Absturz eines Passagierjets Warum Putin sich bei Aserbaidschan entschuldigte
Russlands Präsident Putin äußert selten entschuldigende Worte. Nach dem Absturz des aserbaidschanischen Flugzeugs tat er es doch gegenüber Präsident Alijew. Dafür gibt es wichtige Gründe.
Russland und Aserbaidschan verbindet eine strategische Partnerschaft, geschlossen von den Präsidenten Wladimir Putin und Ilham Alijew zwei Tage vor Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Alijew war dafür nach Moskau gereist, Putin hatte ihn dazu aufgefordert, wie Alijews Berater Hikmet Hajiew einmal bei einer Veranstaltung beschrieb.
Nun, bald drei Jahre später, hat sich das Kräfteverhältnis verändert. Das zeigt die Entschuldigung Putins nach dem Absturz einer aserbaidschanischen Passagiermaschine in einem Telefonat mit Alijew.
Videos zeigen Einschläge
Alijew erfuhr vom Absturz der Maschine der Fluggesellschaft AZAL auf einem Flug nach Moskau. Dort hatte er an einem informellen Gipfeltreffen der GUS-Staaten teilnehmen wollen. Er ließ seinen Flieger jedoch wenden und teilte dies Putin telefonisch mit. Beide Seiten drückten einer Pressemitteilung aus Baku zufolge ihr Beileid aus. Anfangs teilte Alijew die vorläufige Einschätzung der russischen Luftfahrtbehörde, dass das Unglück auf Vogelschlag zurückzuführen sein könnte.
Videos vom Absturzort in der kasachischen Steppe bei Aktau am Kaspischen Meer zeigten jedoch eine Perforierung der Außenhaut des Flugzeugs, einer Embraer E190, die Experten als Einschusslöcher bezeichneten. Videos und Berichte Überlebender lassen auf mindestens eine Explosion außerhalb des Flugzeugs schließen. Hinzu kam die Frage, warum das Flugzeug weit nach Osten über das Kaspische Meer flog und nicht in Russland notlandete.
Erste Ermittlungsergebnisse
Während Russland abwiegelte, erschienen am 26. Dezember Medienberichte mit Quellen aus dem Umfeld der Regierung in Baku, wonach erste Ermittlungsergebnisse auf einen Beschuss der Maschine bei Grosny schließen ließen - und zwar auf mit einer russischen Boden-Luft-Rakete des Abwehrsystems "Pantsir-S". Diese sei zur Abwehr ukrainischer Drohnen abgeschossen worden. Bei ihrer Explosion hätten Splitter die Passagiermaschine getroffen.
Hinzu kam die Information, dass die Piloten nicht auf einem russischen Flughafen landen durfte, sondern angewiesen worden seien, über das Kaspische Meer zu fliegen. Die Navigationssysteme des Flugzeugs seien währenddessen gestört worden. In Sozialen Medien wurde der Verdacht laut, Russland habe die Maschine im Meer abstürzen lassen wollen, um die Spuren des wahrscheinlich unbeabsichtigten Beschusses zu verwischen.
Ein aserbaidschanischer Parlamentsabgeordneter forderte von Russland eine Entschuldigung. Die Verantwortlichen müssten bestraft und den Betroffenen Entschädigung gezahlt werden.
Von höchster Stelle zugelassen
Wovon auszugehen ist: Niemand aus dem Umfeld der Regierung, keines der regierungsnahen Medien in Aserbaidschan hätte dies berichtet und kein Politiker hätte sich geäußert, wenn es in dem diktatorisch geführten Staat nicht von höchster Stelle genehmigt worden wäre.
Während sich Alijew selbst nicht weiter äußerte, stieg der Druck auf Russland, wie der aserbaidschanische Sicherheitsexperte Shujaat Ahmadzada in Baku beschreibt: So hätten die Behörden angekündigt, dass die Vorschriften für russische Staatsbürger in Aserbaidschan "verschärft" würden.
