Krieg in der Ukraine Wie geht es weiter in Mariupol?
Nach der Kapitulation fehlt es in der Hafenstadt am Nötigsten. Die russischen Besatzer verkünden dennoch bereits große Pläne für die Stadt - und arbeiten bereits an einem Denkmal für die Schlacht.
Aus einem Kleinlaster räumen Freiwillige und Soldaten Obst und Kartoffeln. Eine Gruppe von Menschen - unter ihnen Kinder - scheint sehnsüchtig auf die frischen Lebensmittel zu warten. Es sind Aufnahmen der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Sie sollen zeigen, wie sich russische Besatzungstruppen um die verbliebenen Einwohner von Mariupol kümmern.
"Danke, dass wir jetzt Wasser haben. Wir hoffen, dass wir bald auch wieder Strom und Gas haben - und Frieden", sagt eine Anwohnerin.
Es wird aufgeräumt in Mariupol - so zumindest stellen es russische Medien dar. Sie feiern den Sieg über die letzten ukrainischen Soldaten, die sich in der vergangenen Woche ergeben hatten. Nun kehrt wieder Normalität ein - vermitteln die Bilder.
Der Bürgermeister hat die Stadt verlassen
Bürgermeister Wadim Boitschenko widerspricht im ukrainischen Fernsehen: "Die Kanalisation funktioniert nicht. Es leben noch 100.000 Menschen in der Stadt und das ist ein Problem. Unsere Ärzte beobachten, dass das zu einem Problem werden kann, sowohl für die Umwelt als auch wegen Infektionskrankheiten. Auch die UN hat festgestellt, dass es deswegen zu Ausbrüchen von Cholera oder anderen Krankheiten wie Ruhr kommen kann."
Doch Bürgermeister Boitschenko hat die Stadt schon lange verlassen. Die Macht haben andere übernommen. Schon Anfang April wurde ein ehemaliger Abgeordneter des Mariupoler Stadtrats auf seinen Posten gesetzt. Konstantin Iwaschtschenko, früher Mitglied in der pro-russischen Partei "Oppositionelle Plattform für das Leben". Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft verdächtigt ihn des Hochverrats.
"Heute sehen wir, wer unsere Stadt zerstört und wer sie befreit, wer unsere Bewohner versorgt und rettet. Das wissen wir alle sehr gut. In diesen acht Jahren seit dem Umsturz in Kiew haben wir so viel wie möglich getan, um unsere historischen, kulturellen und kirchlichen Werte zu schützen, die unsere Ahnen uns Jahrtausende gelehrt haben", so Iwaschtschenko Anfang April.
Arbeit an Denkmälern
Die neuen Machthaber errichten Denkmäler, darunter eine Allee aus Tannen. Hier soll derjenigen gedacht werden, die aus russischer Sicht bei der "Befreiung" der Stadt gestorben sind. Russland ist gekommen um zu bleiben - das sagte Separatistenführer Denis Puschilin schon Anfang Mai. Jetzt werde der Hafen entmint, zerstörte Häuser neu aufgebaut und aus Mariupol wolle man einen Kurort machen, heißt es.
Doch der ukrainische Militärexperte Oleg Schdanow hat Zweifel: "Wenn sie vom 'Wiederaufbau der Stadt' sprechen, dann muss das aus dem russischen Haushalt finanziert werden. Das heißt, wer wird auf diesen Finanzströmen sitzen? Kadyrow. Das ist eigentlich ein Tribut an Kadyrow dafür, dass seine Kämpfer am Krieg gegen die Ukraine teilnehmen."
Vorbild Grosny
Laut des britischen Geheimdienstes hat ein Cousin des tschetschenischen Machthabers Kadyrow die Operation tschetschenischer Kräfte in Mariupol geleitet. Kadyrow selbst gab an, man werde beim Wiederaufbau auf die Erfahrungen nach dem zweiten Tschetschenienkrieg bauen können.
Damals wurde die Hauptstadt Grosny von russischen Truppen großflächig zerstört. Kein gutes Argument für Militärexperte Oleg Schdanow. Er gibt an: Bis heute sei nur das Zentrum von Grosny wieder aufgebaut. Der Rest seien bis heute Ruinen.