Ukraine-Krieg Fast 2200 Menschen in Mariupol getötet
Im Südosten der Ukraine bedrängen russische Truppen weiter die belagerte Hafenstadt Mariupol. Nach ukrainischen Angaben wurden dort bislang etwa 2200 Bewohner getötet. Kiew bereitet sich auf eine mögliche vollständige Blockade vor.
In der belagerten südostukrainischen Hafenstadt Mariupol sind ukrainischen Angaben zufolge bisher weit mehr als 2000 Zivilisten getötet worden. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar seien 2187 Menschen ums Leben gekommen, teilte der Stadtrat mit. Allein in den vergangenen 24 Stunden habe es 22 Luftangriffe auf die umkämpfte Stadt am Asowschen Meer gegeben, bei denen etwa 100 Bomben abgeworfen worden seien. Die Angreifer würden absichtlich Wohngebäude attackieren, sie zerstörten Kinderkrankenhäuser wie auch die Infrastruktur, hieß es.
Russland hingegen beharrt darauf, lediglich militärische Ziele anzugreifen. Mariupol mit etwa 400.000 Einwohnern ist seit Tagen von russischen Einheiten umzingelt und vom Rest des Landes abgeschnitten. Nach ukrainischen Angaben sind Truppen der prorussischen Separatisten in östliche Randbezirke der Hafenstadt eingedrungen.
Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Genf sind seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine mindestens 596 Zivilisten getötet und 1067 verletzt worden. 43 Todesopfer seien Kinder. Die tatsächlichen Opferzahlen könnten allerdings wesentlich höher sein.
Mehr als 140.000 Zivilisten über Fluchtkorridore evakuiert
Mehr als 140.000 Zivilisten seien aus den Konfliktgebieten in der Ukraine evakuiert worden, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk in einem Interview im ukrainischen Fernsehen. Präsident Wolodymyr Selenskjy hatte zuvor in einer Videobotschaft von fast 125.000 evakuierten Zivilisten gesprochen.
Ein Konvoi mit humanitären Hilfsgütern habe die belagerte Hafenstadt Mariupol aufgrund des russischen Beschusses erneut nicht erreichen können, so Wereschtschuk. Am Montag solle es einen neuen Versuch geben. Man tue alles, um sich Besatzern entgegenzustellen, die sogar orthodoxen Priestern den Weg versperrten, die die Lieferung aus Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten begleiteten, so Selenskjy. Der Konvoi sei mit 100 Tonnen schweren grundlegenden Bedarfsgütern beladen.
Bisher sind alle Versuche gescheitert, einen Fluchtkorridor für Mariupol einzurichten. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld daran.
Russischer Angriff nahe EU- und NATO-Grenze
Inzwischen rückt der Krieg in der Ukraine nahe an die Grenze zum EU- und NATO-Land Polen heran. Nach ukrainischen Angaben wurden am Morgen bei einem russischen Luftangriff auf eine Militärbasis nahe Lwiw mindestens 35 Personen getötet und 134 verletzt. Russland habe rund 30 Raketen auf den Stützpunkt in Jaworiw im Westen der Ukraine abgefeuert, teilte die regionale Militärverwaltung mit. Einige davon seien abgefangen worden. Videos und Fotos zeigten schwere Zerstörungen.
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow teilte mit, der Angriff habe einem Ausbildungszentrum nahe der polnischen Grenze gegolten, in dem auch Blauhelmkräfte für Friedensmissionen geschult werden und in dem bis kurz vor dem Krieg NATO-Ausbilder arbeiteten. "Dies ist eine neue terroristische Attacke auf Frieden und Sicherheit in der Nähe der Grenze von EU und NATO", twitterte Resnikow.
Nach Angaben aus Moskau sollen zahlreiche ausländische Kämpfer getötet worden sein. Die russischen Streitkräfte hätten "bis zu 180 ausländische Söldner" sowie eine große Menge aus dem Ausland gelieferter Waffen "zerstört", teilte das Verteidigungsministerium in Moskau der Agentur Tass zufolge mit. "Die Vernichtung der auf das Territorium der Ukraine eingereisten ausländischen Söldner wird fortgesetzt", sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow.
Pentagon nach Angriff: NATO-Gebiet verteidigen
Der Übungsplatz Jaworiw liegt nur etwa 15 Kilometer von der Grenze zu Polen entfernt. Nach dem Raketenangriff bekräftigte das US-Verteidigungsministerium die Beistandsverpflichtung der NATO-Staaten. "Ein bewaffneter Angriff gegen einen wird wie ein bewaffneter Angriff auf alle bewertet", sagte Sprecher John Kirby dem TV-Sender ABC. Dies sei auch der Grund, warum die US- und NATO-Streitkräfte ihre Präsenz an der östlichen Grenze des Bündnisgebiets verstärkten. Er verwies darauf, dass es eine bestehende Leitung zum russischen Verteidigungsministerium gebe, um direkte Konflikte zu vermeiden.
Auch US-Präsident Joe Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan betonte im Gespräch mit dem Sender NBC, dass die USA "jeden Zentimeter des NATO-Gebiets verteidigen werden". Das US-Militär werde aber nicht direkt in der Ukraine eingreifen, um eine Konfrontation mit Russland zu vermeiden.
Die schraffierten Bereiche zeigen die von den Russen kontrollierten Gebiete in der Ukraine.
Kiew weiter unter Beschuss
Auch die Gefechte rund um die ukrainische Hauptstadt Kiew gehen nach Angaben der ukrainischen Armee weiter. Es gebe heftige Kämpfe in Irpin und weiter weistlich in Makariw, teilte das Militär mit. Ähnlich sei die Lage auch in anderen Dörfern. Allein gestern wurden etwa aus Butscha, Irpin, Hostomel und Worsel nordwestlich von Kiew etwa 20.000 Menschen evakuiert.
Die Hauptstadt bereitet sich auf eine mögliche vollständige Blockade vor. Es seien Vorräte mit Lebensmitteln angelegt worden, um zwei Millionen Kiewer zwei Wochen lang zu versorgen, sagte der stellvertretende Leiter der Stadtverwaltung, Walentyn Mondryjiwskyj.
In der westlich von Mariupol gelegenen Stadt Melitopol setzte Russland erstmals in einem eroberten Gebiet eine Stadthalterin ein, nachdem der Bürgermeister, Iwan Fedorow, zuvor nach Kiewer Angaben an einen unbekannten Ort verschleppt worden war. Die Lokalabgeordnete Halyna Daniltschenko rief die Bevölkerung auf, sich "an die neue Realität" anzupassen. Auch nordwestlich von Melitopol, nahe der 600.000 Einwohner zählenden Industriestadt Krywyj Rih, gab es Berichte über eine größere Ansammlung russischer Truppen. Die Angaben sind unabhängig nicht überprüfbar.