EU-Russland-Gipfel in Nizza Vertrauen als Verhandlungsziel
Die Kaukasus-Krise hat einen tiefen Graben zwischen der EU und Russland aufgerissen. Beim Gipfel in Nizza verhandeln beide Seiten über eine Wiederannäherung und Vertrauen. Doch im Raketenstreit und bei der Energiepolitik zeigen sich neue Differenzen.
Von Michael Becker, MDR-Hörfunkstudio Brüssel, zzt. Nizza
In Nizza steht die größte russisch-orthodoxe Kirche außerhalb Russlands. Das ist kein Zufall, die mondäne Stadt an der Cote d’Azur erfreut sich bei wohlhabenden Russen seit Jahrhunderten großer Beliebtheit. Es mag aber auch das angenehme Klima sein, das Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy veranlasst hat, den russischen Präsidenten gerade nach Nizza einzuladen. Denn das politische Klima zwischen der EU und Russland ist zurzeit alles andere als gut.
"Vertrauen wiederherstellen"
Die Europäer haben den Russen ihr aggressives Vorgehen in Georgien sehr übel genommen. Seitdem ist es recht frostig geworden im Verhältnis zwischen der EU und Russland. "Wir müssen das Vertrauen wiederherstellen - es ist die Grundlage unserer Partnerschaft", wirbt Sarkozy schon seit Wochen. In Nizza will er das irgendwie schaffen: das Vertrauen wiederherzustellen.
Wenn einer das kann, dann er. Sarkozy steht im Kreml hoch im Kurs. Der engagierte Franzose hatte maßgeblich dazu beigetragen, den Krieg zwischen Russland und Georgien zu beenden. "Wir müssen die Unstimmigkeiten zwischen der EU und Russland überwinden, sonst hätte das gravierende Konsequenzen. Unsere Schicksale sind miteinander verbunden", sagt Sarkozy. Russland habe seine Truppen wie versprochen aus Georgien abgezogen, es gebe deshalb keinen Grund, eine Krise zwischen Europa und Russland heraufzubeschwören.
Streit um US-Raketenschild
Aber ganz so einfach ist es leider nicht. Der Kreml hat bereits eine neue Baustelle aufgemacht. Vor gut einer Woche kündigte Präsident Dimitri Medwedjew in seiner Rede an die Nation an, Russland werde neue Raketen in Kaliningrad stationieren, an der Grenze zu Polen also. Russlands Antwort auf das geplante amerikanische Raketenabwehrsystem in Osteuropa, das die USA gegen Schurkenstaaten wie den Iran schützen soll. Moskau glaubt das allerdings nicht und fühlt sich selbst davon bedroht. Gestern hat Medwedjew den Amerikanern angeboten, auf neue Raketen zu verzichten, wenn Washington im Gegenzug auf den Raketenschutzschild in Osteuropa verzichtet. Die Amerikaner haben das prompt abgelehnt.
Die EU sitzt zwischen den Stühlen. Dabei ist man abhängig von russischen Energielieferungen. Russland ist der größte Energielieferant der Europäer. Diese Abhängigkeit passt vielen in der EU allerdings gar nicht - angesichts der jüngsten Entwicklungen sogar immer weniger. Erst gestern warb EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso dafür, die EU müsse sich nach Alternativen umsehen, etwa in Form von Gaslieferungen aus Zentralasien. Das sei nicht gegen Russland gerichtet. Es sei eine Frage der Vorsicht. "So wie Russland mehrere Kunden haben will, will die EU natürlich auch verschiedene Lieferanten haben", sagte Barroso.
Ringen um Unterstützung für Weltfinanzgipfel
In Moskau weiß man aber nur zu gut, wie man solche Äußerungen zu verstehen hat. Keine leichte Aufgabe also heute für Sarkozy. Immerhin will er den russischen Präsidenten auch noch als Verbündeten gewinnen für die Verhandlungen beim Weltfinanzgipfel in Washington. Wenn Sarkozy Medwedjew heute die Hand zur Versöhnung reicht, wird der Kremlchef sie sicher ergreifen. Die Probleme aber bleiben.