Erbitterter Kampf um Bachmut "Er stirbt vor meinen Augen"
Um die ukrainische Stadt Bachmut wird brutal gekämpft, und den Bewohnern fehlt es an fast allem. Trotz Dauerbeschuss kommen Freiwillige, um zu helfen. In einem Keller in einem Wohngebiet versorgen sie die Anwohner mit dem Nötigsten.
Es ist früh am Morgen, als sich 21 Ärztinnen und Ärzte aus Kiew auf den Weg an die Front machen. Fast genauso viele freiwillige Helfer braucht die Gruppe zusätzlich, um es an den Einsatzort in Bachmut zu schaffen.
Seit Anfang des Monats zwei britische Freiwillige bei einer ähnlichen Hilfsaktion hier verschwanden, ist die Gruppe besonders vorsichtig. Die gepanzerten Fahrzeuge bewegen sich über eine wohl überlegte Route, der Abstand zwischen den Autos ist genau abgesprochen.
Je näher die Kolonne Bachmut kommt, desto leerer werden die vom Schnee verwehten Straßen, und die Abstände zwischen den Checkpoints werden kürzer. Irgendwann schließlich kommen der Gruppe nur noch Militärfahrzeuge und Panzer entgegen.
Je näher die Hilfskolonne Bachmut kommt, desto leerer werden die vom Schnee verwehten Straßen, und die Abstände zwischen den Checkpoints werden kürzer.
Von 70.000 Einwohnern noch 8000
Die Stadt Bachmut gilt als eine der am heftigsten umkämpften Städte in der Ukraine. Wo bis Kriegsbeginn noch 70.000 Menschen lebten, harren heute noch knapp 8000 aus. Darunter Hunderte Kinder. Doch die Straßen in Bachmut sind menschenleer.
Die Gruppe steuert den Keller eines Wohnhauses im Westen der Stadt an. Hier sind die Häuserzeilen noch intakt, aber die Fenster sind von den Druckwellen der ständigen Explosionen herausgedrückt. Auf der anderen Seite des Flusses kämpfen die Truppen gegeneinander. 60 Prozent der Stadt sollen laut ukrainischer Regionalverwaltung zerstört sein.
60 Prozent von Bachmut sollen laut ukrainischer Regionalverwaltung zerstört sein. Es ist schwer zu verstehen, warum ausgerechnet dieser Ort so bitter umkämpft ist.
"Kein Strom, kein Gas, kein Wasser"
Im Innenhof des Wohnblocks sammelt Natalia Verbitskaya Holz und zersägt es konzentriert. Die Rentnerin will damit ihren kleinen Ofen heizen, den sie von Helfenden bekommen hat. Auch im Osten der Ukraine ist die zivile Infrastruktur weitestgehend zerstört. Verbitskaya kann ohne Holz nicht heizen, der Strom funktioniert auch nicht mehr. Trotzdem wohne sie noch immer in dem Wohnblock mit den geborstenen Fensterscheiben.
Alle Nachbarn seien geflohen, und sie selbst habe sich in ihrer Schuhmacherwerkstatt einquartiert, berichtet sie. "Die Situation ist nicht gut. Wir haben keinen Strom, kein Gas, kein Wasser. Seit fünf Monaten. Vor dem Frost haben wir Regenwasser gesammelt und benutzen es als Gebrauchswasser. Essen bringen uns Helfer. Wir haben also etwas." Sie wolle sich nicht beschweren, betont sie. "Wir leiden noch keinen Hunger."
Die ständigen Explosionen der Artillerie rollen wie Donnergrollen über die Stadt. Doch Verbitskaya bleibt ruhig. "Sind wir dran gewöhnt", sagt sie knapp. "Wir wissen, was über uns fliegt, und wir wissen, wo es runterkommt." Weit weg können die Einschläge nicht sein, das verrät die Lautstärke. Der Gedanke, Bachmut, die Front zu verlassen, kommt ihr nicht. Sie wolle ihr Hab und Gut nicht zurücklassen. Und erst recht nicht obdachlos werden. Das sei vielen ihrer Freunde passiert, die früher hier lebten. Nun würden sie umherirren, ohne Geld und ohne alles, berichtet Verbitskaya.
Natalia Verbitskaya sammelt und zersägt Holz hinter ihrer Wohnung. Bachmut will sie nicht verlassen, ihr Hab und Gut zurücklassen und obdachlos werden.
Fast täglicher Besuch der Helfer
Während die Kämpfe nur wenige Wohnblöcke entfernt ununterbrochen weitergehen, eilen Ärzte und Organisatoren in den Bunker. Patrick Münz von den Hilfsorganisationen "Leave No One Behind" und "Base UA" war schon etliche Male hier in Bachmut. Er trägt Schutzhelm und Weste und erklärt in ruhigem Ton: "Man hört hier die Artillerie der ukrainischen und russischen Truppen. Im Osten wird heftig gekämpft."
