Teilmobilmachung in Russland Kreml räumt Verstöße ein
Der Kreml hat erstmals Verstöße bei der Teilmobilmachung in Russland eingeräumt. Viele Russen verlassen unterdessen das Land, um einer Einberufung zu entgehen - so meldete Finnland einen Höchststand an russischen Einreisen.
Angesichts zahlreicher Berichte über Zwangsmaßnahmen und Gewalt bei der Rekrutierung von Reservisten hat der Kreml Verstöße bei der Teilmobilmachung eingeräumt. "In der Tat gibt es Fälle, in denen gegen das Dekret (von Präsident Wladimir Putin) verstoßen wird", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow nach Angaben der Agentur Interfax. "Wir hoffen, dass das Tempo der Beseitigung zunimmt und dass alle Fehler korrigiert werden."
Putin hatte vor dem Hintergrund des sich hinziehenden Angriffskriegs gegen die Ukraine und nach zahlreichen Niederlagen der eigenen Armee die Teilmobilmachung angeordnet. 300.000 Reservisten sollen in die russische Armee eingezogen werden. Die Verantwortung für die Organisation der Einberufung liegt bei den regionalen Gouverneuren und den Kreiswehrersatzämtern vor Ort.
Zugleich betonte Peskow, dass die russische Führung bisher keine Entscheidung über die Einführung des Kriegsrechts getroffen habe. "Dazu gibt es im Augenblick keine Entscheidungen", sagte er. Bei einer Einführung des Kriegsrechts dürften wehrfähige Männer Russland nicht mehr verlassen.
Protest gegen Teilmobilmachung in Dagestan
Zuvor kam es in der Kaukasusregion Dagestan nach Angaben von Aktivisten am Sonntag zu mehr als 100 Festnahmen bei einem Protest gegen die russische Teilmobilmachung. In Machatschkala, der Haupstadt der russischen Region Dagestan, habe die Polizei mindestens 101 Menschen festgenommen, gab die Organisation OVD-Info bekannt, die sich auf die Beobachtung von Oppositionsaktionen spezialisiert hat.
Russische Medien veröffentlichten zudem Videos von Frauen, die sich während der Demonstration mit Polizisten streiten. "Warum nehmt ihr unsere Kinder?", fragt eine von ihnen. Andere Videos zeigen, wie Protestierende brutal von der Polizei festgenommen werden.
Dagestan ist eine multiethnische Region mit einer muslimischen Mehrheit und eines der ärmsten Gebiete Russlands. Zudem ist es unter den Gebieten mit dem höchsten Anteil von im Kampf in der Ukraine Getöteten, wie aus Todesanzeigen im Internet und Zählungen durch unabhängige russische Medien hervorgeht.
Um die Bevölkerung zu beruhigen, erklärte der Militärkommissar der Region am Wochenende, dass zunächst nur Männer mit "speziellen Militärfähigkeiten" eingezogen würden, keine Wehrpflichtigen. Nach Angaben von OVD-Info sind seit der Bekanntgabe der Teilmobilmachung am 21. September mehr als 2300 Protestierende in Russland festgenommen worden.
Schüsse in Einberufungszentrum in Sibirien
Unterdessen kam es in einem Einberufungszentrum in Sibirien offenbar zu einem Angriff mit einer Schusswaffe. Nach Angaben des örtlichen Gouverneurs eröffnete ein Mann das Feuer auf einen dort arbeitenden Militärangehörigen. "In Ust-Ilimsk hat ein junger Mann auf das Militärregistrierungs- und Einberufungsbüro geschossen", erklärte Igor Kobsew, der Gouverneur der dünn besiedelten Region Irkutsk, auf Telegram. Der Militärangehörige sei lebensgefährlich verletzt worden. "Der Schütze ist sofort verhaftet worden und wird definitiv bestraft werden", führte Kobsew fort.
Nach Angaben des russischen Ermittlungskomitees ist der Verdächtige ein 25-jähriger Bewohner der Stadt Ust-Ilimsk. "Ich schäme mich dafür, dass dies zu einem Zeitpunkt passiert, zu dem wir vielmehr vereint sein sollten. Wir dürfen nicht gegeneinander kämpfen, sondern gegen echte Bedrohungen", erklärte Kobsew weiter. Er habe Anweisungen gegeben, die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken.
Finnland: Höchststand bei Einreisen aus Russland
Um der Einberufung in das russische Militär zu entgehen, sind bereits Zehntausende Männer fluchtartig aus Russland ausgereist. So verzeichnete Finnland am Wochenende bei der Zahl der Einreisen aus Russland einen Höchststand für dieses Jahr.
Nach Angaben des finnischen Grenzschutzes reisten fast 8600 Russen am Samstag über die Landgrenze ein, am Sonntag kamen mehr als 8300 an. "Die Ankunftsrate ist ungefähr doppelt so hoch wie vor einer Woche", zitiert die Nachrichtenagentur AFP einen Mitarbeiter des Grenzschutzes. Die russische Teilmobilmachung sei die Hauptursache. Es gibt allerdings immer noch weniger Grenzübertritte als vor der Corona-Pandemie.
Finnland hatte zuvor angekündigt, dass die Einreise ins Land für Russen in den nachfolgenden Tagen deutlich eingeschränkt werde. Die Behörden bereiteten sich auf "schwierige Entwicklungen" vor, wenn die Einschränkungen in Kraft treten. Dann sei es "möglich, dass Versuche des illegalen Grenzübertritts steigen werden", so der Grenzschützer.