Russische Angriffe Ukraine meldet erneut zivile Opfer
Bei russischen Angriffen sind nach Angaben der Ukraine mindestens acht Zivilisten getötet worden. Präsident Selenskyj äußerte sich unterdessen zu den Opferzahlen an der Front im Osten: Dort sterben demnach täglich bis zu 100 Ukrainer.
Im Osten der Ukraine wird weiter heftig gekämpft: Nach Angaben der Regierung in Kiew wurden durch russischen Beschuss mindestens acht Zivilisten getötet. Im Gebiet Donezk starben demnach mindestens sieben Menschen, acht wurden verletzt. Bei einem Raketenangriff auf Malyn nordwestlich von Kiew sei mindestens ein Mensch getötet worden. In der Nacht gab es unter anderem in Kiew, Charkiw, Awdijiwka sowie in anderen ukrainischen Städten und Regionen Luftalarm und Angriffe.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte bei einer Pressekonferenz mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda, jeden Tag würden an der Front im Osten des Landes 50 bis 100 Ukrainer sterben. Er bezog sich dabei jedoch offenbar auf Soldaten und nicht Zivilisten. Das ukrainische Militär meldete zudem elf abgewehrte Angriffe russischer Truppen im Osten der Ukraine. Im Lauf der Woche seien mehr als 200 russische Militärfahrzeuge und drei Flugzeuge zerstört worden. Laut Innenministerium wurde erneut eine russische Pontonbrücke über den Fluss Siwerskyj Donez in der Ostukraine demoliert.
Anschlag auf Besatzungsbürgermeister von Enerhodar
Bei einem Sprengstoffanschlag wurde der von den russischen Besatzungstruppen eingesetzte Bürgermeister der Kleinstadt Enerhodar schwer verletzt. "Der selbst ernannte Chef der 'Volksadministration' von Enerhodar, Andrij Schewtschik, ist durch eine Explosion am Eingang des Wohnhauses verletzt worden, in dem seine Mutter lebt", teilte die ukrainische Militärverwaltung des Gebiets Saporischschja auf ihrem Telegram-Kanal mit. Es handle sich um einen gezielten Partisanenangriff gegen einen Kollaborateur, heißt es weiter.
Medienberichten zufolge liegt Schewtschik auf der Intensivstation. Auch seine Leibwächter seien bei dem Attentat verletzt worden. Laut der ukrainischen Militärverwaltung suchen die russischen Besatzungstruppen nun nach zwei jungen Männern in einem roten Audi. Zudem hätten sie die Checkpoints verstärkt. Das russische Ermittlungskomitee leitete eigenen Angaben zufolge "wegen des Verbrechens ukrainischer Nationalisten" ein Strafverfahren ein.
In Enerhodar liegt das leistungsstärkste Atomkraftwerk Europas. Die Kleinstadt im Süden des Gebiets Saporischschja wurde bereits in den ersten Kriegstagen von russischen Truppen besetzt. Bei den Gefechten war kurzzeitig sogar ein Feuer auf dem Gelände des Atomkraftwerks ausgebrochen, das aber wieder gelöscht werden konnte. Die Gebietshauptstadt Saporischschja selbst ist immer noch unter ukrainischer Kontrolle.
Gouverneur: Medizinische Versorgung vor Zusammenbruch
In der von Russland attackierten Stadt Sjewjerodonezk steht nach Angaben des Gebietsgouverneurs die medizinische Versorgung kurz vor dem Zusammenbruch. Das einzige noch im Betrieb befindliche Krankenhaus verfüge nur über drei Ärzte und habe Material für zehn Tage, sagte Serhij Hajdaj, der Gouverneur von Luhansk. Sjewjerodonezk ist die wichtigste Stadt unter ukrainischer Kontrolle in der Region Luhansk, die zusammen mit der Provinz Donezk den Donbass, das industrielle Kernland der Ukraine, bildet. Die Stadt geriet zuletzt unter schweres russisches Bombardement.
Hajdaj warf den Russen vor, die Stadt absichtlich zerstören zu wollen und verbrannte Erde zu hinterlassen. Die russischen Streitkräfte hätten nach wahllosem, 24-stündigen Beschuss mehrere Städte in Luhansk besetzt. Moskau konzentriere dort Militär und Waffen und bringe Kräfte aus Charkiw im Nordwesten, aus Mariupol im Süden und aus Russland in die Region. Das ukrainische Militär erklärte, russische Streitkräfte hätten erfolglos das Dorf Oleksandriwka attackiert, außerhalb von Sjewjerodonezk. Der Konflikt beschränkte sich jedoch nicht auf den Osten der Ukraine.