Es rummst besonders laut. "Das war jetzt ein Einschlag", sagt Münz trocken und geht zügig weiter. Er kann am Klang unterscheiden, wer von wo schießt. Das sei in einem Ort wie Bachmut überlebenswichtig. "Laut unseren Informationen halten die Ukrainer alle Stellungen."
Münz und das Team von "Leave No One Behind" fahren fast täglich hierher, um Menschen in Sicherheit zu bringen, Medikamente zu verteilen oder Kranke zu transportieren. Die Spritkosten seien immens, dafür sammeln sie in Deutschland. Mit Handzetteln hat Münz und sein Team in den vergangenen Tagen die Menschen von Bachmut über die Notsprechstunde im Bunker informiert. In Bachmut gibt es noch eine Poliklinik, aber kaum Ärzte.
Bachmut als Symbol
Seit Monaten wird brutal und bitter um Bachmut gekämpft. Der Fluss Bachmutowka teilt die Stadt in Ost und West. Der Westteil, wo Münz und die Ärzte arbeiten, wird von den Ukrainern gehalten. Bislang ist es dem russischen Militär auch nach Monaten nicht gelungen, Bachmut einzunehmen.
Es ist schwer zu verstehen, warum ausgerechnet dieser Ort so bitter umkämpft ist. Russland braucht dringend einen Sieg, einen Namen, eine Trophäe. Bachmut scheint zu einem Symbol für Sieg und Niederlage geworden zu sein.
Die steile Treppe führt in den Keller, der für das Viertel als Bunker dient und zwei Ausgänge hat. Blasse Gesichter mit eingefallenen Augen blicken die Helfer an. Vor allem ältere Menschen haben sich hierher gewagt. Der Herr mit dem langen grauen Bart winkt ab, als er das Mikrofon sieht. "Ich möchte nichts sagen, ich habe solche Schmerzen."
Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: Von Russland annektierte Gebiete.
"Er stirbt vor meinen Augen"
Eine ältere Dame steht hinter ihm. Es ist Nina Gregoriewna, sie ist 75 Jahre alt. Sie steht in der Schlange vor der Sprechstunde und beugt sich zur Seite, um zu erahnen, wann sie dran ist. Sie möchte offenbar schnell wieder weg.
"Mein Mann ist bettlägerig. Er wird immer gelber und dünner, und ich kann nichts tun. Ich bin hier, um einen Arzt um Hilfe zu bitten. Er stirbt vor meinen Augen. Er tut mir so leid. Ich lebe seit 55 Jahren mit ihm zusammen. Ich habe zwei Kinder, zwei Enkel und drei Urenkel. Ich bin verzweifelt. Niemals hätten wir uns vorstellen können, dass wir im Alter so leben", platzt es aus der alten Dame heraus.
Bei einer Notsprechstunde in einem Bunker in Bachmut. Nina Gregoriewna versucht, medizinische Versorgung für ihren bettlägerigen Mann zu Hause zu bekommen. Für die Evakuierung ist er zu schwach.
Kein Kontakt mehr zu Kindern in Deutschland
Dann wendet sie sich ab, weil ihr die Tränen in die Augen schießen. Sie fasst sich wieder und erzählt von ihren Enkelkindern, die nun Schutz in Deutschland suchen. Sie möchte ihnen nicht zur Last fallen. Was soll sie machen? Ständiger Beschuss, kein Strom, kein Wasser, keine Heizung und dann ihr kranker Ehemann?
Sie verlasse die Wohnung nicht mehr, sie bleibe immer bei ihm. Außer wenn sie das Handy aufladen müsse, in der Hoffnung, die Kinder anrufen zu können. Dabei gibt es hier an der Front kein Netz mehr. Man merkt Nina Gregoriewna an, dass es ihr schwer fällt in diesem Bunker zu stehen, statt bei ihrem Mann zu sein. Aber sie braucht die Hilfe. "Wenn mein Mann gesund wäre, würden wir uns evakuieren lassen."
Sie wendet ihren Blick vom Boden und fragt halb wütend, halb verzweifelt: "Wo sollen wir denn hin? Die Kinder sind erst seit einem Monat in Deutschland. Warum sollten wir ihnen zur Last fallen? Sie sind jung und müssen leben. Unser Leben ist vorbei." Und während sie das beschreibt wird klar, dass sie keine Verbindung mehr zu ihnen hat. Sie wird jetzt in den Behandlungsraum gerufen.
Den Bunker muss man zügig verlassen, um sich nicht zu lang unter freiem Himmel aufzuhalten. Man hört weiter erbarmungslos die Einschläge. Die dumpfen Töne der ukrainischen Artillerie und die etwas krachenderen der russischen Armee. Im Innenhof sammelt Natalia Verbitskaya weiter Brennholz. Sie winkt zum Abschied. Niemand weiß, wer von den Menschen hier den Krieg überleben wird.