Teil 2 der Reportage "Der Krieg ist noch nicht zu Ende" Weintrauben und Wut
Wenig später beschimpft eine weißhaarige Frau georgische Journalisten, die mit den EU-Beobachtern ins Dorf gekommen sind: "Ihr Journalisten seid schuld, dass hier Krieg ausgebrochen ist. Bisher sind die Menschen im Dorf gut miteinander ausgekommen und das soll wieder so werden." Nachdem sie ihrem Ärger Luft gemacht hat, zeigt sie sich versöhnlich mit den jungen Leuten und bietet ihnen Weintrauben aus ihrem Garten an.
Die Nachrichten der georgischen Fernsehsender - allesamt regierungsnah - sind in diesen Tagen voll mit Berichten über angebliche russische Provokationen. Im Mittelpunkt steht der Bezirk Akhalgori, der sich am Rande Südossetiens in einem schmalen Tal 50 Kilometer nördlich von Georgiens Hauptstadt Tiflis erstreckt. Vor dem Krieg war das Gebiet unter Kontrolle Georgiens. Nun stehen dort russische Soldaten und angeblich werden es jeden Tag mehr. Die EU-Beobachter haben darauf keine Hinweise, können den Vorwürfen aber auch nicht nachgehen.
Panzerung erforderlich: Die EU-Beobachter müssen damit rechnen, dass der Konflikt jederzeit neu aufflammen kann.
Der Streit um Gebiete wie Akhalgori oder auch das Kodori-Tal in Abchasien konnte eskalieren, weil der Sechs-Punkte-Plan auch zu den Grenzverläufen keine konkrete Aussagen enthält. Er sagt lediglich aus, dass sich die russischen Truppen auf die Positionen zurückziehen müssen, die sie vor dem Krieg innehatten.
Saakaschwili unter Druck
Die vagen Aussagen des Sechs-Punkte-Plans sind nur ein Grund für die andauernden Spannungen zwischen Georgien und Russland. Beide Länder haben ihre Ziele noch nicht erreicht und halten auch nach dem Krieg daran fest: Georgien fordert seine territoriale Integrität. Russland will den NATO-Beitritt seines Nachbarn im Kaukasus und eine Wiederaufrüstung der georgischen Armee verhindern. Zudem ist Moskau erklärtermaßen für einen Abtritt der prowestlichen Regierung von Präsident Michail Saakaschwili. Eine Destabilisierung Georgiens kann der Regierung in Moskau da nur recht sein.
Saakaschwili steht bereits erheblich unter innenpolitischem Druck, auch wenn die Regierung weiter versucht, das Desaster im August als Erfolg zu verkaufen. Viele Georgier befürchten nun, Saakaschwili könnte sein Heil erneut in einer militärischen Auseinandersetzung suchen.
EU-Beobachter zum ersten Mal in Südossetien
In Khurvaleti ist inzwischen mehr als eine Stunde vergangen. Die Sicherheitskräfte des Innenministeriums vertreiben sich die Zeit damit, den Dorfbewohner bei ihren alltäglichen Erledigungen zuzuschauen und mit den Journalisten zu plaudern. Ein Mann mit Stoppelbart trägt einen vollen Wassereimer vorbei, am Straßenrand sucht ein schwarz-weiß geflecktes Schwein nach Freßbarem.
Da tauchen die EU-Beobachter mit ihren leuchtend blauen Westen wieder auf. Sie haben recht zufriedene Gesichter. Ein Franzose mit schwarzem Schnauzbart sagt: "Wir sind heute als erste EU-Beobachter nach Südosssetien hineingegangen." Der Teamleiter erstattet dem georgischen Polizeioffizier detailliert Bericht: Nach einem Kilometer seien die Beobachter von zwei Männern in Uniformen angehalten worden. Einer habe das Emblem der russischen Friedenstruppen am Ärmel getragen. Den EU-Beobachtern sei klargemacht worden, dass sie nicht weitergehen könnten. Doch wollten die zwei Männer mit einem Kommandeur über weitere Kontaktmöglichkeiten sprechen. Man könne sich später wieder treffen.
Der georgische Polizeioffizier nickt. Das hatte er offenbar nicht erwartet. Die EU-Beobachter verabschieden sich und steigen in ihre Fahrzeuge. Sie wollen noch in ein weiteres Dorf fahren und dort Kontakt mit der anderen Seite aufnehmen.
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