Von der Leyens EU-Kandidatur Auf Überzeugungsmission
Als Kandidatin der christdemokratischen EVP dürfte von der Leyen gesetzt sein. Doch in den Mitgliedsstaaten und im EU-Parlament muss sie Überzeugungsarbeit leisten. Umstritten ist vor allem ihre Klimapolitik.
Sie umarmt Julia Nawalnaja, drückt sie fest an sich. Danach hält Ursula von der Leyen die Witwe des verstorbenen russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny bei den Händen. Es ist ein inniger Moment bei der Sicherheitskonferenz in München, auch wenn er vor Kameras stattfindet. Einen Tag später, am Samstag, sitzt die EU-Kommissionspräsidentin auf der großen Bühne und erläutert den Plan, wie sie die europäische Rüstungsindustrie fördern will. Erstens. Zweitens. Drittens. Die Hände unterstützen die Worte - von der Leyen in Aktion.
Das Gesicht der EU
Die Münchener Sicherheitskonferenz hat einmal mehr gezeigt, wessen Worte die Nachrichten bestimmen, welches Gesicht für die Europäische Union steht. Es ist nicht der unglücklich agierende Ratspräsident Charles Michel, auch nicht Josep Borrell, der als EU-Außenbeauftragter regelmäßig Kopfschütteln auslöst.
Als Gesicht der EU wird Ursula von der Leyen wahrgenommen, die Chefin der von ihr ausgerufenen "geopolitischen Kommission". Und sie will es bleiben. So hört es an diesem Montagvormittag in Berlin auch der CDU-Bundesvorstand von ihr selbst. Das Gremium schlägt sie danach einstimmig als Spitzenkandidatin der europäischen Christdemokraten vor. Eine "ganz bewusste und wohlüberlegte Entscheidung" sei es gewesen, sagt von der Leyen später, als sie zusammen mit CDU-Chef Friedrich Merz vor die Kameras tritt. Wohl niemand zweifelt daran, dass die 65-jährige Niedersächsin beim EVP-Kongress am 7. März in Bukarest gewählt wird und für ihre konservative Parteienfamilie ins Rennen gehen kann.
Viel Überzeugungsarbeit im EU-Parlament nötig
Doch bis die zweite Amtszeit als Kommissionspräsident gesichert ist, müssen noch einige überzeugt werden - nicht nur ausreichend viele Staats- und Regierungschefs in der EU. Das ist die einfachere Hürde. Im Europaparlament haben manche Christdemokraten den Eindruck, von der Leyen verfolge eine zu grüne Politik. Die Grünen hingegen knüpfen eine mögliche Unterstützung daran, dass die CDU-Frau beim Klimaschutz auf Kurs bleibt. Die Liberalen beklagen zu viel Bürokratie.
Fundamental klingt die Kritik beim Linken-Chef Martin Schirdewan: "Die Bilanz der Kommissionspräsidentin ist desaströs: Unter ihrer Präsidentschaft hat sich die soziale Spaltung der EU vertieft." Es sind viele Erwartungen, auf die von der Leyen in ihrem zukünftigem Wahlprogramm eingehen muss. 2019 war die Mehrheit im Europäischen Parlament hauchdünn. Immerhin gibt es diesmal deutlich mehr Zeit, ihre Überzeugungsmission vorzubereiten.
Neuer Führungsstil
Damals war sie die Überraschungsbesetzung. Nicht der eigentliche Spitzenkandidat, der CSU-Mann Manfred Weber, sondern von der Leyen wurde Präsidentin der EU-Kommission. Das Berlaymont, das Hauptgebäude am Schuman-Kreisverkehr in Brüssel, hatte zum ersten Mal eine Chefinnen-Etage. Die Niedersächsin ließ schnell erkennen, dass sie das Amt selbstbewusst nach ihren Vorstellungen prägen will, dass sie sich nicht nur als oberste Verwalterin einer gigantischen Behörde mit 32.000 Mitarbeitern versteht.
Sie und ihr Umfeld haben ein Gespür für wirksame Auftritte und Bilder, für den richtigen Zeitpunkt. Wann ist es nötig, Handeln anzukündigen? Wo gilt es hinzureisen? Und ein guter Schuss Pathos darf auch heute in Berlin nicht fehlen, als sie über ihre erste Amtszeit spricht: "In diesen fünf Jahren ist nicht nur meine Leidenschaft für Europa gewachsen, sondern natürlich auch meine Erfahrung, wie viel dieses Europa für seine Menschen leisten kann."
Viel Respekt erarbeitet
In diesen Jahren hat sie sich auch bei Kritikern Respekt erarbeitet. Große Aufgaben gab und gibt es genug: In der Corona-Pandemie hat sie den gemeinsamen Einkauf von Impfstoffen vorangetrieben. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sie Sanktionen auf den Weg gebracht, die EU zusammengehalten. Früh reiste sie selbst nach Kiew. Soviel Tatendrang und Selbstbewusstsein machen nicht nur beliebt. Und dann sind da ihre Pläne für den Weg zu einer klimaneutralen EU. Das Murren der eigenen Leute über den sogenannten Europäischen Green Deal war zuletzt deutlich zu vernehmen.
Doch Ursula von der Leyen wäre nicht Ursula von der Leyen, wenn sie diese Schwingungen nicht wahrnehmen würde. Und schon bei ihrer großen Rede zur Lage der Europäischen Union im September hatte man Eindruck, dass die Präsidentin in ihrer Kommunikation andere Schwerpunkte setzte. Heute sagt sie in Berlin: "Was jetzt entscheidend ist, ist, dass wir Klimaziele und Wirtschaft zusammenbringen." Auch die Bauernproteste dürften Eindruck hinterlassen haben. So zog die Kommission eine umstrittene Pestizid-Verordnung von sich aus zurück.
Amtsgeschäfte laufen weiter - unter Beobachtung
Allerdings: Was in den eigenen Reihen für mehr Ruhe sorgt, könnte beispielsweise den Grünen eine Unterstützung einer zweiten Amtszeit schwerer machen. Hier wird von der Leyen in den kommenden Wochen und Monate die richtige Balance finden müssen. In der Mitte will sie überzeugen. Gut möglich aber, dass diese Mitte im kommenden Parlament deutlich kleiner sein wird.
Lange hatte von der Leyen über ihre Pläne geschwiegen. Jetzt ist die Ambition formuliert, der Wahlkampf kann beginnen. Die Amtsgeschäfte als Kommissionspräsidentin laufen weiter. Die anderen Parteien dürften penibel darauf achten, dass von der Leyen die Dinge getrennt hält.