Buschmann besorgt über Kriegsgefangene von Mariupol
Bundesjustizminister Marco Buschmann zeigte sich unterdessen besorgt über die Kriegsgefangenen von Mariupol. "Die massiven Verstöße Russlands gegen das Völkerrecht sind völlig inakzeptabel - sie erfüllen uns aber auch mit großer Sorge mit Blick auf die Bevölkerung der Ukraine und die nun in Gefangenschaft geratenen Soldaten", sagte der FDP-Politiker "Rheinischen Post". "Der Krieg ist eine blutige Bestie, aber kein regelfreier Zustand."
Aus Sicht des CDU-Außenexperten und Europa-Abgeordneten Michael Gahler besteht die Befürchtung von Schauprozessen, obwohl Russland kein Recht habe, die Gefangenen von Mariupol anders zu behandeln als alle anderen ukrainischen Kriegsgefangenen.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Russische Soldaten durchsuchen derweil das Gelände des Asowstal-Werks in Mariupol nach Minen und Sprengfallen, die sowohl ukrainische als auch russische Truppen platziert haben. "Die Aufgabe ist extrem schwierig, der Feind hat seine eigenen Landminen gelegt und wir haben auch Tretminen gelegt, um ihn zu blockieren. Wir haben noch etwa zwei Wochen Arbeit vor uns", sagte ein russischer Soldat. Die Minen würden kontrolliert gesprengt und die Straßen des Stahlwerks mit Bulldozern von Trümmern befreit. "In den letzten zwei Tagen wurden über 100 Sprengkörper zerstört. Die Arbeiten gehen weiter."
"Russen wollen ganze Städte ausradieren"
Nach Meinung des ukrainischen Parlamentsabgeordneten Dmytro Lubinets versucht die russische Besatzung in der Ostukraine, "ganze Ortschaften und Städte auszuradieren". Vor allem die zivile Infrastruktur werde angegriffen, sagte Lubinets im ARD-Morgenmagazin. Dies betreffe die Stromversorgung und Wasserleitungen, aber auch Schulen und Krankenhäuser. "Es sieht so aus, die Russen bekämpfen nicht die ukrainischen Streitkräfte, sondern das ganze Volk", sagte der Parlamentarier weiter. Deshalb appelliere die Ukraine an die internationale Öffentlichkeit, die Situation als Genozid des ukrainischen Volkes anzuerkennen.
Die ukrainische Regierung bemühe sich nach Kräften, die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den umkämpften Gebieten zu organisieren, sagte Lubinets. Die Behauptung Moskaus, Ukrainer würden nach Russland in Sicherheit gebracht, tat er ab. "Russische Propaganda verzerrt wie immer die Tatsachen", sagte der Politiker. "Die Russen zwingen die Menschen zur Evakuierung nach Russland - also mit Gewaltanwendung." Unter den Verschleppten seien auch viele Kinder.
Putins Berater: Russland bereit für Verhandlungen
Russland ist nach Angaben eines Putin-Beraters zu einer Wiederaufnahme der Gespräche mit Kiew bereit. Er sehe jedoch die Ukraine im Zugzwang, sagte Wladimir Medinski im belarusischen Staatsfernsehen. Medinski schloss auch ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj nicht aus. Doch dafür werde eine "ernsthafte Vorbereitung" benötigt, wie etwa ausgearbeitete Dokumente, die die Präsidenten dann unterschreiben könnten. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Reaktion auf die Aussagen. Die Ukraine hatte die Verhandlungen zur Beendigung des Krieges am Dienstag ausgesetzt.
Baltische Staaten beenden Stromimporte aus Russland
Die baltischen Staaten beendeten wegen des Ukraine-Kriegs unterdessen die Stromimporte aus Russland. "Dies ist ein wichtiger Schritt auf unserem Weg zur Energieunabhängigkeit", sagte der litauische Energieminister Dainius Kreivys der Nachrichtenagentur AFP. "Indem wir uns weigern, russische Energieressourcen zu importieren, weigern wir uns, den Aggressor zu finanzieren", erklärte der Minister weiter. Am Freitag hatte die Energiebörse Nord Pool eine Mitteilung an den russischen Energieversorger InterRao geschickt, dass dieser aufgrund internationaler Sanktionen vom Handel in den baltischen Staaten ausgeschlossen sei.
Lettland importierte seinen letzten russischen Strom Anfang Mai, während Litauen und Estland gestern den Strombezug einstellten. Russischer Strom machte im vergangenen Jahr noch 17 Prozent der Stromimporte Litauens aus. Die baltischen Staaten hatten schon seit Jahren darauf hingearbeitet, im Energiebereich von Moskau unabhängig zu werden. Dafür bauten sie einerseits die heimische Stromerzeugung aus, andererseits verstärkten sie die Verbindungen nach Skandinavien.