
USA-Russland-Deal "Die Krim gehört völkerrechtlich klar zur Ukraine"
US-Präsident Trump hat verkündet, dass er mit Russland weitgehend über eine Friedensvereinbarung einig sei. Dabei soll die Krim offenbar an Russland gehen. Deren Annexion ist und bleibt rechtswidrig, sagt Völkerrechtler Thielbörger.
ARD: Gibt es irgendeinen Zweifel daran, dass die Krim aus völkerrechtlicher Sicht zur Ukraine gehört?
Pierre Thielbörger: Die Krim gehört völkerrechtlich klar zur Ukraine, auch wenn Russland das Gebiet effektiv kontrolliert. Die Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 ist und bleibt ein klarer Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot.
Andere Staaten dürfen diese völkerrechtsbrüchige Annexion deshalb nicht anerkennen. Die UN-Generalversammlung hat die territoriale Integrität der Ukraine auch mehrfach bestätigt und das damalige Referendum für ungültig erklärt.
Früher hat Russland übrigens die Krim auch als Teil der Ukraine anerkannt, zum Beispiel im Grenzvertrag zwischen beiden Staaten aus dem Jahr 2003. Und schon 1997 hatten sich Russland und die Ukraine versprochen, die gegenseitigen Grenzen zu achten.
ARD: Könnte die Ukraine einfach so auf die Krim verzichten?
Thielbörger: Grundsätzlich ja. Dafür wäre aber ein rechtmäßiger und vor allem freiwilliger Akt der ukrainischen Regierung nötig. Dies dürfte also insbesondere nicht unter Zwang oder Androhung von Gewalt geschehen. Wie in der momentanen Situation eine "zwanglose" oder "freiwillige" Entscheidung der ukrainischen Regierung aussehen könnte, ist allerdings höchst fraglich.
Zusätzlich wäre in einem solchen Fall noch die Rolle der betroffenen Bevölkerung zu beachten, also die Frage, ob eine Konsultation oder Zustimmung des Volkes nötig wäre. Hierzu werden im Völkerrecht verschiedene Meinungen vertreten. Letztendlich steht dahinter die Frage, wie hoch man das Selbstbestimmungsrecht der Völker im Völkerrecht im Vergleich zur staatlichen Souveränität gewichtet.

Einverständnis des betroffenen Staates
ARD: 2014 besetzten russische Kämpfer ohne Abzeichen militärische Stützpunkte sowie das Lokalparlament auf der Krim und erzwangen durch eine "Sondersitzung" einen Regierungswechsel und ein so genanntes Referendum über den Status der Halbinsel. Wie ordnen Sie dieses ein?
Thielbörger: Es gibt natürlich auch für solche Abstimmungen Vorgaben. Es muss zum Beispiel gewährleistet sein, dass die Abstimmenden frei, ohne Zwang und ohne Angst ihre Meinung äußern können. Das war 2014 während der andauernden Besatzung der Krim durch Russland ganz sicher nicht der Fall. Insofern ist es vermutlich angemessener, von einem Scheinreferendum zu sprechen.
Das Völkerrecht ist außerdem mit dem sogenannten Sezessionsrecht sehr zurückhaltend. Also bei der Frage, ob eine Bevölkerung überhaupt ein Recht auf Abspaltung hat, wenn es durch ein gültiges Referendum seinen Willen äußert. Ein Volk müsste jedenfalls unter systematischer Unterdrückung und schweren Menschenrechtsverletzungen leiden, um ein solches Recht geltend zu machen. Das war im Fall der Krim nicht der Fall, denn ihr wurden seit jeher weitreichende Autonomierechte von Kiew eingeräumt.
Insgesamt erfordert die Änderung des völkerrechtlichen Status eines Gebietes in den allermeisten Fällen das Einverständnis des Staates. Deswegen wurde ja zum Beispiel auch das schottische Referendum im Jahr 2014 mit Zustimmung der britischen Regierung durchgeführt. Kiew hatte dem Referendum auf der Krim aber ausdrücklich nicht zugestimmt.
