Selenskyj stellt "Siegesplan" vor Fünf Punkte und drei geheime Zusätze
Präsident Selenskyj hat seinen "Siegesplan" dem Parlament in Kiew vorgestellt. Dazu zählen auch drei geheime Anhänge, die nur die westlichen Partner kennen. In der Ukraine gibt es bereits Kritik an dem Vorhaben.
"Wir möchten unsere Angehörigen zurück", skandieren einige Hundert Menschen, die durch die Kiewer Innenstadt ziehen. Sie haben Pappschilder, Transparente und blau-gelbe Fahnen dabei und wollen sich bei der Werchowna Rada Gehör verschaffen, dem ukrainischen Parlament.
Sie fordern Informationen über ihre Männer, Söhne, Brüder oder Neffen, die im Kampf gegen Russland vermisst werden. Eine Frau empört sich: "Mein Mann ist in Richtung Pokrovsky verschwunden und ich bekomme seit fünf Monaten keine Auskunft, man ignoriert uns."
Dann werden die Demonstranten an einem Checkpoint nahe der Werchowna Rada von Polizisten gestoppt. "Lasst uns weiter oder denkst du, wir wollen den Präsidenten fressen?", rufen sie nervös.
Einladung in die NATO und mehr Waffen
Im Parlament wendet sich Präsident Wolodymyr Selenskyj unterdessen zuerst an das ukrainische Volk, dann an die anwesenden Abgeordneten, an Vertreterinnen und Vertreter von Regierung, Geheimdienst und Militär. Sein "Siegesplan" bestehe aus fünf Punkten, von denen drei geheime Zusätze hätten, sagt der Präsident.
Der erste Punkt ist die bedingungslose Einladung in die NATO. Der zweite betrifft das Stärken der Verteidigung - beispielsweise durch Waffen, die Freigabe von weitreichenden Waffen und deren Lieferung durch die Partner sowie den Ausbau der Luftverteidigung und Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie. Zum geheimen Anhang der Verteidigung haben nur die Partner Zugang, die über das entsprechende militärische Unterstützungspotenzial verfügen.
Auch der dritte Punkt des Plans habe einen geheimen Anhang, sagt Selenskyj - die Abschreckung. Staats- und Regierungschefs aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland hätten diesen nicht öffentlichen Abschreckungszusatz bereits erhalten, andere würden folgen.
Frieden durch Stärke
Die russische Führung handele nur aggressiv, wenn sie überzeugt sei, dass es keine angemessene und zerstörende Antwort gäbe, sagt Selenskyj. Wenn Russland wisse, dass es eine Antwort gebe und wie diese aussehen werde, dann würde es sich für Verhandlungen und ein stabiles Zusammenleben auch mit strategischen Gegnern entscheiden. Frieden durch Stärke - auf diese Weise könne Russland von der Aggression gegen die Ukraine und ganz Europa abgehalten werden.
Die Ukraine schlage vor - ergänzt der Präsident -, auf ihrem Boden ein umfassendes nicht-nukleares strategisches Abschreckungspaket aufzustellen, das ausreiche, um die Ukraine vor jeder militärischen Bedrohung durch Russland zu schützen.
Im vierten Punkt des Plans geht es um strategisches wirtschaftliches Potenzial. Die Ukraine verfüge über natürliche Ressourcen im Wert von Milliarden US-Dollar, sagt Selenskyj - unter anderem Uran, Titan, Lithium und Graphit. Dies werde entweder Russland und dessen Verbündete Nordkorea, China und Iran im globalen Wettbewerb stärken oder die Ukraine und die demokratische Welt.
"Die Vorkommen dieser Ressourcen gehören zusammen mit unseren bedeutenden Energie- und Nahrungsmittelpotenzialen zu den wichtigsten Angriffszielen Russlands in diesem Krieg", sagt Selenskyj. Abkommen mit den USA, der EU - in der die Ukraine dann Mitglied sei - und anderen Partnern weltweit sollen diese Ressourcen gemeinsam schützen und in sie investieren.
"Was die Ukraine selbst tun soll, fehlt"
Der ukrainische Oppositionspolitiker Oleksii Hontscharenko sieht in dem Plan einen Wunschplan für die Partner. Was die Ukraine selbst tun müsse, fehle, sagte er der ARD. Zum Beispiel der Aufbau von Institutionen, eine Reform der Armee, Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit, Bekämpfung der Korruption. Es sei schwer, das Ganze einen Plan zu nennen.
Der ukrainische Journalist Serhij Rudenko schrieb in einer ersten Bewertung auf den vorgestellten "Siegesplan" auf Facebook, bei der Vorstellung habe Selenskyj nicht gesagt, wie der Plan aussehen würde, sollten die westlichen Partner diesen nicht akzeptieren, beispielsweise beim Punkt NATO. Der neue NATO-Chef Mark Rutte sagte bereits, der Plan sei ein starkes Signal, er könne diesen jedoch nicht als Ganzes unterstützen. "Das wäre etwas schwierig, da es viele Punkte gibt, die wir besser verstehen müssen."
Die Mitgliedschaft in der NATO sei eine Frage der Zukunft, keine der Gegenwart, sagt Selenskyj vor den Abgeordneten. Ihm gehe es um die symbolische Bedeutung dieses Schritts. Auch der fünfte Punkt des Plans bezieht sich auf die Zeit nach dem Krieg. Die Ukraine habe dann eine der erfahrensten Armeen weltweit, dies solle für die Sicherheit und Verteidigung Europas genutzt werden.
"Wenn die Partner zustimmen, sehen wir vor, einzelne in Europa stationierte Militärkontingente der US-Streitkräfte durch ukrainische Einheiten zu ersetzen", sagt der Präsident. "Nach dem Krieg."
Selenskyjs Hoffnung: Kriegsende 2025
Werde der Plan zeitnah umgesetzt, könne der Krieg vielleicht schon im kommenden Jahr zu Ende sein, erklärt Selenskyj. Er habe mehrmals unterstrichen, dass die Ukraine offen sei für Diplomatie. "Wir sind offen für ehrliche Diplomatie mit starker Position." Von den Partnern höre er öfter das Wort "Verhandlung" und seltener das Wort "Gerechtigkeit".
Wenn Putin seine verrückten geopolitischen, militärischen, ideologischen und wirtschaftlichen Ziele erreiche, werde dies bei anderen möglichen Angreifern den unwiderstehlichen Drang auslösen, dass Angriffskriege auch für sie profitabel sein könnten, warnt Selenskyj einmal mehr. Daher werde das Schicksal der nächsten Jahrzehnte von den Maßnahmen der globalen Koalition zum Schutz der Ukraine und des Völkerrechts bestimmt.
Selenskyj informiert die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im Parlament, eine Debatte aller Abgeordneter über den "Siegesplan" gibt es aber nicht. Die Angehörigen der Soldaten können unterdessen nur hoffen, dass Selenskyj und die Abgeordneten sie wahrnehmen.
"Natürlich möchte ich, dass wir siegen", sagt eine der Demonstrantinnen. Allerdings brauche sie keinen Siegesplan. "Wir brauchen unsere Angehörigen - und die sollen ihre Arbeit tun, damit wir endlich Informationen bekommen."