen wir gleichzeitig an mehreren Orten voran", erklärt der Pressesprecher der AlpTransit Gotthard AG, Ambros Zgraggen, gegenüber tagesschau.de. Bemerkenswert ist der Zwischenangriff in Sedrun, wo man weit oberhalb des Tunnelniveaus erst einen rund 1000 Meter langen, waagerechten Zugangsstollen in den Berg trieb, von dessen Ende aus zwei vertikale Schächte rund 800 Meter in die Tiefe gehen. Durch diese Schächte wird Baumaterial in den Berg und abgebrochenes Gestein aus dem Berg transportiert.

Wie viel Tonnen Gestein werden bewegt und wohin?

Um die 24 Millionen Tonnen Fels oder 13 Millionen Kubikmeter Material werden aus dem Berg gebrochen. Das ist das Fünffache des Volumens der gewaltigen Pyramide von Cheops. Anders ausgedrückt: Es reicht für einen übervollen Güterzug, der von Zürich nach New York reicht. 40 Prozent des Gesteins wird in der Betonproduktion verwendet. Ein Großteil wird in der Landschaft "verstaut", etwa im Gelände des Tunneleingangs.

Wie sind die Arbeitsbedingungen für die etwa 2600 Beschäftigten im Berg?

Hart, aber wohl recht gut bezahlt. Knapp unter 30 Grad herrschen im Tunnel - gekühlt, sonst wären es über 40 Grad. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 80 Prozent. Die Männer arbeiten in drei Schichten von je acht Stunden zehn Tage am Stück. Danach haben sie fünf Tage frei. Bei Unfällen auf der Tunnelbaustelle kamen bislang acht Arbeiter ums Leben.

Wie lang ist das Tunnelsystem insgesamt?

Mit allen Quer- und Verbindungsstollen misst das Tunnelsystem insgesamt 152 Kilometer. Die beiden einspurigen Tunnelröhren haben eine Länge von 57 Kilometern. Wenn das Bauwerk 2017 für den Verkehr freigegeben wird, löst es den 53,6 Kilometer langen Seikan-Tunnel zwischen den japanischen Hauptinseln Honshu und Hokkaido als längsten Tunnel der Welt ab.

Was ist das Besondere an dem Tunnel?

Er besitzt nur eine geringe Steigung. Es handelt sich also um die erste alpenquerende Flachbahn. Der Scheitelpunkt ist in Sedrun - nur 550 Meter liegt er über Meeresniveau. Die maximale Steigung auf der Tunnelstrecke bleibt unter acht Promille. Mehr als acht Höhenmeter pro Kilometer müssen die Züge nicht überwinden. Folge: Zugreisende können mit bis zu 250 Kilometern pro Stunde durch die Alpen brausen. Eine einzige Lok wird ausreichen, um einen vollbeladenen Güterzug zu ziehen. Zudem können die Güterzüge erheblich länger ein.

Wie teuer ist das Mammut-Projekt?

Die Kosten werden auf insgesamt rund 19 Milliarden Franken (umgerechnet rund 14,2 Milliarden Euro) geschätzt.

Warum wird der Tunnel überhaupt gebaut?

Bis zu 300 Personen- und Güterzüge sollen täglich durch die beiden Röhren rauschen. Die Reise von Zürich nach Mailand dauert dann nur noch zwei Stunden und 40 Minuten - eine Stunde weniger als jetzt. Auch umweltpolitisch erhofft man sich große Vorteile. Der Tunnel soll den Großteil des Güterverkehrs durch die Schweiz umweltschonend aufnehmen. Auf der Gotthard-Achse fahren täglich zwischen 110 und 130 Güterzüge. Nach der Fertigstellung wird sich der Schienenverkehr auf 200 bis 220 Züge erhöhen, so die Prognose. Dies entspricht einer Transportkapazität von rund 40 Millionen Tonnen pro Jahr. Sie wäre damit etwa doppelt so hoch wie bisher. "Der Gotthard-Basistunnel ist ein Meilenstein auf dem Weg, mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene bringen", sagt der Direktor des eidgenössischen Bundesamtes für Verkehr, Peter Füglistaler.

Zusammengestellt von Wenke Börnsen, tagesschau.de