Ein Jahr nach dem Super-GAU von Fukushima Die Energiewende, die noch keine ist
Fast alle der 54 Atomreaktoren in Japan sind vorübergehend vom Netz. Von einem Ausstieg kann dennoch keine Rede sein. In den großen Parteien herrscht weitgehend Konsens, dass man auf die Atomenergie noch nicht verzichten könne.
Von Peter Kujath, ARD-Hörfunkstudio Tokio
Japans früherer Premierminister Naoto Kan ist einer der wenigen Politiker, der für eine Energiewende eintritt. In seiner Amtszeit gab er den Auftrag, ein neues Energiekonzept für Japan zu erarbeiten. Die derzeitige Energiepolitik habe als Ziel, im Jahr 2030 mehr als 50 Prozent der Stromerzeugung mit Hilfe von Atomkraftwerken sicherzustellen, sagte er. "Lediglich 20 Prozent sollen über erneuerbare Energien erfolgen. Es ist notwendig, diese Pläne grundsätzlich neu zu bewerten."
Kurz vor seinem Rücktritt brachte Kan noch das Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien durchs Parlament, aber die Folgegesetze zum Beispiel über die Einspeisungstarife fehlen bis heute. Das neue Energiekonzept soll bis Mitte des Jahres fertig sein.
Vorher, erklärt Akiko Yoshida von Friends of the Earth, würden drei Möglichkeiten zur Auswahl der zukünftigen Energiepolitik dargestellt werden. Eine davon werde der sofortige Atomausstieg sein. Es sehe aber nicht so positiv aus, "denn wenn drei Möglichkeiten zur Verfügung stehen, wird wahrscheinlich die Mitte gewählt - also ein gradueller Ausstieg". Das Problem sei, wie schnell es dann ginge.
Sorge um die Sicherheit
Der amtierende Premierminister Yoshihiko Noda betonte zwar, keine neuen Atomkraftwerke bauen zu wollen, sieht aber die Wiederinbetriebnahme der vorhandenen Anlagen als notwendig an. Allerdings müsse davor durch die sogenannten Stresstests die Sicherheit bewiesen werden.
Einem ungeschriebenen Gesetz zu folge dürfen die Atomkraftwerke in Japan nicht ohne die Zustimmung der betroffenen Gemeinden ans Netz gehen. Und hier regt sich Widerstand. "Ich kann eine Wiederinbetriebnahme nicht unterstützen, solange die Sicherheit nicht wirklich gewährleistet ist", sagt ein Mann. Ein anderer meint: "Wenn ein funktionstüchtiges AKW angehalten wird, hat das wirtschaftliche wie gesellschaftliche Auswirkungen. Wir haben lange die Koexistenz mit den Atomkraftwerken akzeptiert. Aber ihre Sicherheit muss gewährleistet sein."
In den großen Parteien herrscht weitgehend Konsens, dass man auf die Atomenergie noch nicht verzichten könne. Der ehemalige Premierminister Kan spielt keine Rolle mehr. Der befürchtete Engpass in der Elektrizitätsversorgung ist bisher in Japan aber ausgeblieben. In aller Eile wurden alte Thermalkraftwerke wieder in Betrieb genommen. Die Kosten für Öl und Gas lassen die ohnehin hohen Strompreise weiter steigen. Um den Spitzenbedarf im Sommer abdecken zu können, sind die Japaner zudem aufgefordert, Strom zu sparen.
Kommission in der Kritik
Jüngst hat eine Kommission die Preise der Energiequellen neu berechnet. Dabei erhöhte sich der von Atomstrom angesichts der Katastrophe von Fukushima leicht, langfristig bleibt er aber nach Einschätzung des Beratergremiums deutlich unterhalb der Kosten für fossile Brennstoffe.
Umweltschutzorganisationen kritisieren diese Berechnungen allerdings - und Professor Hajimu Yamana, Mitglied der Strompreiskommission, muss einräumen, dass das Genshiryoku Mura, das Atomkraftdorf - wie man die verflochtene Gruppe aus Energiekonzernen, Politik und Wissenschaftlern in Japan nennt - das Vertrauen der Bevölkerung verspielt habe.
Dennoch sitzen in den Gremien zur Energiepolitik noch immer die gleichen Personen wie früher, die für das Inselland Japan trotz der Erdbebengefahr einen gewissen Prozentsatz an Atomstrom für notwendig erachten.