Konflikt um abtrünnige Regionen in Georgien "Der Krieg ist noch nicht zu Ende"
Mit einer Beobachtergruppe will die EU verhindern, dass der Konflikt zwischen Georgien und Russland um die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien erneut aufflammt. Doch die Konfliktparteien überhäufen sich mit neuen Vorwürfen, und an den Demarkationslinien sitzt das Misstrauen tief.
3,4 Milliarden Euro und eine mehr als 200 Mann starke Beobachtergruppe der EU - damit soll Georgien geholfen werden, mit den Folgen des Krieges gegen Russland fertig zu werden und den Konflikt mit Abchasien und Südossetien zu befrieden. Doch während die EU-Beobachter an einer Stabilisierung der Situation arbeiten, überhäufen sich die Konfliktparteien mit neuen Vorwürfen und könnten so eine Zuspitzung der Situation herbeiführen.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
"Wir haben heute einen besonders sensiblen Auftrag: Wir gehen auf die südossetische Seite und versuchen dort Kontakt aufzunehmen", sagt der Teamleiter der achtköpfigen EU-Beobachtergruppe. Der Franzose steht mit seinen Kameraden in leuchtend blauen Westen auf einer Dorfstraße neben einem Beobachtungspunkt aus Sandsäcken, den Sicherheitskräfte des georgischen Innenministeriums errichtet haben. Sie bewachen eine unsichtbare Grenzlinie, die das Dorf Khurvaleti 80 Kilometer nordwestlich von Tiflis in einen georgischen und einen südossetischen Teil trennt.
Zwar haben die EU-Beobachter das Mandat, auch in Südossetien und Abchasien zu patrouillieren. Doch bisher stimmen die Führer der beiden abtrünnigen Regionen nicht zu und Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte kürzlich erneut, Streitkräfte seines Landes würden für die Sicherheit in den beiden Gebieten sorgen, die Russland als unabhängig anerkannt hat. Ein Grund für die Unstimmigkeiten ist, dass der Sechs-Punkte-Plan, der auf Initiative der EU zwischen Russland und Georgien im August zustande kam, nur grobe Vereinbarungen enthält.
Wichtigste Devise: Ruhe bewahren
Der EU-Teamleiter erläutert einem georgischen Polizei-Offizier den Plan des heutigen Tages. Er warnt, die Südosseten auf der anderen Seite seien nervös und könnten schießen. Die Georgier sollten sich ruhig verhalten und nicht zurückfeuern. Dann machen sich die unbewaffneten EU-Beobachter aus Polen, Bulgarien und Frankreich zu Fuß auf den Weg. Zwei gepanzerte Fahrzeuge folgen ihnen die Straße hinauf zu einer Art Schlagbaum - einer verrosteten Eisenstange, die auf halber Höhe über der Straße in der Luft hängt.
Die georgischen Sicherheitskräfte mit ihren Sturmgewehren und schusssicheren Westen bleiben zurück. Sie sagen, in den vergangenen Nächten seien die Südosseten immer wieder in die Nähe der georgischen Häuser gekommen. Auch sei ein Auto gestohlen worden. Deshalb hätten sie einen zweiten Beobachtungsposten am Rande des Dorfes errichtet.
Schießereien, Entführungen, Explosionen und Truppenbewegungen auf die Grenzen zu – dies werfen sich die gegnerischen Seiten mit zunehmender Aggressivität vor – der Ton ist so feindlich wie in den Wochen vor dem Krieg im August. Die Führer der abtrünnigen Gebiete haben mittlerweile Schießbefehl erteilt. So kommt ein hochrangiger westeuropäischer Diplomat in Tiflis zu der Einschätzung: "Der Krieg ist nicht vorbei. Die Lage in den Grenzgebieten hat sich noch nicht beruhigt".
EU-Beobachter im Kreuzfeuer der Vorwürfe
Doch nun stehen die EU-Beobachter zwischen den Fronten - und geraten dabei selbst in das Kreuzfeuer der Vorwürfe. Sie gehen den Berichten auf der georgischen Seite nach, "dabei stellt sich immer wieder heraus, dass die ersten Berichte, die wir erhalten, vielfach übertrieben sind", sagt der Leiter der EU-Mission, Hansjörg Haber. Aber er bestätigt: "Leider kommt es nach wie vor zu Zwischenfällen entlang der Verwaltungsgrenzen Südossetiens und Abchasiens." Doch habe sich die Lage seit dem Abzug der russischen Truppen nicht dramatisch verschlechtert, wie es Russland und Südossetien behaupteten. Auch weist er Vorwürfe zurück, die EU unterstütze einseitig Georgien. Solange den EU-Beobachtern kein Zutritt zu den abtrünnigen Gebieten gewährt werde, könnten sie den Vorwürfen auf dieser Seite nicht nachgehen.
Deshalb versuchen die EU-Beobachter jeden Tag aufs Neue, in kleinen Schritten auf die Südosseten zuzugehen, auch wenn sie immer wieder abgewiesen werden. In Khurvaleti treffen sie auf Skepsis der georgischen Bewohner. Nora, eine ältere Frau in buntem Rock und Wollpullover, glaubt nicht, dass die Beobachter helfen können. Sie fürchtet, dass bald russische Soldaten heranrücken. Als der georgische Polizeioffizier kommt, bricht sie ab. Er sagt: "Glauben Sie der Frau nicht, sie könnte eine Südossetin sein."
Lesen Sie hier in Teil 2 der Reportage, wie die Bevölkerung auf die EU-Beobachter reagiert und wie die Zusammenarbeit mit den russischen Truppen in Südossetien funktioniert.