Abstimmung in der Schweiz Rente mit "Gender Gap"
Die Schweiz stimmt heute darüber ab, ob Frauen künftig im selben Alter wie Männer in Rente gehen sollen - statt ein Jahr früher. Was geschlechtergerecht klingt, wäre im Ergebnis nicht unbedingt sozial gerecht.
"Es wäre unschön, würden am 25. September die Männer den Frauen das Rentenalter diktieren" - so kommentierte ein Schweizer Journalist die Lage vor der Volksabstimmung an diesem Sonntag. Doch genau das könnte passieren. Die Schweizerinnen und Schweizer müssen entscheiden, ob Frauen künftig wie die Männer mit 65 in Rente gehen sollen - und nicht wie jetzt schon mit 64 Jahren. Und bei dieser Frage spaltet ein gewaltiger Geschlechtergraben die Schweizer Gesellschaft.
Nach den Umfragen nämlich wollen fast drei Viertel der Männer der geplanten Reform zustimmen, mehr als die Hälfte der Frauen aber ist dagegen. Denn: Was geschlechtergerecht klingt, ist nicht unbedingt auch sozial gerecht.
Die leerer werdenden Schweizer Rentenkassen dürften nicht "auf dem Buckel der Frauen" gefüllt werden, sagte im Schweizer Fernsehsender SRF die Parlamentarierin Mattea Meyer, Co-Präsidentin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz: "Die Rentenaltererhöhung bringt bis 2032 sieben Milliarden Franken. Das Geld fällt nicht vom Himmel!" Irgendjemand müsse dafür bezahlen, sagte Meyer - "und das sind die Frauen, die ein Jahr länger arbeiten, ein Jahr weniger Rente erhalten. Das macht ein Preisschild von 26.000 Franken pro Frau, obwohl die Schweizerinnen ein Drittel weniger Rente erhielten als die Männer. Das kann man doch nicht einfach verleugnen und sagen: 'Die profitieren alle!'"
Herab- und heraufgesetztes Alter
Die aktuelle Geschlechterdebatte bei der Rente hat eine lange Vorgeschichte. Über das Rentenalter der Frauen wird in der Schweiz schon gestritten, seit es die gesetzliche Grundrente - genannt AHV - gibt, sagt der Politikwissenschaftler Urs Bieri: "Die AHV wurde in den 1940er-Jahren eingeführt - begann eigentlich mit dem Rentenalter 65 für Mann und Frau. Dann gab es über verschiedene Phasen eine Diskussion und eine Anpassung; zuerst auf 63 für Frauen, dann die Rück-Korrektur auf 64 - und jetzt vielleicht sogar wieder Richtung 65."
Die Diskussion sei immer die gleiche geblieben: Man habe gesehen, dass Männer und Frauen ungleich behandelt werden und dann entweder mit Herabsetzung oder Heraufstufung des Rentenalters reagiert - je nach Zeitgeist.
"Ein patriarchaler Entscheid"
Als in den 1950er-Jahren das Rentenalter der Frauen gesenkt wurde, begründete man das mit der "Schwäche" des weiblichen Geschlechts: Die Frau sei dem Mann gegenüber physiologisch im Nachteil; "ihre Körperkräfte lassen im Allgemeinen früher nach", hieß es damals. Womöglich aber wollten die Männer ihre Frauen, wenn sie schon arbeiten gingen, beizeiten wieder am heimischen Herd wissen.
Mitte-Politikerin Ruth Humbel ist eine Befürworterin der aktuellen Reform. "Das war eigentlich ein patriarchaler Entscheid, dass die Frauen weniger lang arbeiten müssen, weil sie 'das schwache Geschlecht' sind. Weil sie als Sekretärin nicht so gut aussehen, wenn sie über 60 sind, wenn sie den Chef begleiten müssen", sagt sie im Schweizer Fernsehen.
Mitte-Politikerin Ruth Humbel sieht im ungleichen Rentenalter einen "patriarchalen Entscheid" - und wirbt für die Abstimmung mit "Ja".
Überstimmen Männer die Frauen?
Sicher ist: Die Frauen durften damals in der Schweiz politisch noch nicht mitbestimmen - und leisten konnte man sich die jungen Rentnerinnen auch. Das hat sich mit dem demographischen Wandel geändert. Die Schweizer Regierung begründet die geplante Gleichstellung beim Rentenalter als notwendig und gerecht.
Von unterschiedlichen Körperkräften ist heute nicht mehr die Rede - aber eben auch nicht davon, dass Frauen ohnehin bei Löhnen und Renten schlechter gestellt sind. Dieser Gender Gap, sagt die Sozialdemokratin Mattea Meyer, würde an diesem Sonntag bei einer Ja-Mehrheit für die Erhöhung des Frauenrentenalters noch größer werden: Lokomotivführerinnen Pflegefachfrauen oder hätten dann eine monatlich schlechtere Rente als in der heutigen Situation.
"Und das sind berufstätige Mütter, die ihr Leben lang jongliert haben zwischen Kinderbetreuung, Haushalt und schlecht bezahlten Teilzeitjobs", sagte sie. "Da frage ich mich wirklich: Ist das fair, diese Frauen die Reform zahlen zu lassen?"
Nach den Umfragen sieht es so aus, als ob eine Mehrheit für die geplante Reform stimmen wird - eine Mehrheit der Männer, die die mehrheitlichen Nein-Stimmen der Frauen überstimmen werden.