Drei Jahre nach dem Brexit "Großbritannien pfeift aus dem letzten Loch"
Vor sieben Jahren hat das Vereinigte Königreich mit knapper Mehrheit für den Brexit gestimmt. Am 31. Januar 2020 trat das Königreich aus der EU aus. Seitdem hat sich viel verändert - nicht nur wirtschaftlich.
Erledigt ist der Brexit nicht. Erst am Mittwoch wurde im Unterhaus wieder über die Folgen des EU-Austritts gestritten. Der Faktionschef der schottischen Nationalpartei SNP, Stephen Flynn, griff Premier Rishi Sunak direkt an: "Ich glaube, er begreift nicht, wie die wirtschaftliche Realität aussieht und mit welchen Kosten die Verbraucher zu kämpfen haben. Und die Lage müsste nicht so sein. Die Zinsen für Immobilienkredite in Irland liegen nicht bei über sechs, sondern bei ungefähr viereinhalb Prozent. Die Inflation in der EU liegt nicht bei 8,7 Prozent, sondern eher bei sechs Prozent. Großbritannien pfeift aus dem letzten Loch. Wird der Premier sieben Jahre nach dem Brexit-Referendum endlich zugeben, dass der Brexit daran schuld ist?" Sunak wich in seiner Antwort aus.
Während die Brexit-Anhänger bemüht sind, ein positives Bild vom EU-Austritt zu zeichnen, legen viele Wissenschaftler Daten vor, die sich ganz anders lesen. Zu ihnen gehört auch die Wirtschaftsprofessorin Jun Du von der Aston University in Birmingham, die die Folgen des Brexits untersucht: "Die Auswirkungen auf den Handel sind signifikant. Wir haben mehrere Berechnungen mit unterschiedlichen Methoden durchgeführt. Für die Phase zwischen Januar 2021 und September 2022 legt die kontrafaktische Analyse nahe, dass wegen des Brexits der Handel Großbritanniens zurückgegangen ist."
Handelspartner: Großbritannien rutscht nach unten
Großbritanniens Exporte in die EU sind demnach 23 Prozent niedriger und die Importe aus der EU 13 Prozent niedriger als sie es wären, wenn das Land noch EU-Mitglied wäre. Auch aus deutscher Sicht ist die Bilanz negativ. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer nennt den Brexit "ein wirtschaftliches Desaster für beide Seiten des Kanals". War Großbritannien vor dem Brexit noch fünftwichtigster Handelspartner Deutschlands, ist das Königreich jetzt nicht einmal mehr unter den Top Ten.
Die Aussichten für Großbritannien sind nicht gut: Die unabhängige britische Aufsichtsbehörde OBR geht davon aus, dass die Produktivität im Land langfristig vier Prozent niedriger sein wird als es ohne Brexit der Fall wäre. Und von den neuen Handelsabkommen, die die britische Regierung mit Nicht-EU-Ländern geschlossen hat, erwartet die Behörde nicht viel. Die würden kaum Auswirkungen haben, heißt es, sprich: kaum Wirtschaftswachstum generieren.
Nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen
Für die Briten hat der Brexit aber nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen. Der EU-Austritt hat das Land auch politisch verändert. Politikprofessor Tim Bale von der Queen Mary University in London hat gerade das Buch "The Conservative Party After Brexit" veröffentlicht. Er spricht von Ideologie und von Attacken auf demokratische Institutionen und kommt mit Blick auf die Konservative Partei zu dem Schluss: "Sie ist wirklich populistischer geworden. Die konservative Partei hat immer mit dem Populismus geliebäugelt, aber nach dem Brexit hat sie den Populismus komplett verinnerlicht."
Dass die Torys nach dem Abgang von Boris Johnson wieder zu einem seriösen konservativen Stil zurückfinden werden, glaubt Bale eher nicht: "Der Geist ist aus der Flasche gelassen, und es wird den Konservativen nicht gelingen, ihn wieder einzufangen. Und da die Regierung große Schwierigkeiten haben wird, die nächste Wahl mit dieser Wirtschaftslage zu gewinnen, wird sie versucht sein, den Kulturkampf anzuheizen, genauso, wie Boris Johnson das getan hat."