20 Jahre NATO-Osterweiterung Litauens Angst vor Russland
Vor 20 Jahren wurde Litauen Teil von EU und NATO. Seit Russlands Krieg gegen die Ukraine baut das Land seinen Grenzschutz weiter aus - und auch Schulkinder haben Kriegsangst.
Rolandas Griškonis eilt zum Kontrollraum der Grenzwache Vištytis. Seine Kollegen haben auf den Bildschirmen eine Gruppe Männer entdeckt. Fünf Beamte sitzen im Herzstück der Wache und steuern mit kleinen Joysticks unzählige Kameras entlang der Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad.
Konzentriert beobachten sie jede Regung. Nach einem kurzen Blick auf den Monitor gibt Griškonis Entwarnung. "Diese Männer sind angemeldet", erklärt er. "Für Reparaturarbeiten. Deshalb wissen wir, dass sie hier unterwegs sind."
Fast 50 Millionen Euro investiert
Hinter dem Stacheldraht liegen Stützpunkte der russischen Armee in Kaliningrad. Seit Russlands Besetzung der Krim 2014 hat Litauen auf seiner Seite der Grenze massiv nachgebessert. Fast 50 Millionen Euro haben sie allein hier investiert - in neue Kameras, neue Zäune und mehr Personal. Griškonis hat hier fast sein gesamtes Berufsleben verbracht. All die Jahre sei es immer friedlich geblieben, erzählt er.
Mittlerweile sei er sich nicht mehr sicher, ob das auch so bleibt. "Es ist nicht besonders angenehm für uns, seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat. Aber als Grenzschützer sind wir auf alles vorbereitet."
Rolandas Griškonis hat fast sein gesamtes Berufsleben nahe der Grenze zu Russland verbracht.
Grenzziehung nach dem Ende der UdSSR
Ein paar Hundert Menschen lebten einst hier im kleinen Grenzort. Mittlerweile sind fast alle weggezogen. Nur wenige sind geblieben - wie Marijona Žukauskienė. Die 86-Jährige hat als Kind die Besatzung durch deutsche Soldaten erlebt, dann durch die Rote Armee. Jeden Tag bekommt sie Besuch von ihrer Nachbarin Irena Mockevicene. Wenn die beiden aus dem Küchenfenster schauen, können sie direkt auf den riesigen Zaun der Grenzanlage schauen.
Dabei wären ihre Häuser beinahe auf der anderen Seite gelandet, erzählen sie, als Litauen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder unabhängig wurde. "Die Russen haben die Grenzlinie so gezogen, dass unsere Häuser plötzlich in Russland lagen", erinnert sich Irena. "Erst nach Nachverhandlungen wurden wir wieder litauisch. Gott sei Dank!"
Marijona Žukauskienė kann aus ihrem Küchenfenster direkt auf den riesigen Zaun der Grenzanlage schauen.
Sorge vor Russland ist tief verwurzelt
20 Jahre lang sind Estland, Lettland und Litauen schon EU- und NATO-Mitglieder und sehr stolz darauf. Am Taikos Gymnasium in Vilnius beginnt der Unterricht. Algis Bitautas ist hier Geschichtslehrer.
Er will seiner sechsten Klasse heute mehr über den Weg Litauens Richtung Westen erzählen. "Ich erinnere mich noch daran, als ich ungefähr in eurem Alter war und Litauen der NATO beigetreten ist", erklärt der Lehrer. Die NATO-Mitgliedschaft sei ein großes Glück für Litauen.
Dann reden sie über das Ende des Zweiten Weltkriegs und über die Zeit der sowjetischen Besatzung. Im Klassenraum hängt ein riesiges Bild von drei litauischen Befreiungskämpfern.
Die Sorge vor Russland ist im Baltikum tief verwurzelt. Selbst bei den Kindern. "Russland hat die Ukraine überfallen und die Ukraine versucht nun, die besetzten Gebiete zurückzubekommen", erklärt die 12-jährige Rugile. "Ich kann mir vorstellen, dass der Krieg noch größer wird." Kriegsangst schon in der 6. Klasse.
Die Schülerinnen Melita und Rugile fürchten, dass der Krieg noch größer wird.
Neues Exerziergelände in Rūdninkai
Im Osten des Landes will Litauen ein Zeichen setzen. Das kleine Dorf Rūdninkai liegt unweit der Grenze zu Belarus. Im Kalten Krieg übte hier einst das sowjetische Militär. Nun sollen NATO-Soldaten kommen und auch die Bundeswehr. Eilig roden sie riesige Waldflächen und verlegen neue Straßen.
Kommandant Rimantas Jarmalavicius zeigt die bereits abgeholzte Fläche und spricht von einem der größten Übungsplätze im gesamten Baltikum. "Hier wird man bald üben, Panzer abzuwehren, es gibt Trainingsgelände für sehr viele Soldaten, schwere Maschinengewehre, spezielle Übungsfelder für Panzer. Die Größe ist ziemlich beeindruckend."
17.000 Hektar ist das Exerziergelände groß, das auch Moskau abschrecken soll. Denn ob im Westen oder hier im Osten - die Sorge vor weiteren russischen Aggressionen ist in Litauen überall spürbar. Im nächsten Jahr sollen deshalb hier Tausende weitere NATO-Soldaten die Verteidigung des Landes trainieren.