Neues Einwanderungsgesetz Keine Papiere, keine Behandlung?
Frankreich debattiert über ein neues Einwanderungsgesetz. Nach Attentaten im Land steigt der Druck auf Innenminister Darmanin, den Gesetzentwurf zu verschärfen. Besonderer Streitpunkt: die staatliche Gesundheitsversorgung für Migranten.
Innenminister Gérald Darmanin jagt "Monsieur X". So jedenfalls heißen die Menschen in den Fallbeispielen, die Darmanin im großen Stil an die Presse verschickt hat. "Ich habe für alle Départements Informationen zusammengestellt, wie viele dieser Menschen wir mit meinem neuen Gesetz ausweisen könnten - die im Moment aber nicht abgeschoben werden können, weil das Gesetz es verbietet", so Darmanin am Freitag.
Da war der Innenminister an der französisch-italienischen Grenze unterwegs, um für sein Gesetzesprojekt zu werben, für das er immer wieder ein Wort findet: fermeté - Entschiedenheit. Den Konservativen Les Républicains (LR) ist das geplante Gesetz aber nicht entschieden genug. Deren Parteichef Éric Ciotti hatte vergangene Woche betont: "Wir werden uns nicht zu Komplizen dieses politischen Versagens machen, eines Versagens mit Ansage."
Républicains fordern schärferes Gesetz
Die Républicains lehnen den Text ab, wie er nach den Beratungen im Rechtsausschuss der Nationalversammlung vorliegt. Denn der Ausschuss hat viele Verschärfungen wieder rückgängig gemacht, die der Senat zuvor beschlossen hatte. Dazu gehört vor allem die staatliche Gesundheitsversorgung für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus, die Aide Médicale de l’État (AME).
Nach dem Willen des Ausschusses soll die nun bleiben - doch für die Républicains ist sie in der jetzigen Form ein rotes Tuch. "Was wir heute ertragen müssen, ist eine Art Einwanderung in unser Sozial- oder Gesundheitssystem", sagte LR-Fraktionschef Olivier Marleix im Sender Sud Radio. "Die Aussicht darauf, sich in Frankreich behandeln zu lassen, ist durchaus ein Grund, aus dem Menschen kommen."
Experte: Gesundheitversorgung kein Anreiz
Laut einem Bericht des Senats haben etwa 423.000 Menschen im ersten Quartal dieses Jahres die AME erhalten. Im Haushalt für das laufende Jahr sind dafür 1,2 Milliarden Euro veranschlagt. Dass die AME ein "Pull-Faktor" für Migration nach Frankreich ist, glaubt Patrick Stefanini aber nicht. Der ehemalige Präfekt ist Co-Autor eines Berichts über die AME, der Mitte vergangener Woche an die Regierung übergeben wurde.
"Wir wissen, dass viele Menschen ohne geregelten Aufenthaltstitel die AME nicht in Anspruch nehmen", so Stefanini im Interview bei "Public Senat". "Sie haben entweder Angst, dadurch in ein behördliches Verfahren zu rutschen, an dessen Ende sie abgeschoben werden. Oder sie wissen nicht mal, dass es diese Hilfe gibt."
"Schwarzer Moment für öffentliche Gesundheit"
Allerdings müsse die AME reformiert werden, um Betrug zu vermeiden, sagte Stefanini. Viele Medizinerinnen und Mediziner sind von der möglichen Umwandlung der AME in eine reine Notfallversorgung entsetzt. Amine Benyamina ist Psychiater am Hôpital Paul-Brousse in Villejuif südlich von Paris. Er hat gemeinsam mit Kollegen einen Brandbrief in der Tageszeitung "Le Monde" veröffentlicht.
"Wenn wir jetzt anfangen, die Menschen zu sortieren - je nachdem, wie akut sie behandelt werden müssen, dann widerspricht das unserem Berufsethos", sagte Benyamina im Gespräch mit dem ARD-Studio Paris. "Das ist ein wirklich schwarzer Moment für die öffentliche Gesundheit. Die französische Staatsbürgerschaft oder gültige Papiere können doch kein Kriterium sein, um behandelt zu werden."
Mehrheit für strengere Einwanderungspolitik
Doch das Klima, in dem die Debatte stattfindet, ist extrem angespannt. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Menschen in Frankreich für eine strengere Einwanderungspolitik ist. Der islamistisch motivierte Mord an einem Lehrer in Arras Mitte Oktober und die Attacke nahe des Eiffelturms Anfang Dezember verschieben den politischen Diskurs immer weiter nach rechts - und die Regierung steht unter großem Druck.
Um ihr Gesetz durchs Parlament zu bringen, ist sie auf die Stimmen der Konservativen angewiesen, weshalb Innenminister Darmanin gerade ihnen am Freitag nochmal den roten Teppich ausrollte und Zugeständnisse machte: "Ich bitte die Républicains, das politische Klein-Klein zu überwinden und im Sinne des allgemeinen Interesses zu handeln", so Darmanin. "Ich bin bereit, über ihre Forderung zu reden, das Delikt eines 'illegalen Aufenthalts' wieder einzuführen."
Für viele ist die Debatte eine Art Crashtest für Innenminister Darmanin. Dabei könnte der erste Crash schon kommen, bevor die Diskussion überhaupt losgeht: Die Oppositionspartei Les Écologistes hat einen Antrag gestellt, um das Gesetz schon vor den Beratungen abzulehnen. Die Républicains und auch der extrem rechte Rassemblement National lassen bisher offen, ob sie diesem Antrag zustimmen und erhöhen den Druck auf den Minister. Darmanin und die Regierung stehen mit dem Rücken zur Wand - und schon vor Beginn der Debatte scheint der Ton gesetzt.