Flüchtlinge auf dem Weg in die EU "Die Leute vor ihrem Unglück bewahren"
Die Insel Lampedusa gilt Tausenden Einwanderern als Tor zu Europa. Hier suchen sie Arbeit, Freiheit und Glück. Es gibt aber noch einen weiteren Fluchtpunkt nach Europa: die Grenzgebiete Griechenlands. Steffen Wurzel hat Polizisten begleitet, die sie an der EU-Außengrenze zur Türkei stoppen wollen.
Von Steffen Wurzel, ARD-Hörfunkstudio Istanbul, zzt. Orestiada
Sein Name verrät es nicht sofort, aber Gennaro di Bello ist in Deutschland zuhause, in Wuppertal. Momentan ist der Polizeihauptkommissar beruflich in Griechenland unterwegs, ganz im Osten des Landes. Unmittelbar an der Grenze zur Türkei fährt der 42-Jährige mit einem schweren Geländewagen der Bundespolizei durch ein Dorf nördlich des Städtchens Orestiada.
Neben ihm im Auto sitzt ein Kollege der italienischen Polizei. Beide arbeiten im Rahmen der europäischen Frontex-Mission in Griechenland. Seit November helfen Beamte aus allen EU-Staaten den griechischen Kollegen bei der Sicherung der EU-Außengrenze zur Türkei.
Die Agentur Frontex mit Sitz in Warschau ist für den Schutz der EU-Außengrenzen zuständig. Sie unterstützt Mitgliedsländer bei der Grenzüberwachung und koordiniert nationale Einsatzkräfte bei der Küsten- und Grenzkontrolle. Die Einrichtung mit 220 Mitarbeitern bildet Grenzschutzbeamte aus und hilft bei der Rückführung von illegalen Flüchtlingen. In der Praxis geht es vor allem darum, im Mittelmeerraum die illegale Einwanderung nach Europa zu verhindern.
Bis zu 250 Flüchtlinge täglich
Die Landesgrenze sei der Brennpunkt, sagt di Bello. Zeitweise seien hier täglich bis zu 250 Leute rübergekommen. "Das ist der einzige Punkt zwischen Griechenland und der Türkei, an dem man trockenen Fußes von der Türkei nach Griechenland kommen kann, und somit auch in die Europäische Union."
Drei Jugendliche - vielleicht 14, 15 Jahre alt - schlurfen am Straßenrand entlang. Ihre Hände stecken tief in den Hosentaschen. Sie schauen grimmig drein. Grund genug für die beiden Frontex-Beamten, die Jungs anzuhalten. "Stop and stand there", sagt eine der Polizisten. Stop - stehenbleiben! Ein kurzes Gespräch in einer Mischung aus englisch und griechisch und schnell ist klar: Die drei Jungs sind keine illegalen Einwanderer, sondern drei gelangweilte Jungs aus der Nachbarschaft. Der Bundespolizist entschuldigt sich kurz. Dann geht es weiter auf holprigen, matschigen Feldwegen in Richtung grüner Grenze zur Türkei.
Überall stehen Büsche, kleine Bäume, die Gegend ist sehr unübersichtlich. Genau hier will die griechische Regierung in den kommenden Monaten einen Zaun bauen. Damit will sie den Strom der illegalen Flüchtlinge stoppen, die hier einreisen.
Ein Zaun soll die Flüchtlinge demnächst aufhalten
Der Polizeichef der Region Orestiada, Georgios Salamagkas, kann es kaum erwarten, bis der Zaun steht. "Mit diesem Zaun schließen wir dieses Tor, durch das in einem Jahr 36.000 Menschen illegal zu uns gekommen sind: Frauen, Männer, Kinder - zu Fuß, in Rollstühlen und auf Krücken."
Zurück im Wagen von di Bello, dem Kontingent-Leiter des deutschen Frontex-Teams. Mit dem Einsatz ist der Bundespolizist bislang mehr als zufrieden. Vor allem, weil es dem internationalen Grenzschutz-Team in den vergangenen Wochen immer wieder gelungen ist, Schleuser festzunehmen. "Die Schleuser an der Landgrenze können wir nicht fassen. So blöd sind die nicht, dass die mit rüber gehen würden. Es sei denn, wir tricksen die so ein bisschen aus. Aber das sind Details, die ich jetzt nicht erzählen kann."
Oftmals kommen ganze Familien mit Kindern
Polizist di Bello betont zwar, er mache bei der Überwachung der Grenze professionell seinen Job. Er gibt aber auch zu, dass ihn das Ganze hier oft nicht kalt lässt. "Natürlich trifft einen so ein Schicksal schon, wenn wir Familien antreffen. Aber wir haben auch einen gewissen Spielraum. Wenn wir Familien mit Kleinkindern erkennen, und wir haben die Möglichkeit, die über die Grenze zu lassen, dann machen wir das auch." Diese Freiheit, sagt di Bello, haben sie sich genommen.
Menschenhandel und Prostitution
Über die Grenze lassen - damit ist gemeint, dass die Flüchtlinge auf griechischer Seite in Gewahrsam genommen und nicht zurück ins türkische Hinterland geschickt werden. Damit tue man den Betroffenen einen Gefallen. Davon ist di Bello überzeugt. Er ist überzeugt, dass sein Job wichtig ist. Ohne die Truppe könnten beispielsweise afrikanische Frauen nach Europa geschleust und dort verkauft werden. "Das fängt an am Straßenstrich in Italien und geht bis nach Skandinavien", erzählt der Polizist.
"Pervers", findet di Bello das. Kritik, dass die Truppe Flüchtlinge von ihrem Glück abhalte, kann er deshalb nicht verstehen. "Ich sehe es teilweise so, dass wir viele Leute vor ihrem Unglück bewahren."