Übrigens hat auch die UN-Generalversammlung im Jahr 2022 noch einmal bestätigt, dass die Referenden sowie die Annexion der Gebiete im Osten der Ukraine illegal sind und keinen Einfluss auf die Zugehörigkeit dieser Regionen zur Ukraine haben.
"Die Generalversammlung kann kein Recht schaffen"
ARD: Welche rechtlichen Folgen hatte der Beschluss der UN-Generalversammlung, der das sogenannte Referendum auf der Krim von 2014 nicht anerkennt?
Thielbörger: Beschlüsse der UN-Generalversammlung sind als solche nicht rechtsverbindlich, sodass sie auch keine direkten rechtlichen Folgen haben. Allerdings zeigt das sehr deutliche Ergebnis (100 Staaten haben für die Resolution gestimmt, nur elf dagegen, 58 Staaten haben sich enthalten), dass die meisten Staaten die Annexion nicht anerkennen. Das ist ein starkes politisches Zeichen.
Eine rechtliche Bindung hätte hingegen nur eine Entscheidung des Sicherheitsrates. Diese ist aber nicht zu erwarten, da Russland und auch China schon mehrfach Resolutionen zur Krim blockiert haben. Sie haben wie die USA, Frankreich und Großbritannien ein Vetorecht, anders als in der Generalversammlung. Gerade wenn der Sicherheitsrat wie hier dauerhaft blockiert ist, kommt der Generalversammlung zwar eine erhöhte Rolle zu. "Recht schaffen" kann sie aber trotzdem nicht.
"Staaten dürfen sich nicht über andere Staaten erheben"
ARD: In welchem Verhältnis stehen ganz allgemein das Selbstbestimmungsrecht der Völker und das Prinzip der staatlichen Souveränität?
Thielbörger: Das Selbstbestimmungsrecht ist vor allem entstanden, als sich frühere Kolonialstaaten ihre Unabhängigkeit erkämpft haben. Es erlaubt den Völkern, ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung frei zu bestimmen. Andererseits gibt es das Prinzip der staatlichen Souveränität, das die territoriale Integrität von Staaten schützt. Beide Prinzipien können in ein Spannungsverhältnis treten, wenn die Interessen eines Staates und die eines Volkes auf dem Staatsgebiet auseinanderklaffen.
Unterschieden wird zwischen der "inneren" und der "äußeren" Selbstbestimmung. Nationale Minderheiten genießen jedenfalls innerhalb des Staates besonderen Schutz, also zum Beispiel Selbstverwaltung oder Schutz ihrer Kultur und Traditionen. "Äußere" Selbstbestimmung bezeichnet hingegen das Recht, sich unter bestimmten extremen Umständen vom Mutterstaat abzuspalten. Das liegt aber eben nur bei ganz eklatanten Menschenrechtsverstößen des Mutterstaates vor, und dies war in der Ukraine eben nicht der Fall.
ARD: Was sagt das Völkerrecht, wenn Trump und Putin tatsächlich ohne Zustimmung der Ukraine einen Deal in Bezug auf das Land machen würden?
Thielbörger: Das würde klar die territoriale Souveränität der Ukraine missachten. Das moderne Völkerrecht basiert auf dem Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten, das auch die UN-Charta hervorhebt. Staaten dürfen sich also nicht über andere Staaten erheben.
Verträge zu Lasten Dritter sind somit im Völkerrecht - wie übrigens im nationalen deutschen Recht auch - unzulässig. Eine Entscheidung von Russland und der USA über den Kopf der Ukraine hinweg ist also juristisch undenkbar, auch wenn es politisch immer wahrscheinlicher werden mag. Ein solcher Vertrag zwischen Russland und den USA würde seinem Inhalt nach wohl auch gegen das Gewaltverbot verstoßen - und wäre wohl auch deshalb schon völkerrechtswidrig und nichtig.
Das Interview führten Marit Brink und Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion