Proteste gegen Steuererhöhung Demonstranten blockieren Brücke in Budapest
Regierungskritische Demonstranten haben in der ungarischen Hauptstadt Budapest am dritten Tag in Folge eine Donaubrücke blockiert. Sie protestieren gegen eine Steuererhöhung für Freiberufler.
Erneut ziehen Demonstranten über die Erzsébet-Brücke von Pest nach Buda, um lautstark gegen die Steueränderung zu protestieren, die sie alle wie aus heiterem Himmel getroffen hat. Betroffen sind rund 450.000 Freiberufler, denen eine Erhöhung der Einkommenssteuer bevorstehen dürfte - und zwar schon ab Anfang September. Bereits am Dienstagabend waren Tausende Menschen in Budapest auf die Straße gegangen und hatten stundenlang zwei wichtige Donau-Brücken blockiert.
Aufgebracht sind die Einzel- und Kleinunternehmer, wie etwa Grafiker, Schauspieler, Journalisten, Fahrradboten, Künstler, nicht allein über das Ausmaß der Einkommenssteuer-Anhebung. Rund drei Viertel der Freiberufler müssen mit deutlichen Einbüßen ihres Nettoeinkommens rechnen, wie der Verband der Steuerberater prognostiziert. Von 20 bis 40 Prozent ist bei den Betroffenen die Rede.
Durchs Parlament gepeitscht
Für große Verärgerung sorgt auch das Tempo und die Art und Weise, wie die Orban-Regierung die abrupte Steuererhöhung durchgezogen hat. Zwischen der Einreichung des Gesetzentwurfs am Montag und der Verabschiedung im Parlament am Dienstag dieser Woche vergingen nicht einmal 24 Stunden. Die Debatte im Parlament dauerte ganze zwei Stunden, dann wurde abgestimmt.
Ferenc Gelencér, Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender der oppositionellen Momentum-Partei ist empört: Das sei ein "Netto-Hochverrat." Die Orban-Regierung, die wahrheitswidrig von sich behaupte, familienfreundlich zu sein, lasse jetzt "450.000 Menschen, 450.000 KATA-Unternehmer und ihre Familien im Stich."
An dem Protest beteiligen sich Schauspieler, Fahrradkuriere oder Künstler. Ihnen drohen höhere Steuerzahlungen ab September.
Alte Regelung aufgehoben
KATA ist von der Fidesz-Regierung 2013 eingeführt worden und wird nun in weiten Teilen wieder kassiert: Gemeint ist die "Pauschalsteuer für geringfügig zu besteuernde Unternehmen". Die Idee: Geringverdienende Einzelunternehmer, die nicht mehr als knapp 30.000 Euro im Jahr verdienten, sollten keinen Steuerberater oder Buchhalter für die Erklärung ihrer Einkommenssteuer benötigen.
Stattdessen galt eine Art Flat-Tax: Einzelunternehmer brauchen bislang pro Monat circa € 120 abzuführen, auch mitunter einen höheren Betrag von € 185. Damit erfüllen sie ihre Steuer- und Sozialversicherungspflicht. Ihre Rente wird jedoch sehr niedrig sein, wegen der niedrigen Beitragszahlungen. In zweieinhalb Monaten bereits ist damit für einen Großteil der geringfügig verdienenden Freiberufler Schluss.
Regierung bleibt bei ihrer Haltung
Die aktuellen Proteste änderten bislang nichts an der Entscheidung der Regierung, die erst im April mit Zweidrittel-Mehrheit wiedergewählt wurde. Die Fidesz-Partei von Regierungschef Viktor Orban ließ über ihren Kommunikationsdirektor erklären, dass es um eine Korrektur einer Fehlentwicklung gehe. Es habe sich um "Scheinbeschäftigungen" gehandelt, um Steuertricks, sagte István Hollik im Sender Hir TV, und die habe man abstellen wollen. Arbeitnehmer seien "gezwungen worden, KATA zu benutzen. Weil damit die Firmen Geld sparen konnten."
Seit seiner Wiederwahl im Frühjahr steht Orban seiner bislang schwersten wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderung gegenüber. Die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sowie der Dauerkonflikt mit der Europäischen Union zeigen ihre Spuren in Staatshaushalt und im Geldbeutel der Bevölkerung. Die Landeswährung Forint verliert deutlich an Wert, die Inflation liegt bei rund zehn Prozent.
Milliardenstreit mit der EU
Vor allem aber kommt der Streit mit der EU das Land teuer zu stehen. Die 15 Milliarden Euro, die Ungarn aus dem Brüsseler Corona-Wiederaufbaufonds erhalten würde, hat die Europäische Kommission blockiert. Sollte sich Ministerpräsident Orban mit der EU in Sachen Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit in diesem Jahr nicht noch einigen, werde Ungarn den Zugang zu 70 Prozent dieser Milliardensumme verlieren, so schätzt die Nachrichtenagentur Bloomberg.
Erste Versuche, die fiskalpolitische Notbremse zu ziehen, sind bereits erkennbar: Am Mittwoch strich die Regierung eines ihrer Vorzeigeprojekte zusammen. Vor acht Jahren hatte Orban die Wohnnebenkosten für Strom und Gas faktisch eingefroren. Das sei jetzt nicht mehr zu leisten. Ab August müssten Haushalte deutlich mehr zahlen, die über einem bestimmten Energieverbrauch lägen.