Flugzeugabsturz in Kasachstan Auch USA vermuten russischen Beschuss als Ursache
Nach dem Absturz eines Flugzeugs in Kasachstan bleibt die Frage nach der Ursache des Unglücks. Nun wird auch in den USA und Deutschland der Verdacht geäußert, die Maschine könnte versehentlich Ziel der russischen Armee geworden sein.
Auch zwei Tage nach dem Absturz eines aserbaidschanischen Passagierflugzeugs nahe der Stadt Aktau in Kasachstan ist die Ursache noch offen. Doch immer mehr Stimmen vermuten, dass russischer Beschuss zu dem Unglück geführt haben könnte.
Unter anderem zitierten die Sender CNN und ABC News einen Vertreter der US-Regierung, der einen Fehlschuss der russischen Flugabwehr als Ursache nicht ausschloss. Es gebe erste Hinweise, die darauf deuteten. Sollten sich diese bestätigen, sei denkbar, dass schlecht ausgebildete russische Einheiten bei der Abwehr ukrainischer Drohnen das Ziel verwechselt hätten.
Die Ukraine hatte bereits kurz nach dem Absturz die Schuld für das Unglück klar bei Russland gesehen. Andrij Jermak, Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung, bekräftigte diese Auffassung nochmals und forderte, Moskau müsse für den "Abschuss" der Maschine zur Verantwortung gezogen werden.
Viele kleine Löcher am Wrack
Das Flugzeug vom Typ Embraer 190 der Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines war am Mittwoch im aserbaidschanischen Baku gestartet und sollte nach Grosny in der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien fliegen. Die russische Flugabwehr soll an diesem Morgen in mehreren Teilen des Nordkaukasus im Einsatz gewesen sein, um mögliche ukrainische Drohnenangriffe abzuwehren.
Zuvor hatte auch der russische Blogger und Militärexperte Juri Podoljaka beim Onlinedienst Telegram spekuliert, die Löcher ähnelten den Schäden, die durch ein "Flugabwehrraketensystem" verursacht würden. Ebenso sprach Bernard Legauffre, ehemaliger Experte der französischen Ermittlungs- und Analysebehörde für die Sicherheit der zivilen Luftfahrt (BEA), gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von vielen Schrapnell-Splittern am Wrack. Bilder vom Heck der abgestürzten Maschine zeigten tatsächlich kleine Löcher, die wie Einschläge der Splitter von Flugabwehrraketen aussehen.
Kommunikationssysteme gestört
Auch in aserbaidschanischen Medien wurde über russischen Beschuss als mögliche Absturzursache berichtet. So hieß es, das Flugzeug sei ersten Ermittlungen zufolge beim Anflug auf Grosny von einer Rakete eines "Pantsir-S"-Systems getroffen worden. Die Kommunikationssysteme seien komplett gestört gewesen.
Das Internetportal caliber.az berichtete zudem, die Piloten hätten auf den Grosny nahegelegenen Flughäfen Minera lnye Wody oder Machatschkala notlanden wollen. Dies sei jedoch nicht genehmigt worden, so dass die Crew das beschädigte Flugzeug über das Kaspische Meer hinweg nach Aktau in Kasachstan gesteuert habe. Von der aserbaidschanischen Regierung wurde russischer Beschuss als Absturzursache bisher weder bestätigt noch dementiert.
Azerbaijan Airlines bleibt, was die Absturzursache betrifft, noch zurückhaltend. Allerdings gab das Unternehmen unter Berufung auf vorläufige Ergebnisse der Untersuchungen bekannt, dass "externe physische und technische Störungen" zu dem Absturz geführt hätten.
Russland warnt vor voreiligen Schlussfolgerungen
Aus Russland selbst kamen bislang knapp gehaltene Stellungnahmen zu dem Unglück. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wiederholte seine Warnung vor voreiligen Rückschlüssen. Die Spekulationen zur Absturzursache seien dem Kreml bekannt. Peskow forderte, die Ermittlungsergebnisse abzuwarten: "Eine Untersuchung dieses Flugzeugvorfalls ist im Gange. Und bis die Schlussfolgerungen der Untersuchung vorliegen, halten wir uns nicht für berechtigt, Urteile zu fällen - und werden dies auch nicht tun."