"Pragmatisches Kalkül"
Nun sei Putin Aserbaidschan ein Stück weit entgegengekommen, indem er entschuldigende Worte für das "Ereignis im russischen Luftraum" geäußert habe. Was weiter fehle, sei eine offizielle Stellungnahme zur Bestrafung der Schuldigen und zur finanziellen Entschädigung der Opfer.
Ahmadzada geht von einem "pragmatischen Kalkül" Putins aus, eine "eher ambivalente Entschuldigung" zu äußern, statt die Lage weiter eskalieren zu lassen: Dies hätte den Beziehungen beider Länder definitiv und den Beziehungen Russlands mit der Türkei möglicherweise schaden können. Die Türkei ist politisch, kulturell und sprachlich eng mit Aserbaidschan verbunden.
Russische Annäherung an Baku
Russland ging aus sicherheitsstrategischem und wirtschaftspolitischem Kalkül bereits in den vergangenen Jahren auf Aserbaidschan zu und gab dafür seine Rolle als Schutzmacht Armeniens auf.
Die Lage Aserbaidschans auf der Nord-Süd-Achse zwischen Russland und Iran sowie auf der West-Ost-Achse zwischen Europa und Asien erhöhte dessen Bedeutung in der Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine noch: Aserbaidschan wird als Transitland und als Lieferant von Öl und Gas wichtiger für Russland und andere Staaten.
Drohender massiver Reputationsschaden
Der Russland-Experte Alex Yusupov von der Friedrich-Ebert-Stiftung hält selbst die defensive Äußerung Putins, wie sie der Kreml in einer Pressemitteilung einräumt, für eine außergewöhnliche Entschuldigung aus dem Mund Putins. "Sonst kennen wir nur mittelbare oder postfaktische Erzählungen von Putin selbst, die Entschuldigungen oder Bedauern beinhalten, so wie bei dem Vorfall mit Angela Merkel und seinem Hund."
Innenpolitisch räume Putin zwar ab und zu Probleme oder Missstände ein. Dabei handele es sich aber um "genau orchestrierte Sprechakte der Verantwortungsdiffusion", deren Berichtigung Putin zur Chefsache mache.
In diesem Fall hätte ein Verschweigen angesichts der Offensichtlichkeit des Hergangs zu einem "kaum handhabbaren Reputationsschaden" bei einem der wenigen freundschaftlich gesinnten Nachbarn führen können, erläutert Yusupov.
Stark auf internationalem Parkett
Alijew kann sich nun seiner Bevölkerung gegenüber als starker Mann präsentieren, der Putin eine Entschuldigung abringen konnte. Es ist ein weiterer Erfolg auf internationalem Parkett, auf dem Alijew zunehmend offensiv und mit dem Anspruch auftritt, Aserbaidschan als Mittelmacht zu präsentieren. Dabei handelt er je nach Interessenlage mal mit, mal gegen Partner und Rivalen, vergleichbar mit Donald Trump.
Innenpolitisch ergibt sich für Alijew dennoch ein Problem: Da angesichts der Sicherheitslage Flüge von Aserbaidschan in den russischen Nordkaukasus ausgesetzt werden mussten, gibt es derzeit keine direkten Reisewege mehr dorthin.
Reisewege verschlossen
Die Landwege von Aserbaidschan ins Ausland sind seit der Corona-Pandemie für aserbaidschanische Staatsangehörige geschlossen, sehr zum Unmut der Bevölkerung. Die aktuellste Begründung der Regierung in Baku lautet Terrorprävention. Tatsächlich gab es vor einigen Monaten einen bewaffneten Angriff auf Sicherheitskräfte im Norden Aserbaidschans, den Experten der Terrorgruppe "Islamischer Staat" zuordneten. Es handelte sich allerdings um einen Einzelfall. So bleiben die wahren Gründe im Unklaren.
Nun stehen erneut Tausende Menschen vor dem Problem, dass sie nur über große Umwege zwischen Süd- und Nordkaukasus hin- und herreisen können, um zur Arbeit und ihren Familien zu gelangen. Womöglich bleibt Alijew nun nichts anderes übrig, als die Landgrenze zu öffnen. Oder er lässt Proteste wie sonst mit Repression ersticken.