Lage im Kosovo Wer profitiert von den Unruhen?
Nach den Unruhen rufen internationale Partner zur Deeskalation auf, doch der Ton zwischen dem Kosovo und Serbien bleibt unversöhnlich. Wie soll es weitergehen?
Ein Helikopter der KFOR kreist über dem Norden des Kosovos. Die NATO-geführte Einsatztruppe hat nach den Unruhen am Montag ihre Präsenz dort deutlich verstärkt. Die Truppe wurde um 700 Soldaten aufgestockt. Mit Absperrungen und Stacheldraht haben KFOR-Kräfte mehrere Gemeindeämter im Norden fast hermetisch abgeriegelt.
Denn der gewaltsame Protest hatte sich an der Einsetzung von drei kosovo-albanischen Bürgermeistern in ethnisch mehrheitlich serbischen Gemeinden entzündet, die nach einem serbischen Wahlboykott mit nur wenigen Stimmen gewählt worden waren.
Einer der Bürgermeister ist Izmir Zeqiri. Nach Montag ist er nicht in sein Gemeindeamt zurückgekehrt: "Obwohl ich verfassungsrechtliche Befugnisse habe, möchte ich nicht zu einem Faktor werden, der Gewalt erzeugt - ganz im Gegenteil: Unser Ziel ist Frieden, Entwicklung und die Schaffung eines Umfelds, auf das jeder Bürger stolz sein sollte."
USA sind wegen des Kosovos "nicht sehr enthusiastisch"
Grundsätzlich hält der 58-Jährige es aber für richtig, dass die Regierung in der Hauptstadt Pristina auf seiner Einsetzung als Bürgermeister bestanden hatte. Die Verantwortung für die Gewalt sieht Zaqiri allein bei Serbien: "Die Probleme, mit denen wir jetzt konfrontiert sind, sind nicht neu, und ich glaube, dass diese Probleme durch die Propaganda aus Serbien genährt werden - ich bin sicher, dass dies auch von unseren internationalen Freunden bemerkt worden ist."
Beim letzten Punkt täuscht sich der Bürgermeister allerdings. Weil die USA und die EU gefordert hatten, den Zugang der Bürgermeister zu ihren Ämtern nicht zu erzwingen, weisen die Verbündeten die Verantwortung für den Gewaltexzess teils deutlich Pristina zu. Die USA schlossen den Kosovo von einer Militärübung aus. Der US-Botschafter in Pristina Jeffrey Hovenier: "Ich würde sagen, dass die Vereinigten Staaten derzeit nicht sehr enthusiastisch sind, wenn es darum geht, auf andere Interessen des Kosovos einzugehen, wie die Zusammenarbeit mit Nicht-Anerkennern der Unabhängigkeit oder die aktive Förderung der europäischen oder euro-atlantischen Entwicklung des Kosovos."
Wer profitiert?
Für den Südosteuropa-Forscher Florian Bieber von der Uni Graz geht damit der serbische Präsident Aleksandar Vucic zunächst gestärkt aus der Eskalation hervor: "Serbien kommt gut heraus, und es ist positiv für Russland. Russland mag Unruhe auf dem Balkan." Nicht, weil es Russland viel bringe, aber es sei ein Ablenkungsmanöver, so Bieber. Es helfe auch, den Westen schwach aussehen zu lassen. Und es helfe, die Beziehungen zu Serbien aufrecht zu erhalten. "Aber gleichzeitig hat Vucic seine Beziehungen zum Westen auch nicht verspielt, und so hat er sich alle Türen offengehalten, so wie er das seit einem Jahrzehnt tut."
Bieber findet die klare Schuldzuweisung unausgewogen. Die Gewalt sei schließlich nicht von kosovarischen Sicherheitskräften ausgegangen: "Man muss genau untersuchen, wer verantwortlich war. Es gibt gute Gründe zu glauben, dass da die Verantwortung auch in Belgrad liegt."
EU steht vor einem Scherbenhaufen
Weder in Serbien noch im Kosovo wird allerdings auch nur ein Teil der Verantwortung übernommen: Beide Seiten beschränkten sich zunächst auf gegenseitige Schuldzuweisungen.
Die EU versuchte, den Scherbenhaufen aufzukehren, vor dem sie steht: Europa hatte zuletzt Gespräche zwischen dem Kosovo und Serbien vermittelt. Und beide zu mündlichen Zusagen bewegt, ihre Beziehungen zu normalisieren. Die neuerliche Gewalt ist ein Rückschritt für den Prozess, dessen Durchschlagskraft ohnehin infrage stand. "Man könnte fast sagen, das einzig Positive an diesen Entwicklungen ist, dass es der EU und den USA klar vorgeführt wurde, dass die bisherigen Bemühungen eigentlich nicht von Erfolg gekrönt sind", so Bieber.
Macron und Scholz fordern Neuwahlen
Immerhin schafften es Deutschland und Frankreich in dieser Woche, die Präsidenten aus Serbien und dem Kosovo beim Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldau an einen Tisch zu bringen. Anzeichen auf eine Annäherung gab es im Anschluss nicht. Wohl aber neue Forderungen seitens der Europäer, zu den getroffenen Vereinbarungen zurückzukehren. Ein fertig verhandelter Vorschlag liege auf dem Tisch, so Olaf Scholz. Er forderte, "diese Möglichkeit jetzt nicht gewissermaßen in die Ferne entschwinden zu lassen, weil man jetzt konkret in dieser Situation nicht den Mut hat, die richtigen Handlungen zu verantworten."
Konkret soll der Kosovo die zugesagte Gründung eines serbischen Gemeindeverbands auf den Weg bringen. Und: Es sollte Neuwahlen in den Gemeinden im Norden geben. Die Regierung in Pristina zeigte sich zumindest für Letzteres offen. Wobei dann alles davon abhinge, ob die ethnisch serbische Bevölkerung auch an den Wahlen teilnähme. Auch das forderten Scholz und Macron auf dem Gipfel in Moldau.
Serbien kann sehr gut mit dem Status quo leben
Südosteuropa-Experte Bieber glaubt, die Verhandlungen müssten neu aufgesetzt werden. Für eine einfache Rückkehr zu früheren Zusagen hätten weder Serbien noch der Kosovo im Moment große Anreize. Für Serbiens Präsident Vucic sei es eine willkommene Ablenkung von großen innenpolitischen Problemen. Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti wolle sich bei Zugeständnissen für serbische Kommunen nicht zu weit vorwagen.
"Und damit haben wir eine Situation, wo eigentlich beide Seiten nicht wirklich kompromissbereit sind", sagt Bieber. Zumindest Serbien könne sehr gut mit dem Status quo leben, der Kosovo weniger gut. "Da bedarf es schon ganz massiven Drucks und ganz massiver Anreize, um Fortschritte zu erzielen."
Eine schnelle Lösung des jahrzehntealten Konflikts ist also momentan nicht in Sichtweite.