Peskow betonte, Ergebnisse könnten nur von den russischen Luftfahrtbehörden, die den Fall untersuchten, kommen. Allerdings ermitteln auch die kasachischen und die aserbaidschanischen Behörden zur Absturzursache. Der russische Präsident Wladimir Putin äußerte sich nicht zum Absturz. Auch in russischen Medien wird über die Spekulationen, ein Fehler der landeseigenen Luftwaffe könne zum Absturz geführt haben, nicht berichtet.
Der Chef der russischen Luftfahrtbehörde Rosawiazija, Dmitri Jadrow, bestätigte, dass das Flugzeug aus Sicherheitsgründen nicht am geplanten Zielort Grosny landen konnte. "Die Situation an diesem Tag und während dieser Stunden im Bereich des Flughafens von Grosny war sehr kompliziert", so Jadrow. Ukrainische Kampfdrohnen seien zu diesem Zeitpunkt für "terroristische Angriffe auf die zivile Infrastruktur in den Gebieten Grosny und Wladikawkas" eingesetzt worden. Wegen dieser Gefahr seien keine Starts und Landungen in Grosny erlaubt gewesen. Jadrow machte jedoch keine Angaben, ob russischer Beschuss das Flugzeug getroffen haben könnte.
Airlines setzen Flugverbindungen aus
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marcus Faber, schloss sich nun den in Richtung Russland deutenden Vermutungen an. "Die russische Flugabwehr ist zunehmend überfordert", sagte der FDP-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Faber forderte weitere Untersuchungen des Absturzes und rief zivile Fluglinien dazu auf, "das gesamte Kriegsgebiet" zu meiden und auf Überflüge über der Ukraine und Russland vorerst zu verzichten.
Die israelische Fluggesellschaft El Al hatte als erste Airline angekündigt, alle Flugverbindungen zwischen Tel Aviv und Moskau bis vorerst Ende der Woche auszusetzen. Die Airline begründete den Schritt mit den "Entwicklungen im russischen Luftraum". Sie werde kommende Woche neu beurteilen und entscheiden, ob die Flüge wieder aufgenommen würden.
Nun kündigte auch Azerbaijan Airlines an, infolge des Absturzes ihre Verbindungen in zehn russische Städte auszusetzen. Von Samstag an sollen Sotschi, Wolgograd, Ufa, Samara, Mineralnye Wody, Grosny, Machatschkala, Wladikawkas, Nischni Nowgorod und Saratow vorerst nicht mehr angeflogen werden. Die Flughäfen in Moskau, St. Petersburg, Kasan, Astrachan, Jekaterinburg und Nowosibirsk sollen hingegen weiter angesteuert werden.
In Kasachstan setzte die Fluggesellschaft Qazaq Air für einen Monat aus Sicherheitsgründen Flüge von der Hauptstadt Astana in die russische Metropole Jekaterinburg am Ural aus. Flüge nach Omsk und Nowosibirsk in Sibirien gebe es aber weiter, hieß es.
Russland wiederum sperrte den Luftraum im Süden des Landes. Eine Maschine der Azerbaijan Airlines auf dem Weg in die südrussische Stadt Mineralnie sei daher nach Baku zurückgekehrt, berichtete die russische Nachrichtenagentur Tass.
Blackbox geborgen
Bei dem Absturz des Flugzeugs waren 38 der insgesamt 67 Menschen an Bord ums Leben gekommen. 29 Menschen überlebten, einige von ihnen sind schwer verletzt. Zwei der Überlebenden kommen aus Deutschland, wie das Auswärtige Amt mitteilte. Die Behörde forderte eine "rasche und unvoreingenommene" Aufklärung der Absturzursache.
Um die Ursache zu klären, setzten die Ermittler nun vor allem auf die Daten der sogenannten Blackbox. Bergungstrupps hatten die Flugschreiber am Donnerstagabend in den Trümmern der Maschine bergen können. Ihre Auswertung sowie die Funksprüche sollen Ermittlern helfen, die Absturzursache zu klären.
Fluggesellschaft will Entschädigung zahlen
Azerbaijan Airlines hat angekündigt, den verletzten Opfern sowie den Angehörigen der Verstorbenen eine Entschädigung zahlen zu wollen. In einer Mitteilung auf der Internetseite der Fluggesellschaft heißt es, jeder verletzte Passagier solle eine Summe von 20.000 Manats erhalten. Der Manat ist die aserbaidschanische Währung. Die Summe entspricht umgerechnet bei derzeitigem Wechselkurs fast 11.300 Euro.
Die Angehörigen der Passagiere, die durch den Absturz ums Leben kamen, sollen laut Airline 40.000 Manats bekommen, also fast 22.600 Euro.